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Daniel Lautenbacher © privat, Zeichnung: MiG

EES und ETIAS

Europas neuer Blick auf reisende Familien

Europa digitalisiert seine Grenzen: Jeder Grenzübertritt wird gespeichert. Das neue EES-System soll Sicherheit schaffen, wirft aber Fragen auf: Wer wird erfasst, wer bleibt ausgenommen?

Von Dienstag, 14.10.2025, 18:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.10.2025, 16:49 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Europa bekommt ein neues Gedächtnis – aus Daten, Gesichtern und Fingerabdrücken. Seit dem 12. Oktober 2025 wird jeder Grenzübertritt erfasst. Mit der Einführung des EES, dem sogenannten Einreise- und Ausreisesystem, werden alle Bewegungen von Reisenden aus Drittstaaten digital erfasst. Bis zum 10. April 2026 soll das System im gesamten Schengenraum vollständig in Betrieb sein.

Kurz darauf, im letzten Quartal 2026, soll ETIAS, das Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystem, folgen. Zwei technische Neuerungen, die auf mehr Sicherheit und Kontrolle zielen, aber für viele Menschen zunächst vor allem eines bedeuten: längere Wartezeiten und neue Pflichten.

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Mit dem EES wird der Grenzübertritt zu einem hochdigitalen Vorgang. Beim Einreisen werden künftig die Daten aus dem Reisepass erfasst, dazu Ort und Zeit des Grenzübertritts, biometrische Merkmale wie Gesicht und Fingerabdrücke, welche mit eventuellen Einreiseverweigerungen zusammengeführt werden. Diese Informationen bleiben drei Jahre gespeichert – oder bis zu fünf, wenn keine Ausreise registriert wird.

Welche Familienmitglieder betroffen sind – und welche nicht

Besonders wichtig ist die Frage, wer im System erfasst werden muss. Familienangehörige von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, die ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht genießen, werden beim Grenzübertritt nicht im EES gespeichert. Nur ihre Ausreise wird – sofern sie keine Aufenthaltskarte vorlegen – für ein Jahr vermerkt.

Das abgeleitete Freizügigkeitsrecht besteht in der Regel auch dann, wenn das Familienmitglied gemeinsam mit dem EU-Bürger in dessen Herkunftsland reist, sofern der Unionsbürger zuvor in einem anderen Mitgliedstaat – meist für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten – von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat.

Die offizielle Formulierung auf den Informationsseiten der EU zum EES lässt diesen wichtigen Aspekt bislang leider offen – ein Fehler, der leicht zu Missverständnissen führen kann. Da heißt es:

„Bürger*innen der EU, des EWR oder der Schweiz begleiten, die in einem Mitgliedstaat reisen oder sich dort aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen.“

Es müsste eigentlich heißen:

„Bürger*innen der EU, des EWR oder der Schweiz begleiten, die in einem Mitgliedstaat reisen oder sich dort aufhalten, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, es sei denn, der EU-Bürger hat bereits zuvor von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht oder befindet sich gemeinsam mit dem Familienmitglied nur auf der Durchreise zu einem anderen Mitgliedstaat.“

Freizügigkeit bleibt bestehen

Familienmitglieder aus Drittstaaten, die bereits über eine Aufenthaltskarte verfügen, sind vom EES und der Datenspeicherung weitgehend ausgenommen. Ihre biometrischen Daten wurden bereits bei der Ausstellung der Aufenthaltskarte erhoben. Gleiches gilt für Inhaberinnen und Inhaber von Aufenthaltstiteln oder längerfristigen Visa über 90 Tage.

Auch an den Grenzen selbst bleibt alles weitgehend gleich: Nach dem Schengener Grenzkodex müssen z. B. Grenzübergänge an Flughäfen, nach Möglichkeit getrennte Kontrollspuren einrichten – eine für Drittstaatsangehörige, eine für EU-Bürgerinnen, EU-Bürger und deren Familien. Wer also eine gültige Aufenthaltskarte besitzt, darf selbstverständlich die EU-Spur benutzen. Sollte Flughafenpersonal anderes empfehlen, kann man freundlich, aber bestimmt auf die geltenden Regelungen und die Aufenthaltskarte verweisen.

ETIAS: Die zweite Stufe der Einreisekontrolle

Mit ETIAS folgt ab Ende 2026 eine weitere Stufe der Digitalisierung. Drittstaatsangehörige müssen dann vor ihrer Einreise eine elektronische Genehmigung beantragen – ähnlich wie das US-amerikanische ESTA-System. Diese Pflicht entfällt jedoch für Familienangehörige freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger, sofern sie eine Aufenthaltskarte besitzen. Für alle anderen bedeutet ETIAS: ein weiterer Antrag, eine Gebühr, ein Schritt mehr auf dem Weg über die Grenze.

EES und ETIAS sind Ausdruck eines Europas, das sich neu ordnet – wachsamer, technischer, manchmal schwerfälliger, doch immer bemüht, Sicherheit und Freiheit ins Gleichgewicht zu bringen. Wer Europa kennt, weiß: Das Freizügigkeitsrecht ist mehr als nur eine Richtlinie. Es ist das Herz der europäischen Idee, welches auch hinter den digitalen Grenzen des Kontinents weiter schlägt. Meinung

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