
Mit Rammbock ins Schlafzimmer
Bundesverfassungsgericht rügt Polizeipraxis bei Abschiebung
Die Polizei darf nicht auf Grundlage einer Vermutung die Wohnungstür in einem Flüchtlingsheim aufbrechen, um eine Abschiebung durchzusetzen. Das Verfassungsgericht stellt damit eine in den vergangenen Jahren verschärfte Abschiebepraxis infrage. Pro Asyl spricht von einem „Denkzettel für die Regierung“.
Donnerstag, 20.11.2025, 14:38 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.11.2025, 14:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bei der Durchsetzung einer Abschiebung darf die Polizei die Wohnungstür in einem Flüchtlingsheim in der Regel nicht ohne richterliche Befugnis aufbrechen. Ist der aktuelle Aufenthaltsort des Flüchtlings nicht „sicher“ bekannt, handele es sich bei dem Vorgehen um eine Durchsuchung, sodass eine richterliche Genehmigung erforderlich sei, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss (AZ: 2 BvR 460/25). Andernfalls werde gegen das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verstoßen. Die Unterstützer des Beschwerdeführers sehen mit der Entscheidung einer erst vor wenigen Jahren verschärften Abschieberegelung die rechtliche Grundlage entzogen.
Im konkreten Fall sollte 2019 ein in einem Berliner Übergangswohnheim untergebrachter Flüchtling morgens abgeschoben werden. Ob dieser sich tatsächlich in seinem Zimmer aufhielt, war nicht bekannt. Polizisten klopften mehrfach an der verschlossenen Tür und brachen diese schließlich mit einem Rammbock auf. Eine richterliche Genehmigung hatten sie nicht. Die Beamten fanden den gebürtigen Guineer in seinem Bett. Der Mann sollte nach Italien abgeschoben werden, was jedoch wegen der abgelaufenen Überstellungsfrist scheiterte.
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde
Der Geflüchtete hielt das Vorgehen der Beamten für rechtswidrig und verwies auf das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung. Sowohl die zuständigen Behörden als auch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hielten die Maßnahme für rechtens. Sie argumentierten, das Handeln der Polizei sei keine Durchsuchung gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht sah das anders. Den Beamten sei nicht sicher bekannt gewesen, ob sich der Flüchtling tatsächlich in seinem Zimmer aufhält. Damit stellten das Aufbrechen der Tür und das Eindringen in den Raum eine Durchsuchung dar. Der betroffene Mann hatte mit Unterstützung der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl und der Gesellschaft für Freiheitsrechte Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Gesetzesverschärfung aus 2019
Hintergrund des Verfahrens ist eine 2019 beschlossene Änderung im Aufenthaltsgesetz. Sie erlaubte der Polizei, die Wohnung eines Menschen, der abgeschoben werden soll, auch ohne richterliche Genehmigung zu betreten, „wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet“.
In der vergangenen Wahlperiode wurde der Passus nochmals verschärft. Seitdem soll es bei beabsichtigten Rückführungen von Bewohnern von Flüchtlingsheimen auch erlaubt sein, die Wohnungen anderer Personen und Gemeinschaftsräume zu betreten. Ziel der Verschärfungen war, der Polizei mehr Möglichkeiten bei der Durchsetzung von Abschiebungen einzuräumen.
Verschärfter Abschieberegel Grundlage entzogen
Für diese Regelung bleibe mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „nahezu kein Anwendungsbereich mehr“, bewertete der Anwalt des Beschwerdeführers, Christoph Tometten, den Beschluss. Sarah Lincoln, Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte erklärte: „Abschiebungen sind kein Freibrief und Schlafzimmer von Geflüchteten keine rechtsfreie Zone“, sondern grundrechtlich besonders geschützt. Wiebke Judith von Pro Asyl bewertete das Urteil als „Denkzettel für die Regierung“.
Die Linken-Bundestagsabgeordnete Clara Bünger forderte politische Konsequenzen, indem statt über Verschärfungen bei Abschiebungen über eine wirksame Bleiberechtsregelung nachgedacht werde. Seit Jahren sei zu beobachten, dass Gesetzesverschärfungen und politischer Druck zu immer brutaleren Abschiebungen führten. Rechte von Geflüchteten dürfen „nicht immer weiter ausgehöhlt werden“. (epd/mig) Leitartikel Recht
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