
Politik ad absurdum
Zahl der Syrer in Deutschland gestiegen
Der Machtwechsel in Syrien hat dazu geführt, dass weniger Menschen aus dem Land nach Deutschland ziehen. Aber in den ersten neuen Monaten des Jahres kamen weiterhin mehr syrische Staatsangehörige, als Deutschland verlassen haben. Die politische Debatte suggeriert das Gegenteil. Experten mahnen: keine vollmundigen Ankündigungen.
Sonntag, 09.11.2025, 11:36 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.11.2025, 12:05 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Während die politische Debatte über eine mögliche Rückkehr syrischer Geflüchteter in ihre Heimat der Bevölkerung in Deutschland suggeriert, die Zahl der Syrer in Deutschland werde sinken, veröffentlicht das Statistische Bundesamt ganz andere Zahlen. Demnach sind trotz des Sturzes des Assad-Regimes Ende 2024 in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres mehr Menschen aus dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land nach Deutschland gekommen als weggezogen. Wie das Amt in Wiesbaden mitteilte, registrierten die Meldebehörden von Januar bis September 2025 rund 40.000 Zuzüge von Syrerinnen und Syrern. Dem stünden 21.800 Fortzüge gegenüber.
Die auf vorläufigen Ergebnissen beruhenden Wanderungszahlen bezögen sich auf syrische Staatsangehörige, sagten also nichts über die Gründe oder den etwaigen Asyl- oder Schutzstatus der Menschen aus, erläuterte das Bundesamt. Aus der Statistik geht hervor, dass die Zahl der Zuzüge syrischer Staatsangehöriger im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 46,5 Prozent gesunken ist. Von Januar bis September 2024 waren noch etwa 74.600 Menschen aus Syrien nach Deutschland gezogen.
Über ein Drittel mehr Fortzüge
Die Zahl der syrischen Staatsangehörigen, die aus Deutschland fortzogen, habe sich im selben Zeitraum dagegen um mehr als ein Drittel erhöht (35,3 Prozent). Von Januar bis September 2024 waren nur etwa 16.100 Syrerinnen und Syrer aus Deutschland weggezogen.
Nach fast 14 Jahren Bürgerkrieg hatte eine Rebellenkoalition unter Führung der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) im vergangenen Dezember das diktatorische Regime des Präsidenten Baschar al-Assad in Syrien gestürzt. Ende Januar wurde HTS-Anführer Ahmed al-Scharaa zum Interimspräsidenten ernannt.
Union streitet über Aussagen von Außenminister Wadephul
Außenminister Johann Wadephul (CDU) hatte sich vor wenigen Tagen bei einem Besuch in dem Land skeptisch geäußert, dass Syrer in großer Zahl in ihr Heimatland zurückkehren können. Ein menschenwürdiges Leben sei dort kaum möglich. In den Unionsparteien hatte das teils scharfe Kritik hervorgerufen und war als Abkehr von dem politischen Ziel verstanden worden, syrische Straftäter und sogenannte Gefährder abzuschieben sowie eine freiwillige Rückkehr syrischer Flüchtlinge zu fördern.
Unionspolitiker sind seitdem um Klarstellung bemüht. Laut Fraktionschef Jens Spahn (CDU) sollen auch anerkannte syrische Flüchtlinge früher oder später Deutschland verlassen. Zuerst sollten Straftäter und Gefährder nach Syrien und auch Afghanistan zurückkehren, sagte der CDU-Politiker im „Interview der Woche“ der ARD. „Das sind zum Teil nur einige Dutzend, einige wenige Hundert“, so Spahn.
Experten mahnen: keine vollmundige Versprechen
Dann gehe es darum, Syrerinnen und Syrer bei einer freiwilligen Rückkehr zu unterstützen, auch finanziell. „Und der nächste Schritt ist dann, insgesamt bei denjenigen, die keinen dauerhaften Aufenthaltstitel in Deutschland haben, zum Beispiel subsidiär Schutzberechtigte, nach und nach zu sagen: ‚Ihr müsst in eure Heimat zurück, weil Flucht vor Bürgerkrieg war immer nur als vorübergehend gedacht, bis die Lage sich wieder daheim sortiert hat‘“, betonte Spahn. Viele Syrer sind als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt, ein Status, der oft an Bürgerkriegsflüchtlinge vergeben wird.
Experten mahnen, Politiker sollten keine vollmundigen Ankündigungen machen. Die Erfahrung aus dem Jugoslawienkrieg etwa zeige, dass viele Menschen auch nach dem Ende des Konflikts in Deutschland bleiben, weil sie sesshaft geworden sind. Wenn Kinder in Deutschland zur Welt kommen, eingeschult und sozialisiert werden, würden Familien sie nicht aus ihrem Leben herausreißen und nach Syrien zurückkehren, nur weil dort keine Bomben mehr fallen. Auf genau solche leeren Versprechen setze die AfD. Sie inszeniere sich dann als die Partei, die das Versprechen einlösen werde.
Große Mehrheit der Syrer in Deutschland genießt Schutz
Rund 1,22 Millionen Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte lebten laut Mikrozensus 2024 in Deutschland. Rund ein Viertel von ihnen besaß die deutsche Staatsbürgerschaft, etwa durch Einbürgerung. Laut Einbürgerungsstatistik wurden im vergangenen Jahr rund 83.200 Syrerinnen und Syrer eingebürgert, sie machten mit gut 28 Prozent den größten Anteil an allen Einbürgerungen aus. Es ist davon auszugehen, dass sie auch in den nächsten Jahren die größte Einbürgerungsgruppe stellen werden.
Laut Statistischem Bundesamt waren rund 713.000 Syrerinnen und Syrer als Schutzsuchende registriert. Knapp die Hälfte von ihnen kam in den Jahren vor und bis einschließlich 2016 erstmals nach Deutschland, lebte Ende 2024 also bereits acht Jahre oder länger hierzulande. Zwölf Prozent der syrischen Schutzsuchenden waren in Deutschland geboren. Schutzsuchende sind Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die sich unter Berufung auf völkerrechtliche, humanitäre oder politische Gründe in Deutschland aufhalten.
Deutlich mehr Asyl-Ablehnungen für Syrer im Oktober
Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mitteilt, sind im Oktober deutlich mehr Erstanträge syrischer Asylbewerber abgelehnt worden als in den Vormonaten. Insgesamt 1.906 erstmalige Anträge wurden in diesem Monat vom Bamf abgelehnt – im Zeitraum von Januar bis September waren es insgesamt nur 163 Ablehnungen. Anfang Dezember hatte das Bundesamt den Großteil der Entscheidungen über Anträge von Syrerinnen und Syrern ausgesetzt.
In der jüngsten Rechtsprechung lasse sich „eine vorsichtige Tendenz erkennen, dass die bislang befassten Gerichte Klagen gegen ablehnende Entscheidungen abweisen“, erklärte das Bamf unter Verweis auf mehrere Verwaltungsgerichte. „In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Bundesamts bestätigt die derzeit vorliegende Rechtsprechung die Auffassung des Bundesamts, dass aufgrund der veränderten Sachlage in Syrien bei jungen, gesunden Männern nicht in allen Fällen ein Abschiebungsverbot festzustellen ist.“ Seit Ende September entscheide das Bundesamt wieder Verfahren „aus der Gruppe der jungen, arbeitsfähigen, alleinreisenden Männer“. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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