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Handy (Symbolfoto) © Alexas_Fotos @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

Problem ungelöst

Warum Migranten öfter von Glücksspielsucht betroffen sind

Migranten sind überdurchschnittlich oft von Glücksspielsucht betroffen. Digitale Angebote, soziale Ungleichheit und Bürokratie verstärken das Risiko — und treiben Betroffene in die Arme unkontrollierter Anbieter.

Mittwoch, 03.12.2025, 0:09 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.12.2025, 10:19 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Wenn in Deutschland über Migration gesprochen wird, dann meist über Themen wie Arbeitsmarkt, Wohnen oder Diskriminierung. Dass Freizeitverhalten ein ähnlich wichtiger Faktor für gesellschaftliche Teilhabe ist, bleibt hingegen oft unterbelichtet. Das zeigt sich nirgendwo deutlicher als beim Glücksspiel. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Menschen mit Migrationserfahrung stärker gefährdet sind, problematisch zu spielen. Dahinter steht kein einzelner Auslöser, sondern eine Mischung aus sozialer Benachteiligung, alltagsrassistischen Erfahrungen, eingeschränkten Zugängen zu Beratung und einem digitalen Glücksspielmarkt, der niedrigschwelliger funktioniert als klassische Freizeitangebote.

Glücksspiel ist damit weniger ein individuelles als ein gesellschaftliches Phänomen. Es zeigt sehr klar, wo Chancen fehlen und wo soziale Unterschiede den Alltag prägen. Während die öffentliche Debatte oft auf Regulierung, illegale Anbieter, Steuereinnahmen oder Werbeverbote fixiert ist, bleibt die Frage unbeantwortet, wer eigentlich gefährdet ist — und warum gerade bestimmte Gruppen durch die bestehende Politik nicht erreicht werden.

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Warum das Risiko höher ist

Im Alltag von Menschen mit Migrationserfahrung verdichten sich mehrere Risikofaktoren, die Glücksspiel besonders attraktiv erscheinen lassen. Viele leben in prekären Arbeitsverhältnissen, verdienen unregelmäßig oder müssen Angehörige im In- und Ausland unterstützen. Wenn Geld fehlt oder Unsicherheit dominiert, steigt die Versuchung, kurzfristig „auf einen Gewinn zu hoffen“ bei einer Runde „Book of Ra“. Glücksspiel wird dann weniger als Unterhaltung wahrgenommen, sondern als vermeintliche Möglichkeit, aus einer belastenden Situation herauszukommen.

Hinzu kommen Erfahrungen von Diskriminierung und Ausgrenzung. Wer im Alltag mit Rassismus oder institutionellen Hürden konfrontiert ist, empfindet Stress, Kontrollverlust und Ohnmacht. Glücksspiel, digitale Automatenspiele oder Sportwetten bieten hier scheinbar einen Raum, der für einen Moment das Gefühl vermittelt, Situationen beeinflussen zu können, auch wenn diese Kontrolle selbstverständlich illusorisch ist. Dieser Mechanismus ist gut erforscht, bleibt aber politisch selten Thema.

Zugang zu Hilfe

Ein weiterer Faktor ist der Zugang zu Hilfe. Viele Beratungsstellen arbeiten fast ausschließlich auf Deutsch, orientieren sich kaum an kulturellen Realitäten der Betroffenen und sind oft eng an Behördensysteme angebunden, denen viele Menschen mit Migrationserfahrung ohnehin misstrauen. Prävention erreicht die besonders gefährdeten Gruppen daher oft gar nicht. Viele stoßen erst dann auf Unterstützung, wenn die Abhängigkeit bereits weit fortgeschritten ist.

Parallel dazu haben digitale Glücksspielangebote eine Anziehungskraft entwickelt, die klassische Präventionsarbeit kaum einfangen kann. Die Registrierung ist einfach, die Werbung mehrsprachig, die Angebote rund um die Uhr verfügbar. Für Menschen, die digital gut vernetzt sind, aber nur eingeschränkt Zugang zu Freizeit-, Kultur- oder Sportangeboten vor Ort haben, bildet das eine gefährliche Kombination. Gerade in städtischen Randlagen, in denen soziale Infrastruktur fehlt, wird das Smartphone schnell zur zentralen Freizeitplattform — und Online-Zocke erscheinen nur wenige Klicks entfernt.

