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Bezahlung mit einer Karte (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Wero

Wer darf bei Europas neuem Zahlungsdienst mitmachen?

Europa entwickelt ein eigenes digitales Bezahlsystem: Wero. Es verspricht moderne Lösungen. Hoffentlich werden dabei auch Menschen mitgedacht, die bislang außen vor bleiben – besonders jene, die ohnehin ständig um Teilhabe kämpfen müssen.

Dienstag, 02.12.2025, 0:13 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.12.2025, 12:22 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Europa ist stolz auf seinen neuen Zahlungsdienst Wero. Er soll schneller, moderner und unabhängiger machen: Geld wandert direkt von Konto zu Konto, ohne Kreditkarte, ohne Umweg über US-Konzerne. Ein ambitioniertes Projekt, das Europas digitale Zukunft mitgestalten will.

Doch während Politiker und Banken über technologische Souveränität sprechen, wird ein anderes Thema erstaunlich selten erwähnt: Wer kann diese Dienste überhaupt nutzen – und wer nicht? Denn digitale Zahlungsformen setzen etwas Voraus, das für viele Menschen keineswegs selbstverständlich ist: ein vollwertiges Bankkonto, stabile digitale Identitätsnachweise und Zugang zu Apps oder Onlinebanking. Für einen großen Teil der Bevölkerung funktioniert das problemlos. Für viele Menschen mit Migrationserfahrung dagegen ist genau das der schwierigste Teil.

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Bankkonto? Für viele Migranten noch immer kein Selbstläufer

Millionen Menschen in Europa leben, arbeiten oder suchen Schutz, ohne dass sie überall dieselben Rechte und Zugänge haben. Besonders sichtbar wird das beim Thema Zahlungsverkehr.

  • Geflüchtete und neu eingereiste Menschen scheitern häufig schon an der Kontoeröffnung, weil Banken bestimmte Dokumente nicht akzeptieren.
  • Video-Ident-Verfahren brechen bei arabischen, türkischen, afrikanischen oder asiatischen Namen nachweislich häufiger ab.
  • Manche Banken bieten zwar ein „Basiskonto“ an, verlangen dafür aber überhöhte Gebühren, die gerade einkommensschwache Menschen belasten.
  • Menschen in Sammelunterkünften erhalten teils keine Kontoeröffnung, weil sie keine „dauerhafte Anschrift“ nachweisen können.

Kurz gesagt: Bevor jemand mit Wero bezahlen kann, braucht er ein Konto – und den fairen Zugang dazu. Europa diskutiert über Hightech, aber ignoriert jene, die von dieser Entwicklung am meisten profitieren könnten: Menschen, die im Alltag ohnehin mit Barrieren kämpfen. Digitalisierung kann Teilhabe stärken – oder Ungleichheiten vergrößern. Wero steht an diesem Scheideweg.

Digitale Teilhabe ist eine soziale Frage – keine technische

In vielen politischen Debatten wird so getan, als hinge die Zukunft digitaler Zahlungssysteme allein davon ab, ob sie „technisch konkurrenzfähig“ sind. Doch in Wirklichkeit hängt ihr Erfolg auch davon ab, ob sie gesellschaftlich funktionieren. Und gesellschaftlich funktioniert etwas nur, wenn es zugänglich ist.

Menschen mit Migrationserfahrung berichten seit Jahren von Erfahrungen, die zeigen, wie weit der Alltag an der politischen Realität vorbeigeht. Kontoanträge werden ohne nachvollziehbare Begründung abgelehnt, Identitätsprüfungen fallen strenger aus als bei anderen Kundinnen und Kunden und führen häufig zu zusätzlichen Verzögerungen. In Bank-Apps stoßen viele auf Sprachbarrieren, die selbst einfache Vorgänge zur Hürde machen. An Geldautomaten werden Namen teilweise falsch angezeigt – ein scheinbar kleines Detail, das aber das Gefühl verstärkt, im System nicht wirklich vorgesehen zu sein. Und wenn Behörden Überweisungsbestätigungen verlangen, obwohl Betroffene gar keinen Zugang zu Onlinebanking haben, zeigt sich besonders deutlich, wie eng finanzielle Teilhabe und bürokratische Erwartungen miteinander verwoben sind.

Wero wird als System beschrieben, das „einfach“ funktionieren soll – Privat, Beruflich, im Alltag, wenn man beispielsweise eine kleine Summe wie nur 5 Euro einzahlen oder überweisen möchte, um Gelf für ein Geschenk zu sammeln. Doch was bedeutet „einfach“ für Menschen, die erst um Zugang kämpfen müssen, bevor sie einen Euro überweisen können?

Ohne digitale Gleichberechtigung bleibt Wero ein Projekt für die Privilegierten

Damit Wero ein echter europäischer Erfolg wird, braucht es vor allem eines:

ein Europa, das niemanden aus seinem Finanzsystem ausschließt.

Denn die Realität ist eindeutig:
Wer schon heute Schwierigkeiten hat, ein Konto zu eröffnen oder Onlinebanking zu nutzen, wird auch morgen nicht plötzlich digital bezahlen können. Ein fortschrittliches Bezahlsystem bringt wenig, wenn die gesellschaftlichen Voraussetzungen fehlen.

