
Rassismus überschattet Fußball
Schalke-Trainer Klartext: „Das ganze Stadion hat gepfiffen. Es ist keine Einzelperson.“
Rassistische Beleidigungen am Pokal-Wochenende gegen Spieler von Schalke und Kaiserslautern sorgen für Bestürzung. FIFA-Boss Infantino fordert lückenlose Aufklärung. Der DFB steht nun unter Zugzwang – und in der Kritik.
Von Arne Richter, Frank Kastner, Ulrike John und Niklas Graeber Montag, 18.08.2025, 15:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.08.2025, 15:28 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Rassistische Beleidigungen gegen Spieler, Pfiffe von vielen Fans gegen ein Opfer: Nach den Vorfällen bei zwei DFB-Pokalspielen wiegen die Vorwürfe besonders gegen die Anhänger des 1. FC Lok Leipzig schwer und alarmieren angesichts der gesellschaftspolitischen Dimension auch die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes und den Chef des Weltverbandes.
Während die Leipziger Polizei und der DFB-Kontrollausschuss nach den rassistischen Zuschauerrufen gegen Schalke-Profi Christopher Antwi-Adjei Ermittlungen aufgenommen haben, schaltete sich Gianni Infantino als höchste Fußball-Instanz ein. Er forderte eine konsequente Aufarbeitung und eine Bestrafung der Täter der praktisch zeitgleichen Vorfälle in Leipzig und Potsdam.
FIFA-Boss verlangt „Maßahmen“
„Die FIFA, das Spieler-Gremium und die gesamte Fußballgemeinde stehen fest an der Seite der von diesen Vorfällen Betroffenen – wir sind fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass Spieler respektiert und geschützt werden und dass die Wettbewerbsorganisatoren sowie die Strafverfolgungsbehörden entsprechende Maßnahmen treffen“, sagte Infantino.
Den DFB und seinen Präsidenten Bernd Neuendorf bringen die Ereignisse in Zugzwang. Sie machten in der als Fußball-Fest proklamierten ersten Pokalrunde auch auf dramatische Weise deutlich, dass der Kampf des Dachverbandes gegen Rassismus trotz jahrelanger Kampagnen bisher nicht gewonnen ist.
„Aber eine persönliche Beleidigung eines Spielers, das kann im Sport allgemein nicht vorkommen und es ist schon bedenklich, dass es immer wieder im Fußball vorkommt und in anderen Sportarten nicht in diesem Maße“, sagte der Vorsitzende des Fan-Bündnisses Unsere Kurve, Jost Peter.
Reaktion der Zuschauer unterschiedlich
Die fast gleichzeitigen Vorfälle am Sonntagnachmittag zeigten aber auch die Optionen einer Selbstregulierung gegen rassistische Auswüchse, die in Potsdam funktionierte, in Leipzig hingegen radikal scheiterte.
Während der Täter bei der Partie von Fünftligist RSV Eintracht Stahnsdorf gegen den 1. FC Kaiserslautern (0:7) nach seiner Beleidigung eines Pfälzer Profis mit Hilfe anderer Zuschauer identifiziert wurde und beide Fanlager im Karl-Liebknecht-Stadion „Nazis raus“ skandierten, wurde in Leipzig Antwi-Adjei von der Masse sogar noch bei jeder Ballberührung mit Pfiffen bedacht. Die Stahnsdorfer Club-Verantwortlichen distanzierten sich sofort energisch. Bei Lok verging zwischen Relativierung und Entschuldigung einige Zeit.
Schalke-Coach warnt vor Verharmlosung
Die Einzeltäter-Theorie wurde im Bruno-Plache-Stadion entlarvend lautstark widerlegt. Das hatte auch Schalkes Trainer Miron Muslic gleich nach dem Spiel festhalten wollen. „Das ganze Stadion hat glaube ich schon ein Gefühl gehabt, warum das Spiel unterbrochen ist – und das ganze Stadion hat gepfiffen. Es ist keine Einzelperson“, sagte der Österreicher mit bosnischen Wurzeln: „Aber leider Gottes ist das so gang und gäbe, dass man das verharmlost und dann abschiebt als ‚ein Idiot‘.“
Umso überraschender war die relativierende Reaktion von Hermann Winkler als Chef des Sächsischen- und Nordostdeutschen Fußballverbandes, der als Gast im Stadion „keine fremdenfeindliche Stimmung wahrgenommen“ hatte. Der DFB-Vizepräsident warnte zudem vor einer Vorverurteilung. „Bei aller Notwendigkeit einer zügigen Aufarbeitung dieses ernsten Themas, hört auf mit Spekulationen und Schuldzuweisungen, bevor nicht Spielbericht und Ergebnisse der polizeilichen Befragungen ausgewertet sind“, sagte Winkler der Deutschen Presse-Agentur.
