
Blanker Rassismus
Herr Merz, eine Tochter antwortet.
Die Aussagen des Bundeskanzlers folgen einer langen Geschichte frauenfeindlicher und rassistischer Strategien – ein gewaltvolles Instrument. Schon die Nürnberger Gesetze dienten dem vermeintlichen Schutz deutscher Frauen.
Von Tara Rezaie Farmand Sonntag, 26.10.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.10.2025, 17:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Für Friedrich Merz sind Migrant:innen ein „Problem im Stadtbild“, das die Union versucht, mittels Abschiebungen zu lösen. Diese zutiefst rassistische Aussage trifft er bei seinem Antrittsbesuch in Brandenburg am 14. Oktober. Einige Tage später bittet ein Journalist ihn bei einer Pressekonferenz darum, diesen Satz genauer zu erklären. Doch statt den eigenen Rassismus zu reflektieren, beharrt Merz darauf: „Fragen Sie mal Ihre Töchter, was ich damit gemeint haben könnte“.
Die Unterstellung ist klar: Migrant:innen, allen voran migrantische Männer, seien eine Bedrohung für (junge) Frauen in Deutschland. Dass Merz und die Union sich nicht wirklich für die Rechte von Frauen einsetzen, ist offensichtlich. Abstimmungen gegen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen oder die Anzahl an Frauen in der Regierung und im Kanzleramt, machen das mehr als deutlich.
Viele Worte – nichts dahinter
Ein Blick auf Kriminalstatistiken des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt außerdem, dass der Aussage keine Fakten zugrunde liegen. Laut BKA steigen die Fälle häuslicher Gewalt, von der überwiegend Frauen betroffen sind, jedes Jahr weiter an. Aus der Statistik des letzten Jahres geht hervor, dass knapp 70 Prozent der Tatverdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Auch bei allgemeinen Gewaltdelikten liegt der Anteil an deutschen Tatverdächtigen bei 65,7 Prozent.
„In Merz‘ Aussagen äußert sich blanker Rassismus. Ähnliche Sätze findet man seit Jahren in Parteiprogrammen und Reden der AfD.“
In Merz‘ Aussagen äußert sich blanker Rassismus. Ähnliche Sätze findet man seit Jahren in Parteiprogrammen und Reden der AfD. Es ist offensichtlich: Der vermeintliche Schutz von Frauen wird instrumentalisiert, um rassistische und menschenfeindliche Ideologien zu untermauern.
Historisch wurden Frauen immer wieder instrumentalisiert
„Während der NS-Zeit begründeten die Nationalsozialisten die antisemitischen Nürnberger Gesetze mit dem vermeintlichen Schutz deutscher Frauen.“
Diese Strategie ist nicht neu. Während der NS-Zeit begründeten die Nationalsozialisten die antisemitischen Nürnberger Gesetze mit dem vermeintlichen Schutz deutscher Frauen. In Paragraf 3 des „Gesetzes zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ wurde festgelegt, dass „Juden [keine] weibliche[n] Staatsangehörige[n] deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt beschäftigen“ dürfen. Der jüdische Mann wurde gesetzlich als Feindbild zementiert, Opfer seien die deutschen Frauen.
Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Frauen instrumentalisiert, um ein xenophobes Feindbild des russischen Mannes zu schüren. In Westdeutschland sprach man lange nur von den sowjetischen Soldaten, die deutsche Frauen vergewaltigten. Hilfe vom Staat erhielten diese Frauen nicht. Stattdessen war es ihnen in der patriarchalen deutschen Nachkriegsgesellschaft unmöglich, über die sexualisierte Kriegsgewalt zu sprechen, die ihnen angetan wurde. Gleichzeitig wurde lange ignoriert, dass auch die Westalliierten Frauen vergewaltigten. Statt also ernsthaft auf die sexualisierte Gewalt an Frauen aufmerksam zu machen, schürte die Politik den Mythos des „guten Westens“ gegen den „bösen Osten“.
Wo bleiben die demokratischen Werte der CDU?
Dass sich die AfD – eine Partei, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde – solcher Strategien bedient, ist nicht überraschend, sollte aber dennoch immer wieder kritisiert und benannt werden. Dass die CDU die gleichen Taktiken verwendet, während sie die AfD gleichzeitig als „Hauptgegner“ bezeichnet, ist erschreckend. Denn hier zeigt sich, wie normalisiert Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der deutschen Politik sind, wie die CDU die Ideologien der AfD übernimmt und demokratische Werte immer weiter schwinden.
„Der Fokus auf den wirtschaftlichen Vorteil von Migration zeigt einmal mehr, wie Migrant:innen entmenschlicht und nur an ihrer kapitalistischen Leistung gemessen werden.“
Da hilft es auch nicht, dass Merz vor einigen Tagen bei einem Besuch in London betont, wie wichtig Migrant:innen wären – für den deutschen Arbeitsmarkt. Der Fokus auf den wirtschaftlichen Vorteil von Migration zeigt einmal mehr, wie Migrant:innen entmenschlicht und nur an ihrer kapitalistischen Leistung gemessen werden. Übrigens auch eine Strategie, die sich historisch durchzieht.
Es wird deutlich: Die Politik der Union steht nicht für den Schutz und die Rechte von Frauen ein. Sie arbeitet teilweise sogar aktiv daran, diese noch weiter einzuschränken. Diese Doppelmoral haben glücklicherweise sehr viele Menschen erkannt. Kurz nach Merz‘ „Töchter“-Aussage versammelten sich tausende Menschen vor der CDU-Parteizentrale in Berlin, um gegen seine menschenverachtenden Worte zu protestieren. Die Grüne aus dem nordrhein-westfälischen Castrop-Rauxel zeigte Merz sogar wegen des Verdachts der Volksverhetzung an. Diese Reaktionen geben Hoffnung darauf, dass es noch viele Menschen in Deutschland gibt, die Rechten und Rechtsextremen nicht das Feld überlassen wollen. (mig) Meinung
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- „Töchter gegen Rassismus“ Tausende protestieren gegen Merz‘ „Stadtbild“-Aussage
- Erinnerung an München 2016 Gutachten: Magdeburg-Attentäter Teil eines…
- Merz rudert zurück Können auf Menschen mit Migrationserfahrung nicht verzichten
- Keine Entschuldigung Merz will AfD mit „Stadtbild“ besiegen
- Blanker Rassismus Herr Merz, eine Tochter antwortet.
- Kein Einzelfall, keine Solidarität Vandalismus auf muslimischem Friedhof in Essen