
Klimakrise
Afghanistan vertrocknet – und die Welt sieht zu
Afghanistan ist in Deutschland oft nur Thema, wenn es um Abschiebung geht. Das Land selbst kämpft mit einem ganz anderen Problem: Klimakrise. Doch Hilfe gelangt kaum in das Land, das wegen der Taliban-Herrschaft international isoliert ist. Der Bauer Mohammad Amin hat dennoch Hoffnung.
Von Julian Busch Montag, 10.11.2025, 12:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.11.2025, 13:39 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Kleine Kuppeln wölben sich über die Dächer der Lehmhütten, die in der ockerfarbenen Landschaft verschwimmen. In einem kleinen Zimmer am Rande seines Gehöfts, rund 400 Kilometer nördlich von Afghanistans Hauptstadt Kabul, sitzt Mohammad Amin. Eigentlich sei das kleine Dorf Aimaq auf besonders fruchtbarem Boden gebaut, sagt der hagere Mann mit langem Rauschebart und weißem Turban.
Noch vor 15 Jahren seien zur Erntezeit jedes Jahr Dutzende Lastwagen, voll beladen mit Weizen und anderen Erzeugnissen, in die anliegenden Städte gerollt, erzählt Amin. Die Region in der Provinz Dschuzdschan sei bekannt für ihre Melonen gewesen. Doch mit den Jahren seien die Temperaturen gestiegen, während der Regen seltener gefallen sei. Heute gehe die Ernte fast gegen null. „Ich konnte in diesem Jahr nicht einmal mehr das Saatgut für die nächste Aussaat zusammenbekommen“, sagt Amin.
Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft
Wie kaum ein anderes Land trifft die Klimakrise Afghanistan, es gehört laut der „Notre Dame Global Adaptation Initiative“ zu den am stärksten betroffenen Ländern der Welt. Vor allem geringe Niederschläge und heiße Sommer machen den rund 40 Millionen Afghaninnen und Afghanen zu schaffen, von denen mehr als 80 Prozent von der Landwirtschaft leben.
So auch der Bauer Amin, der beim Gang über die Felder hinter seinem Haus die vertrockneten Blumen und verkümmerten Auberginen zeigt. Seit seiner Jugend bewirtschaftet der 76-Jährige knapp 86 Hektar Agrarfläche, Hilfe bekommt er von seinen beiden Söhnen. Weizen, Kichererbsen, Sesam, aber auch Melonen – fast alles habe man hier in der Region anbauen können, erzählt er. Doch in den vergangenen Jahren reiche der Ertrag für die rund 33 Personen seiner Großfamilie kaum noch zum Leben.
Die Brunnen sind schon lange versiegt
Es fehle der Regen, aber auch andere Wasserquellen würden knapper. Früher sei das Dorf, in dem etwas mehr als 100 Familien leben, durch Kanäle aus dem nahegelegenen Fluss Sar-e Pol versorgt worden, erzählt Amin. Doch das Wasser werde mittlerweile flussaufwärts von anderen Dörfern gestaut. Und die hiesigen Brunnen seien aufgrund des gefallenen Grundwasserspiegels schon lange versiegt. „Die Regierung konnte hier selbst in 180 Meter Tiefe kein Wasser finden“, sagt Amin.
In den nächsten Jahren könnte die Wasserknappheit sogar noch steigen: Laut einem Bericht der afghanischen Umweltschutzbehörde in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ist die Durchschnittstemperatur seit 1950 bereits um 1,8 Grad Celsius gestiegen. Im schlechtesten Fall droht bis 2050 ein Anstieg um drei Grad. Zugleich verfügt Afghanistan nicht über die Mittel, um sich gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen. Experten der Behörde schätzten bereits vor der Machtübernahme der Taliban vor mehr als vier Jahren, dass das Land dafür allein bis 2030 rund 20 Milliarden US-Dollar benötige.
Taliban von UN-Klimakonferenz ausgeschlossen
Internationale Hilfsgelder sind in den vergangenen Jahren jedoch drastisch zurückgegangen. Die Taliban-Regierung ist vor allem aufgrund der strikten Einschränkungen für Frauen und Mädchen international isoliert. Zwar konnten Vertreter der Taliban auf Einladung der aserbaidschanischen Regierung vergangenes Jahr als „Gäste“ an der Weltklimakonferenz in Baku teilnehmen. Doch von den offiziellen Klimaverhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen sind die Islamisten ausgeschlossen. Auch beim 30. Weltklimagipfel, der in wenigen Tagen in Brasilien beginnt, haben sie keine Mitsprache.
Um die Heimatregion von Amin in Zukunft trotz Klimawandel mit Wasser zu versorgen, hat die Taliban-Regierung zuletzt den Bau des Qosh-Tepa-Kanals massiv vorangetrieben. Die knapp 285 Kilometer lange Kanalrinne soll im Norden der Provinz Dschuzdschan das Wasser des Amu Darya speichern, der an der Grenze zu Usbekistan und Turkmenistan verläuft und könnte nach Fertigstellung bis zu eine halbe Million Hektar trockenes Land in der Region in fruchtbares Ackerland verwandeln.
Landwirt setzt auf Pfirsiche und Feigen
Doch wie schnell das Wasser des Kanals Bauern wie Amin erreichen könnte, ist bisher unklar. Um Dörfer wie Aimaq zu erreichen, müssten zahlreiche neue kleine Seitenkanäle gebaut werden. Laut einem Bericht der Denkfabrik „Carnegie Russia Eurasia Center“ waren zuletzt zudem Zweifel an der Nachhaltigkeit der Bauweise geäußert worden.
Hoffnung habe er dennoch, erzählt Amin. Im vergangenen Jahr habe eine französische Hilfsorganisation der Familie geholfen, mehr als 160 Pfirsich- und Feigenbäume zu pflanzen. Diese könnten den Temperaturen und dem Wetter besser standhalten. Mittlerweile habe sich die Familie fast vollständig auf die neue Zucht fokussiert, der Boden sei schließlich noch immer besonders fruchtbar. „Wenn es nur Wasser gäbe, könnten wir vermutlich nicht nur ganz Nordafghanistan versorgen, sondern auch in die Nachbarländer exportieren“, sagt er. (epd/mig) Aktuell Ausland
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