In England ein ähnlicher Vorfall
Dem Vernehmen nach sorgte diese Einschätzung in der DFB-Zentrale für Bestürzung. Sie konterkarierte in jedem Fall die Bemühungen des deutschen Dachverbandes und die Forderung Infantinos nach einem energischen Einschreiten gegen rassistische Entgleisungen. Die FIFA hatte kürzlich mit einer Präzisierung ihres Protokolls bei rassistischen Vorfällen bis hin zu einem möglichen Spielabbruch den nationalen Verbänden einen Leitfaden gegeben.
Immer wieder muss sich der DFB gegen den Vorwurf wehren, zu wenig gegen Rassismus zu tun. Kritiker werfen den Verantwortlichen vor, aus Angst vor einem Imageschaden, die Augen zuzudrücken oder Vorfälle unter den Teppich zu kehren. Erst im März hatte das DFB-Sportgericht mit einer Entscheidung für Empörung gesorgt. In dem Fall hatten Jugendspieler von Hansa Rostock ihre Gegner aus Kiel rassistisch beleidigt. Daraufhin verließen die Kieler Spieler geschlossen das Spielfeld. Das DFB-Sportgericht bestrafte in der anschließenden Verhandlung die Rostocker Spieler, überraschend aber auch die Mannschaft aus Kiel. Begründung: Sie habe weiterspielen müssen. Kritiker werteten die Entscheidung als Schlag ins Gesicht der Opfer. Das Sportgericht verlange von Spielern, Rassismus bis zum Abpfiff zu erdulden.
Rassismus-Vorfälle gibt es auch in Fußballstadien anderer Länder. Beim Premier-League-Auftakt des FC Liverpool am Freitag wurde Bournemouth-Stürmer Antoine Semenyo rassistisch beleidigt, die Polizei nahm einen 47 Jahre alten Mann zum Zweck der Befragung kurzzeitig fest.
Pokal sorgt für Aufmerksamkeit
Für Beobachter der Szene kamen die Vorfälle dabei keinesfalls überraschend. Rassismus ist in Fußballstadien unverändert keine Seltenheit, jenseits des Glamourgeschäfts der Bundesliga sogar eher noch verbreitet. Für überregionale Aufmerksamkeit sorgte nun der nationale Pokalwettbewerb. Bei Spielen in unteren Ligen wäre ein öffentlicher Aufschrei kaum vernehmbar gewesen.
Nachdem ein Lok-Sprecher in der Halbzeitpause dem TV-Sender Sky gesagt hatte, dass die rassistische Beleidigung noch „nicht verifiziert“ werden konnte, entschuldigte sich der Nordost-Regionalliga-Meister am Sonntagabend.
„Überhaupt nicht stolz sind wir auf die rassistische Beleidigung, die der Schalke-Spieler Christopher Antwi-Adjei in der 15. Minute von einem Zuschauer erfahren musste“, schrieb der Club in einem Statement auf der Vereins-Internetseite: „Selbstverständlich entschuldigen wir uns im Namen des gesamten 1. FC Lok Leipzig in aller Form bei Christopher Antwi-Adjei und dem FC Schalke 04!“ In der Historie von Viertligist Lok Leipzig hatte es schon mehrere Fälle mit rassistischem oder rechtsradikalem Hintergrund gegeben.
Schalker Profi erstattet Anzeige
Antwi-Adjei hatte bei den Schiedsrichtern eine rassistische Beleidigung von der Tribüne gegen ihn kenntlich gemacht. Schiedsrichter Max Burda unterbrach die Partie beim Stand von 0:0 für wenige Minuten. Nach einem Hinweis durch den Stadionsprecher, dass diskriminierende Rufe zu unterlassen seien, wurde die Begegnung fortgesetzt. Antwi-Adjei wurde fortan bei jedem Ballkontakt von zahlreichen Lok-Fans ausgepfiffen. Der 31-Jährige hat Anzeige erstattet.
„Das haut nicht hin, nicht in der heutigen Zeit, generell gar nicht“, sagte der in Hagen geborene Offensivspieler. Laut seiner Aussage wurde das „N-Wort“ gerufen. Mit dem Begriff „N-Wort“ wird heute eine früher gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben. „Ich hoffe, die Person denkt noch mal über diese Worte nach“, sagte Antwi-Adjei. (dpa/mig) Leitartikel Panorama
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