
Kostenlose Rechtsberatung
In Law Clinics beraten Studierende im Migrations- und Sozialrecht
Wer den Bescheid vom Jobcenter anzweifelt oder das Aufenthaltsrecht in Deutschland verlängern möchte, braucht häufig Rechtshilfe. Die gibt es kostenlos in einer Law Clinic. An der Frankfurter Goethe-Universität ist sie seit zehn Jahren erfolgreich.
Von Jens Bayer-Gimm Donnerstag, 30.10.2025, 10:33 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.10.2025, 13:12 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die junge Frau in Blue-Jeans-Jacke, gelbem Pulli und goldfarbenen Ohrringen hat eine Bitte: Sie braucht einen Brief an die Ausländerbehörde. Als Eritreerin ist sie in der Zwickmühle, wenn sie einen neuen Pass benötigt: Zur Botschaft ihres Heimatlandes wolle sie als Geflüchtete nicht gehen, weil sie um ihre Sicherheit fürchte, sagt sie in der Sprechstunde der Goethe-Uni Law Clinic in der Evangelischen Studierendengemeinde Frankfurt am Main. Außerdem wolle sie die von der Botschaft geforderte Reue-Erklärung nicht unterschreiben und sich selbst einer Straftat bezichtigen, auch nicht künftig zwei Prozent ihres Einkommens an die Botschaft zahlen müssen.
Liam Knäbe und Sara Al-Hadjadj beugen sich über das Schreiben der Frankfurter Ausländerbehörde und studieren den Aufenthaltstitel der Klientin. Die beiden Studierenden der Rechtswissenschaften haben sich für die Beratung im Migrations-, Asyl- und Sozialrecht an der Universität ausbilden lassen. Die vom Fachbereich Rechtswissenschaften getragene Law Clinic bietet kostenlos Beratung an für Menschen, die in der Auseinandersetzung mit Behörden sind und nicht genug Deutsch können oder sich keinen Anwalt leisten können. „Wir übernehmen den Fall“, sagen die Studierenden. „Sie bekommen den Brief an die Ausländerbehörde nächste Woche geschickt.“
Manchmal stößt die Beratung an Grenzen. In einem Fall habe ein Klient fünf Jahre lang nur mit vorläufigen Aufenthaltsbescheinigungen, sogenannten Fiktionsbescheinigungen, gelebt, berichtet Al-Hadjadj. Die Ausländerbehörde habe über den Antrag des abgelehnten Asylbewerbers auf Aufenthaltserlaubnis, weil er eine Erwerbstätigkeit aufnehmen wollte, nicht entschieden. Weil die Law Clinic keine Antwort von der Behörde erhalten habe, hätten die Berater den Klienten schließlich an eine Anwältin verwiesen.
Für Menschen am Rande der Gesellschaft
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Hoda Bourenane bespricht die Fälle mit den Studierenden. Die Goethe-Uni Law Clinic wurde vor zehn Jahren gegründet, „um Menschen am Rand der Gesellschaft rechtlich Gehör zu verschaffen“, erläutert sie. Unter den Studierenden der Rechtswissenschaften gebe es großes Interesse an einer Mitarbeit. Rund 20 Studierende würden jedes Jahr durch Gespräche ausgewählt. Deren Rat ist gefragt: In die zweistündige Sprechstunde freitags kämen in der Regel mehrere Klienten. „In dreiviertel aller Fälle können wir weiterhelfen“, sagt die Juristin.
Die studentischen Beraterinnen und Berater werden in ihrem Studium ein Jahr lang auf ihre Aufgabe vorbereitet, wie die betreuende Rechtsprofessorin Andrea Kießling erläutert. Sie erhalten wöchentlich jeweils ein Semester lang eine Lehrveranstaltung zum Migrationsrecht und zum Sozialrecht, zudem wöchentlich Fallübungen, ein Blockseminar schult Beratungskompetenzen. Die Law Clinic verbinde Praxisnähe der Lehre, Lernen durch Engagement und Berufsorientierung. Für Ratsuchende habe sie sich zu einer wichtigen Anlaufstelle etabliert.
Rund 40 Beratungsstellen in Deutschland
Seit der Gründung der ersten studentischen Law Clinic in Gießen im Wintersemester 2007/2008 nach angloamerikanischem Vorbild sind in Deutschland rund 40 Beratungsstellen entstanden, die dem Netzwerk Refugee Law Clinics angehören und im Migrations- und Asylrecht beraten. Darüber hinaus gebe es auch Law Clinics, die für Sozial-, Gleichstellungs-, Arbeits- oder Umweltrecht beraten, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Leonie Hisam. Manche würden von Hochschulen getragen, viele seien als Verein organisiert. Die Software für die virtuellen Büros stelle die CMS-Stiftung kostenlos zur Verfügung.
Die Arbeit macht dem studentischen Team Spaß. „Die Beratung gefällt mir richtig gut“, sagt Sara Al-Hadjadj. Das Migrations- und Sozialrecht seien Fachgebiete, die im Pflichtstudium nicht examensrelevant, aber spannend seien. Auch Liam Knäbe macht gerne in der Sprechstunde mit: „Ich kann mein Wissen praktisch anbringen, anderen Tipps geben und gewinne selbst mehr Sicherheit.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama
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