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Zohreh Shirazi © privat, Zeichnung: MiG

Nicht Qualifikation entscheidet

Fachkräfte-Anwerbung – ohne Visum

Während Politik und Wirtschaft über Fachkräftemangel klagen, scheitern qualifizierte Bewerber aus dem Iran an deutschen Konsulaten. Folge: verlorene Verträge, gebrochene Versprechen.

Von Donnerstag, 27.11.2025, 10:17 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 27.11.2025, 10:20 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Nach den sogenannten „Zwölf-Tage-Gefechten“ im Sommer 2025 arbeitet die Visastelle der deutschen Botschaft in Teheran weiterhin nur eingeschränkt. Das Auswärtige Amt bestätigt, die konsularischen Dienste würden „vorübergehend mit reduzierter Kapazität“ erbracht. Vorübergehend – ein Wort, das für viele Betroffene längst seinen Sinn verloren hat.

Seit dem Wechsel des externen Visadienstleisters am 1. Juli 2025 hat sich die Lage weiter verschärft. Termine für Menschen, die in Deutschland arbeiten oder eine Ausbildung beginnen wollen, sind kaum noch zu bekommen. Viele Anträge liegen seit Monaten fest – ohne Zeitplan, ohne Rückmeldung.

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Vor der Botschaft kam es mehrfach zu Protesten. Teilgenommen haben Pflegekräfte, Techniker:innen, Ärzt:innen und Auszubildende, deren Verträge längst gestartet wären – hätte Deutschland ihnen ein Visum ausgestellt. In sozialen Netzwerken zeigen Videos Schilder mit Aufschriften wie „Gebt Termine – gleiche Chancen für alle!“ und „Wir haben Verträge – aber kein Visum!“.

„Viele Bewerber:innen haben ihren Arbeitsplatz verloren, weil Arbeitgeber irgendwann aufgeben.“

Ein Bericht von Iran International dokumentiert die Folgen: Viele Bewerber:innen haben ihren Arbeitsplatz verloren, weil Arbeitgeber irgendwann aufgeben. Eine junge Ingenieurin erklärt: „Mein Vertrag begann im Juli. Der Arbeitgeber hat monatelang gewartet. Jetzt ist mein Platz weg – und meine Chance auch.“

Offiziell heißt es, Termine für Beschäftigungs- und Forscher-Visa würden wieder in „begrenztem Umfang“ vergeben. Für Azubis und junge Fachkräfte bleibt jedoch nur eine Warteliste, deren Länge niemand kennt. Auf der Website der Botschaft steht, frühere Anträge würden „im Rahmen der Kapazitäten“ weiterbearbeitet. Für neue gilt: kein Zeitplan, kein Verfahren, keine Sicherheit. Als Gründe werden Sicherheitslage und Personalmangel genannt – beides Probleme, die sich seit Monaten kaum bewegen.

Diese Verzögerungen bleiben nicht folgenlos. Deutsche Arbeitgeber verlieren Vertrauen in den Prozess. Der Eindruck verfestigt sich, dass Bewerbungen iranischer Fachkräfte riskanter sind als Bewerbungen aus anderen Ländern. Ein Hamburger Pflegeunternehmen sagt: „Wir hatten zwei iranischen Auszubildenden zugesagt. Nach drei Monaten ohne Visum mussten wir Kandidat:innen aus anderen Ländern nehmen.“

„Nicht Qualifikation entscheidet, sondern der Zufall des Herkunftslandes.“

Damit setzt sich eine strukturelle Ungleichheit fest: Nicht Qualifikation entscheidet, sondern der Zufall des Herkunftslandes. Wer aus einem Land mit funktionierendem Visasystem kommt, erhält eine faire Chance. Wer aus dem Iran kommt, oft nicht – obwohl Deutschland selbst über Arbeitskräftemangel klagt.

Diese Praxis widerspricht dem eigenen Anspruch von Fairness und Gleichbehandlung. Für viele iranische Antragsteller:innen stehen diese Werte derzeit nur auf dem Papier.

Wer Vertrauen in demokratische Werte ernst nimmt, muss sie auch an den Konsulatstüren einlösen. Deutschland braucht einen Visaprozess, der transparent, planbar und menschlich ist. Verlässlichkeit dürfen nicht daran scheitern, dass ein Antrag die falsche Botschaft erreicht, und Chancengleichheit darf nicht an der Botschaftstür enden. Meinung

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