
Nebenan
Die Rückkehr der Remigrationsdebatte
Friedrich Merz hat seine Maske endgültig fallen lassen. Wer vom „Stadtbild“ als Problem spricht und von „Rückführungen“ fantasiert, sendet keine versteckten Signale mehr – er bläst ins Nebelhorn des offenen Rassismus.
Von Sven Bensmann Montag, 20.10.2025, 15:36 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.10.2025, 15:36 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Anfang des Jahres gingen deutschlandweit Millionen von Menschen auf die Straße, um gegen die Forderungen der AfD nach einer „Remigration“ auf ebenjene zu tragen, getrieben auch von einer Furcht, die CDU¹ unter Merz, die kurz zuvor erstmals im Bundestag mit der AfD zusammengearbeitet und abgestimmt hatte, könnte sich dieser Politik anschließen.
Anfang dieses Monats kündigte Merz nun an, die AfD „nicht mehr ignorieren“ zu wollen, was auch immer das angesichts seiner früheren Äußerungen von den „kleinen Paschas“ bis hin zu seiner Behauptung, die AfD halbieren zu wollen, auch immer noch zu bedeuten haben sollte. Was es wohl bedeuten soll, das machte er auf die ihm unverwechselbare Weise des hart rechten Stammtischgeredes, das immer noch ein ganzes Stück weiter nach rechts offen ist, deutlich. Manch einer sprach zwar von „dogwhistle“, aber wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland offen erklärt, dass er zwar die Zahl der Menschen, die in diesem Land Zuflucht vor Hunger, Krieg und Vertreibung bekommen, massiv reduzieren konnte, dass es in den Stadtbildern aber immer noch viel zu viele Leute gibt, die für ihn nach Ausländer aussehen und die deshalb wegmüssen, die er „rückführen“ (ergo: remigrieren) will, dann ist das keine Hundepfeife, dann ist das ein Nebelhorn, dass laut Rassismus in die Welt trötet.
„Mit der Aussage … impliziert der Herr … nicht nur seinen Konsens mit dem, was die AfD und ihr rassistisches Umfeld meinen, wenn sie „passdeutsch“ sagen …“
Vor allem aber ist es eine Aussage, hinter die er nicht mehr zurückkönnen wird. Denn mit der Aussage, dass es zu viele Menschen im Stadtbild gibt, die für ihn nicht deutsch genug sind, impliziert der Herr mit dem von ihm so verehrten Naziopa nicht nur seinen Konsens mit dem, was die AfD und ihr rassistisches Umfeld meinen, wenn sie „passdeutsch“ sagen, nämlich der Idee zweier Klassen von Deutschen. Er entkoppelt die Diskussion auch völlig vom Einzigen, was die CDU1 bisher noch halbwegs glaubwürdig von der AfD unterschieden hat: eine faktenbasierte Diskussionsgrundlage. Von jetzt an geht es nicht mehr um Zahlen oder Fakten, sondern nur noch Emotionen und ganz arme Würstchen.
Stadtbilder können schließlich nicht auf Basis von Zahlen argumentiert werden. Hier geht es nur noch um eine gefühlte Realität – und zwar die von Menschen, die häufig selbst noch keinen Nichtweißen gesehen, sondern allenfall davon gehört haben, dass es hinter dem Horizont alles ganz schlimm sein soll. Jeder weiß (pun intended) doch, dass diese Vorbehalte sich eigentlich gegen das Fremde und nicht etwa gegen PoC richten: Wo Fremde zu Bekannten werden, schwindet das rassistische Vorurteil wie das Eis am Nordpol. Daher ja auch das verbreitete Sentiment: „Die Ausländers solln alle abgeschiebt wern, die tun alle am kriminell seien. Nur nich mein Kumpel XY hier, der is wo einers von die Gutens.“ Was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht. Für den Bauer ist der Rassismus lediglich das Vehikel, dass das Unbehagen am Fremden sich sucht – wobei ich nicht gesagt haben will, dass es nicht auch echte Rassisten gäbe.
„Und genau diese echten Rassisten dürften sich nun einmal mehr durch Merz ermutigt und empowered fühlen, ihre national befreiten Zonen auf der Straße zu erkämpfen.“
Und genau diese echten Rassisten dürften sich nun einmal mehr durch Merz ermutigt und empowered fühlen, ihre national befreiten Zonen auf der Straße zu erkämpfen und all das, was Merz hier implizit als „Gesocks“ klassifiziert, mit Gewalt zu vertreiben. Denn auch wenn in der CDU derzeit immer wieder davon geraunt wird, Menschen den deutschen Pass entziehen zu wollen, wird das rechtlich wohl nicht so einfach werden, wie sich das in der Bierzeltrede oder der BILD (was ja im Endeffekt auf dasselbe hinausläuft) behaupten lässt. Die sauberen Stadbilder, von denen die CDU¹ phantasiert, werden also extralegal, also außerhalb geltenden Rechts, erkämpft werden müssen, wohl auch wegen dieser dummen Sache mit der Menschenwürde und so. Da kann der Nazienkel jetzt auch nicht mehr nach rechts oder links schauen.
Merz schafft für genau diese rechte Gewalt gerade rhetorisch die Grundlage und holt Neo- wie Altnazis aus dem Kabuff ihrer Abartigkeit und trägt ihre Forderungen hinein in einen politischen Diskurs, den sich eine Regierung mit SPD-Beteiligung (das sollte man dabei auch nicht vergessen) zu eigen macht.
Viele, die vor knapp einem Jahr genau deshalb auf die Straße gegangen sind, werden sich daher gerade von den jüngsten Außerungen bestätigt fühlen. Wenn wir das nächste Mal demonstrieren, werden also einmal mehr auch die alte, inoffizielle deutsche Nationalhymne singen:
Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten! Sozialdemokraten! (mig)
- Aufgrund der Forderungen des Bundeskulturkampfministers Wolfram Weimer, der das Gendern ablehnt, werden an dieser Stelle nicht mehr CDU und CSU explizit genannt. Die CSU ist aber natürlich stets mitgemeint.
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