Schließlich spielt auch das Vertrauen in staatliche Institutionen eine entscheidende Rolle. Viele Menschen mit Migrationserfahrung berichten von Behörden, die kompliziert, unzugänglich oder abweisend wirken. Wenn Glücksspielangebote des Staates dann besonders streng reguliert und technisch kompliziert erscheinen, verstärkt das eher den Eindruck, dass staatliche Angebote Distanz schaffen statt Nähe. Wer ohnehin skeptisch ist, wendet sich nicht einer regulierten Plattform zu, sondern sucht Alternativen, die weniger Hürden aufbauen.

Warum ausländische Anbieter attraktiv wirken

Der deutsche Glücksspielstaatsvertrag sollte Ordnung in den Markt bringen, doch für viele Menschen sorgt er vor allem für eines: Abschreckung. Die Regulierung gilt als streng, unübersichtlich und wenig alltagsnah. Einsatzlimits, Identitätsprüfungen, Sperrsysteme und bürokratische Abläufe werden nicht unbedingt als Schutz erlebt, sondern häufig als Bevormundung — gerade von Menschen, die ohnehin schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht haben.

Während legale Anbieter durch diese Regeln an Attraktivität verlieren, locken ausländische Plattformen mit unkomplizierten Abläufen, grenzenlosen Einsatzmöglichkeiten, hohen Boni und einer Ansprache, die viele Sprachen und Lebensrealitäten berücksichtigt. Für Personen, die bereits ein erhöhtes Risiko tragen, ist das ein gefährlicher Mix. Statt in einem regulierten Umfeld zu spielen, das eigentlich Schutz bieten soll, rutschen viele genau in die unkontrollierten Bereiche ab, die am wenigsten Sicherheit bieten. Das Ergebnis ist nicht mehr Regulierung, sondern mehr Risiko.

Digitales Freizeitverhalten als Spiegel sozialer Ungleichheit

Die Diskussion über digitale Teilhabe konzentriert sich meist auf Schulen, auf den Arbeitsmarkt oder auf Verwaltungsabläufe. Doch auch im Bereich der Freizeit werden Unterschiede sichtbar. Wer keinen Zugang zu Vereinen, Sportangeboten oder kulturellen Treffpunkten hat, verbringt mehr Zeit im digitalen Raum. Wer durch unbequemes oder feindliches Behördenhandeln geprägt ist, vertraut staatlichen Systemen weniger. Und wer wenig finanziellen Spielraum hat, sucht häufiger Wege, um kurzfristig Entlastung zu spüren, selbst wenn die Entlastung eine Illusion ist.

Glücksspiel wird so zu einem sozialen Brennglas. Es zeigt, wo Teilhabe fehlt, wo Ungleichheiten bestehen und wie staatliche Regelungen wirken — oder eben nicht wirken.

Warum strengere Regeln das Problem nicht lösen

Die Politik hat in den vergangenen Jahren vor allem auf Kontrolle gesetzt. Doch die technischen Systeme, die eingeführt wurden, wirken auf viele Betroffene wie eine Erweiterung der Bürokratie. Wer ohnehin Vorbehalte gegenüber staatlichen Institutionen hat, fühlt sich bestätigt. Das Ergebnis ist ein paradoxes System: Die Menschen, die besonderen Schutz benötigen, werden gerade durch die strengen Regeln abgeschreckt. Sie wandern ab — nicht zu sichereren Anbietern, sondern zu riskanteren.

Wirksame Prävention setzt nicht bei der Überwachung an, sondern bei den Lebensrealitäten der Menschen. Dazu gehören mehrsprachige Beratungsangebote, kultursensible Prävention, stärkere Kooperationen mit Migrantenorganisationen, Vertrauensarbeit statt Misstrauensverwaltung und der Ausbau von Freizeit- und Begegnungsräumen in den Stadtteilen, in denen besonders viele Menschen mit Migrationserfahrung leben. Eine Regulierung, die weniger auf Strafen und mehr auf Verständlichkeit, Flexibilität und Nähe setzt, könnte verhindern, dass gerade die empfindlichsten Gruppen zu ungeschützten Anbietern abwandern.

Glücksspielpolitik ist Sozialpolitik

Glücksspielsucht betrifft nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen. Sie entsteht dort, wo Chancen fehlen, wo Ausgrenzung Alltag ist und wo Vertrauen in staatliche Institutionen brüchig bleibt. Migration ist nicht der Risikofaktor — es sind die sozialen Bedingungen, in denen viele Menschen mit Migrationserfahrung leben müssen. Wer dieses Problem ernst nimmt, muss über Regulierung hinausdenken und endlich die Menschen in den Mittelpunkt stellen, die bisher durch alle Raster fallen. (em) Panorama

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