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Hand an einem Stacheldrahtzaun (Archiv) © Beata Zawrzel/AFP

Polen

Die Flüchtlingshelfer aus dem Grenzwald

Die Bilder von verzweifelten Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze gingen 2021 um die Welt. Dann wurde es ruhiger, zumindest in internationalen Medien. Doch die Krise dauert an, sagen Helfer, ebenso wie die Gewalt in der Grenzregion.

Von Donnerstag, 18.09.2025, 10:58 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.09.2025, 10:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Der Bialowieza-Wald an der polnisch-belarussischen Grenze ist ein friedlicher Ort. Die Abendsonne taucht die Baumwipfel in warmes Licht. Touristen übernachten hier in der Hoffnung, Wisenten zu begegnen, europäischen Bisons, die in dem Wald noch frei umherziehen.

Doch wer Aleksandra Chrzanowska durch das dichte Baumwerk folgt, stößt auf Zeugnisse einer seit 2021 andauernden Krise: zerstörte Handys, eine abgewetzte Jacke, Schuhe. Zielsicher steuert die 45-Jährige die Fundorte an. Chrzanowska kennt sich gut aus in dem Wald, in den sie immer wieder aufbricht, um Flüchtlingen zu helfen.

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Als Chrzanowska, für die die Hilfe im Wald ein Vollzeitjob ist, im Herbst 2021 anfing, fand die Situation an der mehr als 400 Kilometer langen Grenze zu Belarus viel Beachtung. Bilder von geflüchteten Familien, die in dem Gebiet ausharrten, gingen um die Welt. Belarus‘ autoritär herrschender Machthaber Alexander Lukaschenko hatte Geflüchtete und Migranten aus Ländern wie Irak und Syrien mit dem Versprechen ins Land geholt, sie kämen über die Grenze zu Polen in die EU.

Mittlerweile sind die Kameras weg, doch immer noch stranden Geflüchtete laut Helferinnen und Helfern in dem unwegsamen Wald, wenn auch weniger. Und so hat sich die Arbeit von Grupa Granica verstetigt, einem Netzwerk von Anwohnern und Aktivistinnen. Werden sie auf Schutzsuchende aufmerksam, kommen sie, um sie mit Essen und Wasser zu versorgen, ihre Verletzungen zu behandeln oder ihnen den Weg durch den Wald zu weisen. Durchschnittlich ein bis drei Hilferufe pro Tag hätten sie zuletzt erreicht, erzählt Chrzanowska.

Gewalt und Pushbacks sind Alltag

Dass es weniger Geflüchtete nach Polen schaffen, ist für Chrzanowska auch eine Folge der massiven Abschottung. Deren sichtbares Zeichen ist ein 187 Kilometer langer und fünfeinhalb Meter hoher Grenzzaun, oben und in der Mitte mit mehreren Rollen Klingendraht verstärkt. Hinzu kommen 11.000 Grenzbeamte und Soldaten. Seit Russlands Vollinvasion in der Ukraine im Februar 2022 vermischt sich die Migrationsabwehr hier auch mit der Furcht vor einer militärischen Bedrohung an der EU-Ostgrenze.

Dabei gehörten Gewalt und Pushbacks nach wie vor zum Alltag, so erzählen es Helferinnen und Helfer. In mehr als 1.870 Fällen wurden allein in diesem Jahr laut der Initiative „We are Monitoring“ Menschen aus Polen zurück nach Belarus gezwungen, ohne ihr Asylbegehren zu prüfen. 102 Menschen sind demnach seit 2021 in dem Grenzgebiet auf polnischer oder belarussischer Seite ums Leben gekommen.

Info: Die mehr als 400 Kilometer lange Grenze zwischen Polen und Belarus ist seit Jahren Schauplatz von Flucht und Abschottung. Um Geflüchtete abzuhalten, die über Belarus in die EU kommen wollen, hat die polnische Regierung die Grenzanlage massiv ausgebaut, unter anderem mit einem 187 Kilometer langen und fünfeinhalb Meter hohen Grenzzaun. Menschenrechtler werfen den Sicherheitskräften auf beiden Seiten der Grenzen Gewalt vor. Aus Polen werden laut „Human Rights Watch“ immer wieder Menschen nach Belarus zurückgedrängt, ohne ihre Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen. Die lokale Initiative „We are Monitoring“ zählt seit Beginn der Krise im Jahr 2021 fast 11.300 solcher Pushbacks. Medico international bezeichnet das Grenzgebiet im Bialowieza-Wald als „tödliche Zone für Menschen auf der Flucht“. Gewalt an der Grenze dokumentiert auch „Ärzte ohne Grenzen“. Von November 2022 bis November 2024 behandelte die medizinische Hilfsorganisation 442 Menschen in den Wäldern. Etwa die Hälfte von ihnen war demnach schwer verletzt, unter anderem durch Schläge, Hundebisse und Gummigeschosse.

Frust bei Helfern

Juristisch setzt Polen ebenfalls weiter auf Abschottung. Im Frühjahr schränkte die Regierung des liberal-konservativen Ministerpräsidenten Donald Tusk das Asylrecht an der Grenze stark ein. Das rigide Vorgehen begründet Polen damit, dass Belarus, ein enger Verbündeter Russlands, die Schutzsuchenden als Waffe einsetze. Ähnlich äußert sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Aus Sicht von Katarzyna Czarnota von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, deren Arbeit von der deutschen Hilfsorganisation medico international unterstützt wird, sind solche Erklärungen Teil des Problems. Zwar habe das Regime von Lukaschenko 2021 tatsächlich gezielt Menschen an die Grenze gefahren, um Bilder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen zu erzeugen, sagt Czarnota. Inzwischen sei die Migrationsroute jedoch weniger orchestriert. Aufgegangen sei die Strategie von Lukaschenko ohnehin nur, weil man sich in der EU nicht dazu durchringen könne, die Menschen aufzunehmen.

Viele Helferinnen und Helfer sind frustriert, dass sich seit Beginn der Krise nichts geändert hat, so auch Katarzyna Poskrobko. Die 46-Jährige arbeitet für die Initiative Egala und unterstützt Geflüchtete in einem Krankenhaus in Hajnowka, einer kleinen Stadt nahe der Grenze. Sie leisten rechtlichen Beistand oder bringen Kleidung und Essen vorbei. Mit dem Krankenhaus gebe es eine Übereinkunft über ihre Hilfe, sagt Poskrobko.

Manche Soldaten helfen

Typische Verletzungen seien Brüche und tiefe Schnittwunden, die sich die Geflüchteten zuziehen, wenn sie vom Zaun springen, erzählt Poskrobko. Es seien aber auch schon Menschen geschlagen worden, mutmaßlich von polnischen oder belarussischen Sicherheitskräften.

Der polnische Grenzschutz geht auf Nachfragen zu solchen Vorwürfen nicht ein. Stattdessen verweist ein Sprecher auf Hunderte Migrantinnen und Migranten, denen geholfen worden sei.

Poskrobko, die eine Bluse mit Blumenmuster trägt, über die sie eine dunkelgraue Strickjacke geworfen hat, wirkt nicht wie eine typische Aktivistin. Es ist ihr wichtig zu erwähnen, dass es Soldaten gibt, die Geflüchteten helfen. Auch der Grenzschutz habe Verletzte in das Krankenhaus gebracht. Doch von der Politik ist Poskrobko enttäuscht. „Niemand redet mit uns oder interessiert sich für unsere Perspektive“, sagt sie. (epd/mig) Leitartikel Politik

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