Beispiele aus der Praxis zeigen, wie groß diese Lücke tatsächlich ist. Menschen, die aus Syrien, Afghanistan oder verschiedenen afrikanischen Ländern nach Deutschland kommen, warten oft Monate auf ein vollwertiges Konto und damit auf die Grundlage finanzieller Handlungsfähigkeit. Selbst wenn sie ein Konto besitzen, können viele keine Echtzeitzahlungen empfangen, weil ihre Bank diese Funktion schlicht nicht anbietet. Dazu kommen Sprachhindernisse, die bei sensiblen Finanzthemen schnell zu Missverständnissen führen. Wer zudem in einer Sammelunterkunft oder in wechselnden Unterkünften lebt, hat häufig Schwierigkeiten, sich zu registrieren oder Geräte privat und dauerhaft zu nutzen. All diese Faktoren zeigen, wie wenig selbstverständlich digitale Teilhabe in Europa ist – und wie stark sie von sozialen und rechtlichen Voraussetzungen abhängt.

All das wirkt sich im Alltag aus – bei Behördenterminen, Mietkautionen, schnellen Überweisungen an Arbeitgeber oder Familien im Herkunftsland. Wenn Wero dieses Problem nicht mitdenkt, wird es ein System für jene, die ohnehin schon gut angebunden sind.

Warum Wero trotzdem ein Fortschritt sein könnte – wenn Europa es richtig macht

Trotz dieser Probleme birgt das neue System durchaus Chancen. Wero ist nicht an US-Konzerne gebunden, sondern entsteht vollständig in europäischer Verantwortung. Das schafft nicht nur mehr Unabhängigkeit, sondern stärkt auch das Vertrauen vieler Menschen, die sensibel auf den Umgang mit ihren Daten reagieren. Hinzu kommt, dass ein europäisches Konto-zu-Konto-Verfahren mittelfristig günstigere Überweisungen ermöglichen könnte – sowohl innerhalb Europas als auch in Länder außerhalb der EU. Besonders für Menschen, die regelmäßig Geld an Angehörige im Herkunftsland schicken, wäre das eine spürbare Entlastung. Dass Wero zudem über bestehende Bank-Apps genutzt werden kann, ohne zusätzliche Konten oder Anwendungen zu benötigen, macht den Einstieg einfacher und senkt die Hürde für jene, die ohnehin schon mit vielen bürokratischen Anforderungen konfrontiert sind.

Gerade für Menschen, die neu in Deutschland oder anderen EU-Ländern ankommen, wäre ein System ohne zusätzliche Apps, Kreditkarten oder Drittanbieter ein echter Vorteil. Doch dieser Vorteil entsteht nur, wenn man zugleich die strukturellen Hürden abbaut.

Appell an die EU: Anerkennungspraxis vereinheitlichen, Bürokratie abbauen, Zugang sichern

Wenn die EU ein Bezahlsystem schafft, das „für alle Europäerinnen und Europäer“ gedacht ist, dann darf „alle“ nicht heißen: „alle mit deutschem oder französischem Pass“.

Europa braucht:

1. Gemeinsame Mindeststandards für die Kontoeröffnung

Gesetzlich ist ein „Basiskonto“ vorgesehen – doch die Praxis ist oft willkürlich. Geflüchtete und Drittstaatsangehörige müssen nicht strengere, sondern konsistente und faire Zugangswege bekommen.

2. Sprach- und Barrierefreiheit

Texte, Apps und Anleitungen müssen mehrsprachig sein. Digitale Systeme, die alle nutzen sollen, dürfen nicht monolingual funktionieren.

3. Digitale Identitäten, die Namen und Herkunft nicht diskriminieren

Video-Ident muss überprüft werden: Warum scheitern bestimmte Namen häufiger? Solche Algorithmen dürfen keine neuen Ungleichheiten schaffen.

4. Gebührenbegrenzungen für Menschen mit geringem Einkommen

Ein Basiskonto darf nicht zum Luxusprodukt werden.

5. Ein klares politisches Ziel: digitale Teilhabe als Menschenrecht

Finanzielle Selbstbestimmung ist ein zentraler Baustein gesellschaftlicher Teilhabe. Europa muss sich verpflichten, diesen Zugang für alle zu garantieren.

Wero kann Europa gerechter machen – aber nur, wenn es auf alle schaut

Wero will ein europäisches Bezahlsystem schaffen, das unabhängig, effizient und modern ist. Doch die eigentliche Frage lautet: Kann Europa ein Bezahlsystem schaffen, das wirklich niemanden zurücklässt?

Gelingen kann das nur, wenn Innovation nicht nur als technisches Projekt verstanden wird, sondern auch als sozialer Auftrag. Wenn Europa die Chance nutzt, digitale Barrieren aktiv abzubauen, könnte Wero ein System werden, das nicht nur schnell überweist – sondern auch gleichberechtigte Teilhabe fördert.

Wenn die EU diese Fragen ignoriert, bleibt Wero am Ende vielleicht nur ein weiterer Dienst, der die Gesellschaft in diejenigen teilt, die problemlos digital zahlen – und diejenigen, die immer wieder gegen unsichtbare Mauern laufen.

Die Entscheidung liegt jetzt bei der europäischen Politik und den Banken: Schaffen sie ein Bezahlsystem, das den digitalen Wandel sozial gerecht macht? Oder wiederholen sie die Fehler der Vergangenheit? (etb) Wirtschaft

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