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Kiflemariam Gebre Wold © privat, bearb. MiG

Emanzipation

Migrantische Kollaborateure

Sie stammen ausländische Wurzeln und fordern Obergrenzen – über Anpassung, Selbstverleugnung und das gefährliche Spiel migrantischer Politiker:innen mit rechten Narrativen.

Von Donnerstag, 05.06.2025, 10:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 05.06.2025, 10:33 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Sie fallen durch ihre Haltung zu Migrationsfragen auf. Es sind Politiker:innen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die scheinbar die migrantischen Communities in Deutschland vertreten. Doch immer öfter übernehmen sie die Parolen jener politischen Lager, die Migration mit Misstrauen, Restriktionen und Angst begegnen – unabhängig davon, ob sie rechts, liberal oder links verortet sind.

Sie stechen in migrationspolitischen Debatten durch ihre anti-migrantische Haltung hervor. Ein wiederkehrendes Muster ist die abgestufte Leugnung der eigenen Herkunft – eine vermeintliche Notwendigkeit für die politische Karriere. Sie distanzieren sich – mal elegant, mal plump – von der eigenen Community und verteidigen Instrumente wie die „Obergrenze“ als angeblich sachliche Antwort auf „Zuwanderungsdruck“.

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In ihren Parteien werden sie nicht selten als „Vorzeigemigrant:innen“ präsentiert – doch rassistische Anfeindungen bleiben ihnen auch in diesen Rollen nicht erspart. Ein Beispiel: Kanzler Scholz’ rassistischer „Ausrutscher“ gegenüber Joe Chialo im Frühjahr 2025, den dieser nur als „herabwürdigend“ bezeichnete. Die sprachliche Relativierung von Rassismus durch Betroffene ist nicht neu – und ein Teil jenes komplexen Spannungsfeldes, in dem migrantische Repräsentant:innen agieren. Diese anti-migrantische Haltung findet sich nicht nur in der Politik, sondern auch in Kultur, Wissenschaft, Sport oder Wirtschaft.

Die deutsch-iranische Frontfrau

Ein prominentes Beispiel aus Deutschland ist Sahra Wagenknecht. Ihr Vater stammt aus dem Iran, die Mutter ist ostdeutscher Herkunft. Angesichts der von ihr geforderten Maßnahmen zur Migrationspolitik müsste man sich fragen, ob ihr Vater heute überhaupt noch nach Deutschland einreisen dürfte. Wagenknecht betont ihre Herkunft kaum – stattdessen schlägt sie politische Brücken zu rechten Positionen.

Das von ihr mitbegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bedient sich populistischer Rhetorik: Keine Fachkräfteanwerbung, „Asylmissbrauch“, vage Versprechen einer gerechteren Handelspolitik – flankiert vom Ruf nach UNHCR-Unterstützung, ohne ersichtliches Verständnis für dessen Funktion. Wer solche Forderungen formuliert, zeigt vor allem eins: außenpolitische Ahnungslosigkeit. Der Vorschlag, dass sich „gut integrierte“ Migrant:innen eine restriktive Migrationspolitik wünschten, gehört zur rhetorischen Tarnkappe.

Dänemarks harter Kursleiter

In Dänemark prägte Mattias Tesfaye – Sohn eines äthiopischen Geflüchteten und einer Dänin – jahrelang die migrationspolitische Linie. Er galt als Architekt der wohl restriktivsten Migrationspolitik Europas. Ein persönlicher „Integrationswillen“, der keine Grenzen kennt? Die NZZ fasste seine Haltung einmal so zusammen: „Kein Migrant ist ein guter Migrant.“

Tesfaye erklärte, nie Rassismus erlebt zu haben. Ein klassisches Narrativ der Distanzierung. Wer Diskriminierung leugnet, passt sich an – tiefgreifend. Die Konsequenz: Abkehr von der eigenen Community, Hinwendung zur Mehrheitsgesellschaft. Die unausgesprochene Hoffnung dahinter: Weniger Migration könnte bestehende Migrant:innen besser integrieren. Doch diese Logik ist gefährlich. Sie reproduziert die Annahme, dass nicht Rassismus das Problem sei, sondern die Anzahl der „Anderen“.

Tesfaye behauptete außerdem, Muslim:innen ließen sich schwerer integrieren als Menschen lateinamerikanischer Herkunft – ohne Beleg. Solche pauschalen Aussagen fügen sich gut in eine Debatte, die maßgeblich von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft gestaltet wird – mit vermeintlicher Expertise und ohne Gegenöffentlichkeit.

Koloniale Schatten in Westminster

Auch in Großbritannien finden sich solche Fälle. Suella Braverman, ehemalige Innenministerin, stammt von indischen Eltern, die aus Kolonien wie Kenia und Mauritius einwanderten. Dennoch äußerte sie sich wiederholt migrationsfeindlich. Ähnliches gilt für Ex-Premier Rishi Sunak, dessen Familie migrationsbedingt durch mehrere britische Kolonien zog.

Bei beiden scheint das koloniale Erbe eine Ambivalenz hinterlassen zu haben. Dass Teile migrantischer Communities solchen Politiker:innen Beifall spenden, ist ein Alarmsignal. Die Idee, weniger Migration nütze den „integrierten“ Migrant:innen, ist populär – aber sie ignoriert strukturelle Ungleichheit. Diese Haltung untergräbt Gleichberechtigung und reproduziert gesellschaftliche Spaltung. In der Kolonialzeit sprach man von Kollaborateuren. Heute sind es Vorzeigemigrant:innen, die bestehende Communities schwächen.

Die Allianz gegen „Wokeness“

Was sich heute weltweit abzeichnet, ist eine neue politische Allianz: rechte, konservative und auch migrantische Akteur:innen verständigen sich auf ein gemeinsames Ziel – den Angriff auf sogenannte „Wokeness“. Der kleinste gemeinsame Nenner: Migration soll begrenzt, Herkunft entpolitisiert und Kritik sprachlich entkernt werden.

Giorgia Meloni führt dieses Drehbuch seit Längerem in Italien auf. In den USA hat die Trump-Regierung bereits Begriffe wie „Rassismus“, „soziale Gerechtigkeit“, „Indigene“ oder „Black“ aus offiziellen Sprachregelungen gestrichen. Deutsche Konzerne beugen sich vorsorglich – aus Angst vor der nächsten Welle. Und wenn die AfD 2029 die Regierung stellt, könnte es auch in Deutschland heißen: „migrantische Community“ – gestrichen.

Emanzipation heißt Widerstand

Emanzipation wurde nie geschenkt. Sklaverei endete nicht am Runden Tisch, sondern durch Aufstand. Das gilt auch heute: Nur durch Bündnisse, Selbstbehauptung und klare Positionen können Migrant:innen ihre Rechte verteidigen. Herkunft ist keine Schwäche – sondern Teil politischer Identität.

Wir sollten uns nicht anbiedern. Und schon gar nicht verleugnen, wer wir sind. Der Kampf um ein Leben in Würde muss – wenn nötig – auch gegen migrantische Kollaborateure geführt werden. (mig) Meinung

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