
Smartwatches für Kinder
Sicherheit und Kontrolle per GPS – aber nicht für alle Familien erreichbar
Für viele Eltern sind Smartwatches mit GPS eine digitale Lebensleine: Sie versprechen Sicherheit im Alltag und Orientierung in einer fremden Umgebung. Doch die Technik hat ihren Preis – und damit bleiben gerade Familien mit wenig Geld, darunter viele Geflüchtete, außen vor.
Donnerstag, 04.09.2025, 0:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 05.09.2025, 9:38 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der erste Schultag in einem neuen Land ist für viele Familien ein großer Schritt. Besonders Eltern, die mit ihren Kindern erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen sind, kennen die Umgebung oft noch nicht gut. Straßen, Buslinien, Schulwege – all das ist neu und ungewohnt. Hinzu kommt die Sorge: Was, wenn das Kind sich verläuft oder im Notfall nicht weiß, an wen es sich wenden soll?
Eine Smartwatch mit GPS-Funktion scheint da eine beruhigende Lösung zu sein. Per App können Eltern jederzeit nachsehen, wo sich ihr Kind gerade aufhält. Mit einem Knopfdruck lässt sich telefonieren, Nachrichten können verschickt werden. Für viele Eltern bedeutet das: ein Stück Sicherheit in einer unsicheren Situation.
Vertrauen oder Kontrolle?
Doch so hilfreich die Technik sein kann – sie ist nicht unumstritten. Kritikerinnen und Kritiker warnen vor einer „digitalen Leine“. Ständige Standortüberwachung könne das Vertrauen zwischen Eltern und Kindern untergraben. Statt eigenständig Erfahrungen zu sammeln, würden Kinder das Gefühl haben, ständig kontrolliert zu werden.
Befürworter entgegnen: Smartwatches ermöglichen gerade mehr Freiheit. Eltern trauen sich eher, ihre Kinder allein zum Spielplatz oder auf den Schulweg gehen zu lassen, wenn sie im Notfall eingreifen können. Für viele Familien mit Migrationserfahrung ist das ein entscheidender Punkt: Sie wollen ihre Kinder schützen, ohne sie einzusperren.
Sicherheit hat ihren Preis
Ein Blick auf den Markt zeigt jedoch schnell: Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif. Die meisten Smartwatches mit GPS kosten zwischen 100 und 200 Euro. Hinzu kommt die laufende Mobilfunkverbindung, für die eine SIM-Karte mit Datenvolumen nötig ist – egal ob Vertrag oder Prepaid. Monatlich fallen so weitere Kosten an. Und wer auch noch Wert auf ein stylisches Aussehen legt und beispielsweise ein Armband für eine Samsung Watch bestellen möchte, muss zusätzlich in die Tasche greifen.
Für Familien, die gerade erst in Deutschland Fuß fassen, sind solche Ausgaben eine enorme Belastung. Die ersten Monate sind oft von hohen Kosten geprägt: eine neue Wohnung einrichten, Möbel besorgen, Fahrkarten kaufen, Sprachkurse bezahlen. Da bleibt für zusätzliche Technik selten Geld übrig.
Geflüchtete: Kein Geld, keine Arbeitserlaubnis
Besonders deutlich wird das Problem bei Geflüchteten. Wer in Deutschland Asyl beantragt, lebt zunächst von den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Diese decken das Allernötigste ab: Unterkunft, Kleidung, Lebensmittel. Für Extras wie eine Smartwatch reicht das Geld schlicht nicht.
Hinzu kommt: Während des Asylverfahrens dürfen Geflüchtete meist nicht arbeiten. Das bedeutet, sie können kein zusätzliches Einkommen erwirtschaften, um ihren Kindern digitale Sicherheit zu ermöglichen. Dabei sind es gerade sie, die oft in unsicheren Wohnumgebungen leben, die Sprache noch nicht sprechen und deren Kinder besonders verletzlich sind.
Die Folge: Ausgerechnet diejenigen, die am stärksten auf Schutz und Sicherheit angewiesen wären, bleiben vom Zugang zu dieser Technik ausgeschlossen.
Digitale Kluft im Kinderzimmer
Smartwatches für Kinder sind damit mehr als nur ein Gadget. Sie machen sichtbar, wie ungleich digitale Teilhabe in Deutschland verteilt ist. Während die einen ihre Kinder mit Hightech am Handgelenk ausstatten können, müssen andere erklären, warum „alle in der Klasse so eine Uhr haben – nur ich nicht“.
Das erzeugt neue Formen von Klassismus: Wer es sich leisten kann, kauft Sicherheit. Wer kein Geld hat, bleibt außen vor. Für Kinder mit Migrationserfahrung bedeutet das nicht nur weniger Schutz, sondern oft auch sozialen Druck im Alltag.
Digitale Teilhabe als Grundausstattung?
Die Debatte um Smartwatches für Kinder wirft eine größere Frage auf: Sollte digitale Sicherheit zur Grundausstattung gehören – ähnlich wie ein Fahrradhelm oder eine Schultasche?
Bisher wird Technik in Deutschland vor allem als Privatangelegenheit betrachtet. Doch je mehr digitale Geräte in den Alltag von Kindern einziehen, desto klarer wird: Wer keinen Zugang hat, ist benachteiligt. Wenn Bildung, Sicherheit und Teilhabe von digitalen Geräten abhängen, darf der Geldbeutel der Eltern nicht das entscheidende Kriterium sein.
Blick über die Grenzen
Auch in anderen Ländern wird über Kinder-Smartwatches diskutiert. In den Niederlanden hat die Datenschutzbehörde mehrere Modelle wegen mangelhafter Sicherheit vom Markt genommen. In Skandinavien fördern einige Schulen den Einsatz digitaler Geräte aktiv – während in Frankreich bereits seit 2018 ein Verbot von Handys und ähnlichen Geräten auf dem Schulgelände gilt.
Die Debatte zeigt: Es geht nicht nur um Technik, sondern um die Frage, wie weit Gesellschaften bereit sind, Kinder im Alltag digital zu begleiten – und zu kontrollieren.
Fazit
Smartwatches mit GPS können Eltern ein Stück Sicherheit geben und Kindern Freiräume eröffnen – besonders dann, wenn eine Familie neu in Deutschland ist und sich erst orientieren muss. Doch die Technik zeigt auch: Sicherheit ist in Deutschland eine Klassenfrage.
Für viele Familien mit Migrationserfahrung und besonders für Geflüchtete bleibt der Zugang zu digitaler Sicherheit unerreichbar. Während andere ihre Kinder per Knopfdruck im Blick behalten können, müssen sie auf das Wichtigste setzen: Vertrauen, Geduld und die Hoffnung, dass ihre Kinder den Weg in der neuen Heimat auch ohne digitale Unterstützung finden. (bg) Panorama
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