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Afghanen am Flughafen Hannover-Langenhagen © Michael Matthey/AFP

Ringen um jeden Einzelfall

Worum geht es im Streit um die Aufnahmen aus Afghanistan?

Vier Jahre nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan warten in der Region noch rund 2.300 Menschen, denen Deutschland eine Aufnahme versprochen hatte. Warum und wie sind sie zum Politikum geworden?

Von Dienstag, 02.09.2025, 14:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 02.09.2025, 14:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

45 von noch rund 2.300 gefährdeten Afghaninnen und Afghanen, denen Deutschland eine Aufnahme zugesagt hat, durften am Montag nach teilweise jahrelangem Warten einreisen. Seit die neue Koalition aus Union und SPD regiert, werden die Aufnahmen von Menschen, die unter den Taliban Verfolgung fürchten müssen, infrage gestellt. Um jeden Einzelfall wird gerungen, auch vor Gerichten. Darum geht es:

Was ist der Grund für die Aufnahmen?

Als im Sommer 2021 die internationalen Streitkräfte Afghanistan nach 20-jährigem Militäreinsatz überhastet und unvorbereitet verließen, eroberten die Taliban das Land zurück. Zehntausende Menschen, die für die Bundeswehr oder deutsche Organisationen gearbeitet oder sich für Demokratie, Rechtsstaat und Freiheit eingesetzt hatten, verloren ihre Perspektive und mussten Verfolgung fürchten. Besonders galt das für Frauen. Aus Verantwortung für diese Menschen versprachen die damalige Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die darauffolgende Ampel-Regierung, gefährdete Personen aufzunehmen.

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Wie viele Menschen wurden aufgenommen?

Bis zum Frühjahr kamen nach Angaben des Auswärtigen Amts mehr als 36.000 Afghaninnen und Afghanen, die allermeisten davon direkt nach der Rückeroberung der Taliban im Sommer 2021. Gekommen sind sie über verschiedene Programme: Bereits seit 2013 gibt es das Ortskräfteverfahren für ehemalige lokale Mitarbeiter von Bundeswehr, Polizei, Ministerien und deutschen Organisationen.

Viele Menschen kamen ab 2021 zudem über die sogenannte Menschenrechtsliste, auch Überbrückungsliste genannt. Schutz fanden darüber Menschen, die sich für das Ziel der westlichen Staaten, in Afghanistan einen demokratischen Rechtsstaat zu errichten, eingesetzt hatten: Anwälte, Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten, Polizistinnen, Kulturschaffende oder Lehrerinnen. 2022 hatte die Ampel-Regierung ein zentrales Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghaninnen und Afghanen aufgelegt, über das bis zu 1.000 Menschen im Monat kommen sollten.

Um wie viele Menschen geht es jetzt noch?

Nach Angaben des Auswärtigen Amts warten in der Region noch rund 2.300 Menschen mit Aufnahmezusage aus Deutschland darauf, auch tatsächlich ein Visum zu bekommen. Die allermeisten davon sind in Pakistan, müssen dort wegen abgelaufener Aufenthaltstitel aber inzwischen fürchten, nach Afghanistan zurückgebracht zu werden. Mehr als 200 Menschen mit Zusage aus Deutschland wurden kürzlich nach Afghanistan abgeschoben.

Warum will die jetzige Bundesregierung die Aufnahmen stoppen?

Union und SPD wollen die Fluchtzuwanderung nach Deutschland weiter begrenzen. Im Stopp freiwilliger Aufnahmeprogramme sehen sie ein Mittel, dieses Ziel zu erreichen.

Warum geht das nicht so einfach?

Mit Unterstützung der Organisation „Kabul Luftbrücke“ haben Dutzende Afghaninnen und Afghanen mit Aufnahmezusage aus Berlin geklagt und vor dem Verwaltungsgericht auch Recht bekommen. Das Gericht sah Deutschland in der Pflicht, ihnen Visa auszustellen. Auf diese Urteile gehen die am Montag erfolgten Einreisen zurück.

Müssen jetzt alle Betroffenen klagen?

Das bleibt offen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat wiederholt betont, jeden Einzelfall daraufhin prüfen zu lassen, ob die Aufnahmezusage rechtsverbindlich ist, also nicht zurückgenommen werden darf. Diese Prüfungen würden Monate dauern.

Ein am Montag veröffentlichter Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zeigt, dass es in den verschiedenen Programmen formelle Unterschiede gibt. Zumindest im Ortskräfteprogramm und bei der sogenannten Überbrückungsliste begründen die Zusagen demnach allein noch keinen unmittelbaren Anspruch auf ein Visum für Deutschland – zumindest nicht bevor die Sicherheitsprüfung abgeschlossen ist.

Sieht es die ganze Bundesregierung wie Dobrindt?

Offenen Streit gibt es nicht, aber offenbar durchaus andere Ansichten. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat sich nach Angaben des Außenamts bei der pakistanischen Regierung dafür eingesetzt, dass die nach Afghanistan Abgeschobenen wieder zurückkommen können und zunächst keine weiteren Abschiebungen mehr vorgenommen werden. Bis Jahresende soll die Bundesregierung jetzt Zeit haben, eine Lösung für die Menschen zu finden, denen sie eine Perspektive versprochen hat.

Auch die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik (SPD), erklärte am Montag, man dürfe die Menschen nicht im Stich lassen. Noch deutlicher hatte sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Lars Castellucci (SPD) geäußert. (epd/mig) Aktuell Politik

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