
Würdiges Leben nicht möglich
Wadephul glaubt nicht an rasche Rückkehr von Syrern
Nach seinem ersten Besuch in Syrien sieht Außenminister Wadephul kaum Chancen, dass viele Syrer rasch in ihre Heimat zurückkehren. Dabei werden sie dort gebraucht für den Wiederaufbau. Das Bundesinnenministerium erlaubt weiter keine Erkundungsreisen.
Von Jörg Blank und Amira Rajab Sonntag, 02.11.2025, 11:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 02.11.2025, 11:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Angesichts der drastischen Zerstörung im vom Bürgerkrieg gezeichneten Syrien rechnet Außenminister Johann Wadephul nicht damit, dass kurzfristig eine große Zahl syrischer Flüchtlinge freiwillig in ihr Heimatland zurückkehrt. Beim Besuch eines Vorortes der Hauptstadt Damaskus, der im Bürgerkrieg stark verwüstet wurde, zeigte er sich bestürzt: Ein solch großes Ausmaß an Zerstörung habe er persönlich noch nicht gesehen. „Kurzfristig können sie nicht zurückkehren“, sagte der CDU-Politiker in Harasta. „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben.“ Noch immer sei sehr viel Infrastruktur in Syrien zerstört. „Und das wird nicht allzu viele jetzt dazu bewegen, kurzfristig diesen Schritt zu machen“, sagte Wadephul.
Wie das Bundesinnenministerium am Freitag mitteilte, können sich Syrer in Deutschland zudem kein eigenes Bild von der Lage machen. Sobald sie in die alte Heimat reisen, soll das auch in Zukunft grundsätzlich zum Verlust ihres Schutzanspruchs in Deutschland führen. „Das Bundesministerium des Innern hat sich nach eingehender Prüfung dagegen entschieden, kurzzeitige Heimreisen für Syrerinnen und Syrer ohne Auswirkungen auf den Schutzstatus zu ermöglichen“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Die Ampel-Regierung hatte überlegt, solche Erkundungsreisen zu ermöglichen, um eine mögliche Rückkehr vorzubereiten.
Syrien benötigt Fachkräfte für Wideraufbau
Dabei schätzt die syrische Regierung laut Wadephul die in Deutschland ausgebildeten jungen Syrer und benötigt sie für den Wiederaufbau. Sie könnten aber frei entscheiden, welchen Weg sie wählten. „Jeder, der bei uns bleibt und sich bei uns in unsere Gesellschaft einbringt, integriert arbeitet“ sei weiterhin willkommen. Zu Rückführungen einzelner schwerer Straftäter sei das Ministerium mit dem syrischen Außenministerium in Kontakt, sagte Wadephul.
Zuvor hatte Wadephul bei seinem ersten Besuch seit seinem Amtsantritt in Damaskus Interimspräsident Ahmed al-Scharaa und Außenminister Asaad al-Schaibani getroffen. Von beiden verlangte er, die syrische Regierung müsse den Menschen „ein Leben in Würde und Sicherheit“ garantieren. Nötig sei die Einbeziehung aller Bürger unabhängig von Geschlecht, religiöser, ethnischer oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Deutschland strebe freundliche Beziehungen mit dem Land an, betonte der CDU-Politiker. Die Reise war aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten worden.
Millionen-Hilfe für Syrien, Libanon und Jordanien
Wadephul kündigte Hilfen an – aber nicht nur für Syrien, sondern auch für den Libanon und Jordanien angesichts der humanitären Krisen dort. Zusätzlich soll es Hilfsmittel in Höhe von bis zu 52,6 Millionen Euro geben. Von den zusätzlichen Geldern entfallen nach Angaben des Auswärtigen Amts rund 39,4 Millionen Euro auf Syrien, 5,25 Millionen auf Libanon und 8 Millionen Euro auf Jordanien.
Die Mittel sollen humanitären internationalen Organisationen sowie Nichtregierungsorganisationen zugutekommen, die sich in den Bereichen Ernährungssicherung, Schutzmaßnahmen, Unterkünfte und Gesundheit engagieren.
Deutschland hat 2025 bisher rund 81 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Syrien zugesagt. Wadephul sagte, durch humanitäre Hilfe, Unterstützung bei der Räumung von Minen und Kampfmitteln sowie durch Investitionen in die Wirtschaft arbeite Deutschland am neuen Fundament für das Land mit. Syrien liege in direkter Nachbarschaft zur EU – was immer in dem Land passiere, „hat auch direkte und indirekte Auswirkungen auf uns in Deutschland“.
Deutschland wird nach Angaben von Wadephul seinen Beitrag als größter Geber für den sogenannten leistungsfähigen Wiederaufbaufonds Syriens um vier Millionen Euro erhöhen. Dies soll dem Fonds ermöglichen, mit Projekten das Leben von Menschen in Syrien zu verbessern und auch jene unterstützen, die zurückkehren wollen. Mit seiner zehnten Einzahlung hat Deutschland demnach insgesamt 110 Millionen Euro in den Fonds eingezahlt. Geld fließt auch an die Vereinten Nationen, um Täter von Menschenrechtsverletzungen während der Assad-Herrschaft zur Rechenschaft zu ziehen – seit Dezember vergangenen Jahres waren es insgesamt vier Millionen Euro.
Im Bürgerkrieg weitgehend zerstörte Vorstadt
Im Vorort Harasta ließ sich Wadephul ein von Deutschland unterstütztes humanitäres Projekt zeigen. Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 2011 lebten dort 30.000 Menschen, darunter 2.500 Christen. Seit 2012 wurde die Stadt Ziel von Luftangriffen und Artilleriebeschuss. Der Bezirk wurde durch Bombardements ziviler Infrastruktur fast vollständig zerstört, die Bevölkerung vertrieben.
In Damaskus informierte sich Wadephul über ein Projekt, das syrischen Binnenvertriebenen ermöglichen soll, Unterkünfte kostengünstig aus Lehmziegeln zu bauen. Es wird von einem deutschen Unternehmen mit Ingenieursleistung unterstützt.
Lage in Syrien ein Jahr nach Assad-Sturz weiterhin unübersichtlich
Die Übergangsregierung unter al-Scharaa bemüht sich, das Land zu stabilisieren. Bald ein Jahr nach dem Sturz von Langzeitmachthaber Baschar al-Assad bleibt die Lage in Syrien aber unübersichtlich und gefährlich. Es kommt immer wieder zu Gewaltausbrüchen, bei denen zum Teil Hunderte Menschen getötet wurden.
Der Interimspräsident war der Kopf der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) war, die die Rebellenallianz anführte, die Assad am 8. Dezember stürzte. Die Übergangsregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Syrien wieder an die internationale Staatengemeinschaft anzuschließen. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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