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250.000 Menschen demonstrieren gegen Rechtsruck in München © Lukas Barth-Tuttas/AFP

Freiheits-Atlas

Demokratie und Menschenrechte unter Druck – auch in Deutschland

Ohne Angst seine Meinung sagen, demonstrieren, sich engagieren: Das kann nur ein kleiner Teil der Menschen auf der Welt. Auch in Europa ist die Lage nicht nur rosig, zeigt ein neuer Bericht. Deutschlands Haltung zu Gaza erntet deutliche Kritik.

Montag, 02.06.2025, 15:31 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.06.2025, 12:01 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nur 3,5 Prozent der Weltbevölkerung leben nach einer Untersuchung von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Staaten, die ihren Bürgerinnen und Bürgern alle Freiheiten garantieren. Insgesamt 40 Staaten sortiert der „Atlas der Zivilgesellschaft“, den das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt in Berlin veröffentlicht hat, hier ein. Das bedeutet aber auch: Ein Großteil der Menschen lebt mit gewissen bis gravierenden Einschränkungen ihrer Rechte.

Für den jährlich erscheinenden Atlas stützt sich Brot für die Welt auf Daten, die das Netzwerk Civicus bei zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit erhoben hat. Die Untersuchung deckt 197 Länder und Territorien ab.

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„Demokratie und Menschenrechte werden weltweit in einer Weise angegriffen, wie wir es seit Jahrzehnten nicht erlebt haben. Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Schutz vor staatlicher Willkür sind in immer mehr Ländern bedroht oder gar nicht mehr vorhanden“, erklärte die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin. Nur mit einer freien Zivilgesellschaft könne es eine lebendige Demokratie geben.

Freiheitsrechte in Deutschland als „beeinträchtigt“ eingestuft

Der Bericht teilt Staaten in fünf Kategorien ein. In den 40 als „offen“ eingestuften Ländern garantiert der Staat alle zivilgesellschaftlichen Freiheiten. In Europa gehören dazu unter anderem Österreich, Estland und die skandinavischen Staaten, weltweit sind Neuseeland und Jamaika darunter. Weniger als die Hälfte der EU-Staaten – zwölf Länder – führt der Bericht in dieser Kategorie.

Deutschland hält sich in der zweitbesten Gruppe „beeinträchtigt“, die 42 Länder und 11,1 Prozent der Weltbevölkerung umfasst. Die Rechte zur Versammlungs- oder Meinungsfreiheit werden von Ländern in dieser Kategorie überwiegend geachtet, es kommt aber zu Verletzungen. Argentinien, die Slowakei und die USA werden hier ebenfalls einsortiert. Die Herabstufung Deutschlands, die schon mit dem vorigen Bericht erfolgte, begründet Brot für die Welt unter anderem mit dem harten Vorgehen gegen die Klima-Protestgruppe Letzte Generation und zunehmender Gewalt gegen Journalisten.

Der aktuelle Bericht enthält auch Kritik an der deutschen Gaza-Politik: „Es gab sehr starke Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Gaza-Protesten. Das war von Verhältnismäßigkeit teilweise weit entfernt“, wird Dr. Nora Markard zitiert. Die Professorin für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz an der Universität Münster kritisiert beispielsweise die Versammlungsverbote nach dem 7. Oktober als „völlig unverhältnismäßig“. Teils gebe es immer noch starke Einschränkungen, etwa die Auflage, dass bei Gaza-Protesten alle Redebeiträge nur auf Deutsch gehalten werden dürfen.

Auch in Europa ist nicht alles rosig

Als „beschränkt“ stuft der Atlas 35 Staaten mit 12,9 Prozent der Weltbevölkerung ein. Zivilgesellschaftliche Organisationen werden schikaniert, die Polizei geht häufig mit Gewalt gegen Versammlungen vor. Mehrere europäische Staaten tauchen hier auf: Griechenland, Großbritannien, Ungarn und auch die Ukraine.

Als „unterdrückt“ gilt die Zivilgesellschaft der Erhebung zufolge in 51 Staaten, die 42,6 Prozent der Menschen auf der Erde abdecken. Regierungen überwachen, inhaftieren oder töten Kritiker, es gibt Zensur. Unter anderem Algerien, Mexiko, die Türkei und Thailand führt der Bericht hier auf.

Fast 30 Prozent leben mit harschen Einschränkungen

Russland und 28 weitere Länder werden als „geschlossen“ eingestuft. „Es herrscht eine Atmosphäre der Angst“, heißt es zur Erklärung. Kritik am Regime werde schwer bestraft. Insgesamt 29,9 Prozent der Menschen weltweit leben demnach unter diesen Bedingungen, etwa in Belarus, den Palästinensischen Gebieten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Nordkorea und Vietnam. In neun Ländern hat sich die Lage verschlechtert, in neun anderen hingegen verbessert.

Der Bericht legt in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Angriffe auf den Rechtsstaat. So werden rechtsstaatliche Prinzipien zum Beispiel mit Gesetzen untergraben, die behördliche Willkür ermöglichen oder Nichtregierungsorganisationen und Medien gängeln.

Organisationen setzen gezielt Klagen ein

In Georgien beispielsweise wurde ähnlich wie in Russland im vergangenen Jahr ein „Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“ verabschiedet. Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, müssen sich als „ausländische Agenten“ registrieren.

Zugleich setzen Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft dem Bericht zufolge in verschiedenen Weltregionen zunehmend auf die Justiz, um ihre Rechte durchzusetzen. Mit „strategischer Prozessführung“ wollen sie Präzedenzfälle schaffen und politische Änderungen bewirken. In Kenia zum Beispiel klagte eine Frau, die von einem Busfahrer verprügelt und ausgeraubt worden war, erfolgreich auf Schadenersatz, gemeinsam mit neun anderen Frauen, die sich einer Sammelklage angeschlossen hatten. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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