
„Arschgeweih der Politik“
Steigende Ausgaben befeuern Debatte um Bürgergeld für Ukrainer
Die Ausgaben für das Bürgergeld sind zuletzt gestiegen – das erhöht den Druck auf die Regierung, die eine Kostensenkung angekündigt hat. CSU-Chef Söder will unter anderem bei ukrainischen Geflüchteten sparen und stößt auf Kritik – auch aus den eigenen Reihen.
Montag, 04.08.2025, 15:08 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 04.08.2025, 15:08 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Neue Zahlen zu den Bürgergeld-Ausgaben heizen die politische Debatte über das Einsparpotenzial an. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sagte am Montag mit Blick auf Ausgaben von knapp 47 Milliarden Euro im vergangenen Jahr: „Diese Zahl muss runter.“ Politiker sowohl aus der Union als auch aus der SPD drangen auf eine härtere Gangart bei kooperationsunwilligen Arbeitslosen. Umstritten ist, wie es mit den Ukrainern weitergehen soll, die Bürgergeld beziehen.
Am Wochenende war bekannt geworden, dass sich die Zahlungsansprüche von Menschen im Bürgergeldbezug 2024 auf insgesamt rund 46,9 Milliarden Euro summierten. Die Zahl setzt sich vor allem aus den Regelsätzen, den Ausgaben für Miete und Heizung sowie den Leistungen zur Sozialversicherung zusammen. Im Jahr 2023 hatten sich die Zahlungsansprüche auf 42,6 Milliarden Euro summiert, wie aus Angaben des Bundesarbeitsministeriums auf Anfragen der AfD-Fraktion hervorgeht.
Debatte um Sanktionen
Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD ist vorgesehen, das Bürgergeld zu einer „neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende“ umzubauen und dabei die Regeln zu verschärfen, um mehr Anreize für eine Arbeitsaufnahme zu schaffen. Davon erhofft sich die Koalition auch Einsparungen.
Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer sagte im ZDF-„Morgenmagazin“, jeder kenne Menschen, die Geld bekämen, es aber nicht bräuchten. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, sagte dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“: „Wer das System ausnutzt, dem muss mit klaren Sanktionen begegnet werden.“ Der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban sagte dem Redaktionsnetzwerk, die von der schwarz-roten Bundesregierung geplante neue Grundsicherung könne es nur noch für jene geben, die wirklich auf Hilfe angewiesen sind. „Nicht für die, die nicht arbeiten wollen“, fügte er hinzu.
Diskussion um Ukrainer
Verabredet ist im Koalitionsvertrag auch, dass Ukrainer, die nach dem 1. April 2025 nach Deutschland kamen oder kommen, kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern die niedrigeren Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder sprach sich am Sonntag im ZDF dafür aus, „am besten“ auch den anderen aus der Ukraine geflüchteten Menschen kein Bürgergeld mehr zu zahlen. Auch Kretschmer zeigte sich mit der Bürgergeld-Zahlung an die Ukrainer unzufrieden.
Der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille wollte dies am Montag nicht kommentieren. Söders Vorschlag gehe über den Koalitionsvertrag hinaus und sei daher zunächst in der Koalition zu besprechen und nicht in der Bundesregierung.
„Arschgeweih der deutschen Politik“
Der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels CDA, Dennis Radtke, kritisierte die Diskussion. „Die letzten Jahre sollten doch eigentlich gezeigt haben, dass wir mit breitbeinigen und marktschreierischen Forderungen beim Thema Flucht und Asyl nichts erreichen können“, sagte der Chef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) dem „Focus“.
Das Denken in Überschriften habe „sich leider zum Arschgeweih der deutschen Politik entwickelt. Eine Zeit lang nett, aber irgendwann ist man es einfach nur noch leid“, sagte der Europaabgeordnete weiter zu den Äußerungen seines Unionskollegen. „Die Menschen erwarten zu Recht von uns als Union staatstragende und handwerklich saubere Politik, statt einfach einen herauszuhauen.“
Kritik von der SPD
Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) indes zeigte sich offen für den Vorschlag. In der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv sagte Frei: „Tatsächlich hat Markus Söder recht, wenn er sagt, dass wir hier Leistungen ausbringen, wie es kein anderes Land der Erde tut.“ Das habe auch zu einer schlechteren Integration in den Arbeitsmarkt als in anderen Ländern geführt, so Frei. So arbeite in Deutschland nur jeder dritte erwerbsfähige Ukrainer.
Von der SPD kam Widerspruch gegen Söders Vorschlag. Die Einsparungen würden überschätzt und die Bürokratie wäre enorm, erklärte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. „Offenbar erhoffen sich einige in der Debatte durch die rückwirkende Bürgergeld-Streichung für Menschen aus der Ukraine große Einsparungen im Staatshaushalt“, erklärte der SPD-Politiker. „Da wird aber vernachlässigt, dass damit zusätzlich ein erheblicher Verwaltungsaufwand insbesondere für die Kommunen entstünde, der die Einsparungen faktisch wieder aufhebt. Das wäre einzig und allein das Prinzip ‚rechte Tasche, linke Tasche‘.“ (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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