
Asyl-Zahlen sinken
Debatte in Bayern um Abschiebung von psychisch Kranken
Vor zwei Wochen startete ein Abschiebeflieger nach Afghanistan. Unter den Abgeschobenen waren auch drei Männer, die zuvor in einer forensischen Klinik in Bayern waren. Das sorgt für Kritik. Derweil freut sich Söder über die „Migrationswende“. Die Asyl-Zahlen gehen in Bayern zurück – deutlich.
Donnerstag, 31.07.2025, 18:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 31.07.2025, 18:11 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Aus Bayern sind drei zuvor in einer forensischen Klinik für psychisch kranke Straftäter untergebrachte Männer nach Afghanistan abgeschoben worden – um die Abschiebepraxis ist nun eine Debatte entbrannt. Die bayerische Staatsregierung verteidigte das Vorgehen. „Die bayerischen Ausländerbehörden halten sich beim Vollzug von Rückführungen stets an Recht und Gesetz, so auch bei der vorliegenden Sammelchartermaßnahme nach Afghanistan. Mit dem Flug wurden ausreisepflichtige schwere Straftäter rückgeführt“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in München.
Die Kritik bezieht sich auf drei Männer, die „aus einer forensischen Psychiatrie in Unterfranken rückgeführt wurden“, wie Herrmann auf Nachfrage erklärte. „Mithin handelte es sich um Personen, die eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit und die bayerische Bevölkerung darstellten. Der Rechtsstaat gebietet es, solche Straftäter – unter Einhaltung aller Standards des deutschen und europäischen Rechts – außer Landes zu bringen.“
Betreuer: Abschiebung war „rechtswidrig“
Die drei Afghanen waren vor zwei Wochen mit 78 weiteren Personen mit einem Abschiebeflieger von Leipzig nach Kabul geflogen worden. Zunächst hatte der Bayerische Rundfunk über den Fall berichtet. Ein Betreuer von einem der Männer hatte darin schwere Vorwürfe gegen die Abschiebung erhoben. Zwar sei der Mann „vollziehbar ausreisepflichtig“ gewesen, gleichwohl sei die Abschiebung aus seiner Sicht aber „rechtswidrig“ gewesen.
Er beruft er sich auf Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes. Demnach darf nicht abgeschoben werden, wenn ein Ausreisepflichtiger krank ist und in seinem Heimatland nicht ausreichend medizinisch versorgt würde.
Herrmann weist Vorwurf zurück
Herrmann und das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen (LfAR) weisen diesen Vorwurf aber vehement zurück. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) habe alle drei Einzelfälle als allein zuständige Bundesbehörde geprüft und „in den konkreten Fällen keine Abschiebungsverbote, etwa wegen einer angeblich unzureichenden medizinischen Versorgung im Herkunftsland, festgestellt“, sagte Herrmann. Zudem seien die Männer am Flughafen nochmals von Ärzten überprüft und für flugfähig erklärt worden.
Der Präsident des LfAR, Axel Ströhlein, verwies zudem darauf, dass die Betroffenen beziehungsweise ihre Betreuer keinen Eilantrag auf einen einstweiligen Rechtsschutz gestellt hätten, der die Abschiebung hätte verhindern können.
Söder: Straftäter haben ihr Gastrecht missbraucht
„Es handelt sich um schwere Straftäter, schwere Straftäter, die ein Gastrecht hatten und dieses Gastrecht schwerst aufs Schwerste missbraucht haben“, betonte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Es sei völlig unverständlich, warum immer wieder versucht werde, genau bei dieser Zielgruppe in irgendeiner Form einen Aufenthalt zu verlängern. „Es ist an der Zeit, Konsequenz zu zeigen und nicht wieder alles zu verschleppen, zu verzögern und und irgendwie aufzuweichen.“
Auch vom bayerischen Flüchtlingsrat und von Pro Asyl kommt klare Kritik an der bayerischen Praxis: Abschiebungen aus Psychiatrien seien unverantwortlich und ein Skandal, zitiert der Bayerische Rundfunk Wiebke Judith von Pro Asyl. Es gehe um Menschen in einem psychischen Ausnahmezustand, die dringend ärztliche Hilfe bräuchten. In Afghanistan gebe es eine solche Hilfe nicht.
Abschiebungen nach Afghanistan sind auch politisch umstritten, weil sie eine Kooperation mit den Taliban erfordern. Die Bundesregierung strebt Rückführungen in das Land dennoch an, weil die Maßnahme Teil der sogenannten „Migrationswende“ ist, die Unionpolitiker vehement fordern. Sie streben an, die Zahl der Asylbewerber in Deutschland zu reduzieren. Das scheint zu gelingen, wie Söder und Herrmann am Donnerstag berichteten.
Asyl-Zahlen sinken: „Weniger rein, mehr raus“
Zahl neuer Asylbewerber in Bayern hat sich demnach im ersten Halbjahr im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2024 mehr als halbiert. Von Anfang Januar bis Ende Juni wurden 6.760 neue Asylbewerber gezählt. Das waren 57 Prozent weniger als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres mit damals 15.744 neuen Asylbewerbern. Gleichzeitig stieg die Zahl der Abschiebungen und freiwilligen Ausreisen auf 9.350.
„Die Migrationswende, der Richtungswechsel ist in vollem Gang und auch in Bayern angekommen“, sagte Söder. „Die Abschiebezahlen steigen und die Zugangszahlen sinken deutlich. Das Motto lautet: weniger rein, mehr raus.“ Herrmann betonte, die Zahl der Neuzugänge in Bayern sei im ersten Halbjahr geringer gewesen als die Zahl der sogenannten Aufenthaltsbeendigungen.
Härtere Flüchtlingspolitik
Söder und Herrmann führten dies auf die von der Staatsregierung und der neuen unionsgeführten Bundesregierung angestoßene härtere Flüchtlingspolitik zurück – diese Maßnahmen wirkten, unter anderem die schärferen Grenzkontrollen, aber auch die Bezahlkarte für Asylbewerber. Die beiden Politiker forderten aber auch viel mehr Abschiebeflüge, und zwar etwa auch nach Afghanistan. Ein schnelles Ende der umstrittenen und verschärften Grenzkontrollen lehnte Söder klar ab. „Die Richtung stimmt“, sagte er. Man werde aber noch einen langen Atem brauchen.
Im ersten Halbjahr zählten die Behörden in Bayern 1.788 Rückführungen von Ausländern und 7.562 freiwillige Ausreisen. Priorität habe dabei die Abschiebung von Straftätern. „Bis Ende Juni hat der Freistaat 674 Personen abgeschoben, die strafrechtlich verurteilt worden waren“, bilanzierte Herrmann. Der Anteil an den Abschiebungen liegt damit bei rund 38 Prozent.
Weniger Menschen in Asylunterkünften
Die sinkenden Asyl-Zahlen sorgen auch für etwas Entspannung in den Kommunen: Es mussten weniger Menschen in Asylunterkünften untergebracht werden als im vergangenen Jahr. „Lebten Ende 2024 noch 138.000 Personen in bayerischen Asylunterkünften, lag die Zahl Ende Juni bei 128.800 Personen“, sagte Herrmann. Dennoch sei es für eine Entwarnung zu früh – die Unterkünfte seien mit rund 87 Prozent immer noch stark belegt. Man gehe aber davon aus, dass die Zahlen weiter sinken – man werde deshalb in Summe keine neuen Unterkunftsplätze in den Kommunen mehr brauchen. Es sollten auch keine Flüchtlinge mehr in Turnhallen untergebracht werden. Söder sagte, der Druck auf die Kommunen sei immer noch zu hoch, er sinke aber ganz langsam.
Söder und Herrmann lobten dabei erneut die bayerische Grenzpolizei. Die sei seit der Verschärfung der Grenzkontrollen an zwölf Grenzübergängen an der Grenze zu Österreich und Tschechien fest im Einsatz, neben weiteren temporären Kontrollen und zusätzliche Schleierfahndungskontrollen.
Flüchtlingsrat: „Populistische Stimmungsmache“
In diesem Jahr registrierte die Grenzpolizei demnach bisher knapp 800 unerlaubten Einreisen und Wiedereinreisen – etwa ein Drittel weniger Fälle als im Vorjahreszeitraum. Auch die Schleusungsfälle hätten sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als halbiert auf zuletzt noch 36 Fälle.
Der Bayerische Flüchtlingsrat kritisierte die Wortwahl der Staatsregierung: Von einer Migrationswende könne keine Rede sein – man erlebe vielmehr eine Wende hin zu populistischer Stimmungsmache, rechtlichen Grauzonen und einem Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien. Die verstärkten Grenzkontrollen lösten keine Probleme. „Sie führen vor allem zu Überstunden bei der Bundespolizei und zu rechtswidrigen Zurückweisungen“, so der Flüchtlingsrat. (dpa/mig) Aktuell Politik
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