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Gesellschaftsspiele (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Würfeln, ziehen, sprechen

Wie Gesellschaftsspiele zur Sprachförderung beitragen

Gesellschaftsspiele fördern nicht nur Gemeinschaft und Spaß, sondern auch Sprache, Teilhabe und Zugehörigkeit. Gerade für Geflüchtete bieten sie einen unterschätzten, aber wirkungsvollen Einstieg in eine neue Gesellschaft.

Sonntag, 10.08.2025, 0:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 11.08.2025, 10:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Ob „Mensch ärgere dich nicht“, Uno oder Memory – Gesellschaftsspiele gehören für viele Menschen zum Alltag. Was oft nach Freizeitbeschäftigung klingt, kann in Wirklichkeit ein wirksames Instrument für Bildung und Integration sein. In Klassenzimmern, Gemeinschaftsunterkünften oder Stadtteilzentren entstehen beim Spielen Lernräume, die wenig mit klassischen Unterrichtssituationen zu tun haben – aber umso nachhaltiger wirken.

Sprache lernen – nicht auswendig, sondern lebendig

In den letzten Jahren ist in der pädagogischen Praxis ein deutlicher Trend zu beobachten: Immer mehr Sprachförderprojekte nutzen Spiele gezielt, um Kinder mit Migrationserfahrung beim Deutschlernen zu unterstützen. Denn Sprache wird am besten gelernt, wenn sie in sozialen, emotional bedeutsamen Situationen gebraucht wird – und genau das bieten Gesellschaftsspiele.

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„Beim Spielen müssen sich Kinder verständigen, Regeln erklären, Rückfragen stellen oder Ergebnisse kommentieren“, sagt Lena T., eine Lehrerin an einer Willkommensklasse in Köln. „Dabei lernen sie ganz automatisch neue Wörter, Satzstrukturen – und vor allem: dass es Spaß machen kann, Deutsch zu sprechen.“ Anders als in klassischen Unterrichtssettings entsteht beim Spielen ein niedrigschwelliges, fehlerfreundliches Umfeld, in dem sich Kinder ausprobieren können, ohne gleich bewertet zu werden.

Würfeln, ziehen, sprechen – mit einfachen Mitteln große Wirkung

Gerade Würfelspiele sind besonders beliebt, weil sie ohne großen Aufwand eingesetzt werden können und klare, wiederholbare Sprachmuster fördern: „Ich bin dran“, „Ich würfle eine Fünf“, „Ich ziehe zwei Felder vor“ – einfache, aber wichtige Strukturen, die sich durch die ständige Wiederholung festigen. Schon Julius Caesar galt als begeisterter Würfelspieler.

Auch Brettspiele mit Spielfiguren und Feldern helfen dabei, räumliche Begriffe zu lernen: „vorwärts“, „zurück“, „links“, „rechts“. Bei Spielen wie „Tempo, kleine Schnecke“ oder „Lotti Karotti“ geht es um Farben, Zahlen, Verben – und das in einem Kontext, der weder künstlich noch belehrend wirkt.

Viele Spiele fördern zudem strategisches Denken und Kooperation: Kinder müssen sich absprechen, Kompromisse eingehen, verlieren lernen – alles Fähigkeiten, die nicht nur sprachlich, sondern auch sozial-integrativ wirksam sind – im Gegensatz zu Spielen, die alleine gespielt werden, wie dieser Artikel zeigt.

Sprachförderung durch Spiel – was die Forschung sagt

Dass Spielen nicht nur unterhaltsam, sondern auch bildungswirksam ist, bestätigen zahlreiche Studien. Forschende der Universität Bielefeld etwa haben in einem Modellprojekt gezeigt, dass regelmäßiges Spielen in heterogenen Gruppen das Sprachverständnis und den Wortschatz signifikant verbessert – besonders bei Kindern mit geringen Deutschkenntnissen.

Dabei geht es nicht nur um das Spiel an sich, sondern auch um die begleitende Moderation: Erwachsene oder ältere Kinder, die das Spiel anleiten, können gezielt Impulse geben, neue Wörter einführen oder Gespräche moderieren. So entstehen vielfältige Sprechanlässe – ganz ohne Lehrbuch oder Arbeitsblatt.

Gesellschaftsspiele als Begegnungsräume

Nicht nur Kinder profitieren vom spielerischen Lernen. Auch Erwachsene können durch Spiele einen niedrigschwelligen Zugang zur Sprache und zur Gesellschaft finden – etwa in Nachbarschaftsprojekten, interkulturellen Cafés oder Sprachpatenschaften. Dabei entstehen ganz nebenbei Kontakte, Vertrauen und Gemeinschaftsgefühl.

Ein Beispiel: Vereine organisieren regelmäßige Spielabende für Familien mit und ohne Fluchterfahrung. Das Prinzip ist einfach: ein großer Raum, ein Dutzend Spiele, gemischte Tische – und die Einladung, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Spielregeln sind oft universell oder schnell erklärt. Und wenn man gemeinsam lacht, fällt das Sprechen viel leichter.

Auch digitale Würfelspiele sind heute auf vielen virtuellen Plattformen verfügbar. Moderne Technologien wie die Blockchain tragen dazu bei, die Sicherheit dieser Angebote weiter zu verbessern. In diesen Spielevarianten sitzt man allerdings oft alleine vor einem Bildschirm ohne Gesellschaft. Digitale Unterhalten und Chats ersetzen das gesellige Miteinander bisher nicht.

Gerade für Menschen, die neu in Deutschland sind, kann ein einfacher Spieleabend in der realen Welt ein erster Schritt in die Teilhabe sein. Wer spielt, gehört dazu – ganz unabhängig von Herkunft, Aufenthaltsstatus oder Sprachstand.

Digitale Spiele als Ergänzung – mit Vorsicht zu genießen

Auch digitale Spiele können Sprachförderung unterstützen – etwa durch Sprachlern-Apps oder interaktive Brettspiele auf dem Tablet. Doch hier ist die Wirkung ambivalent: Ohne direkte soziale Interaktion bleibt der Spracherwerb oft passiv. „Digitale Angebote sind eine gute Ergänzung, aber kein Ersatz für echte Gespräche“, sagt Sprachwissenschaftlerin Dr. Ulrike M. vom Institut für Mehrsprachigkeit. „Der Schlüssel zum Spracherwerb ist und bleibt der menschliche Austausch.“

Problematisch wird es zudem, wenn digitale Spiele in die Nähe von Glücksspiel rücken – etwa durch Lootboxen, Mikrotransaktionen oder manipulative Spielmechaniken. Gerade junge Menschen aus prekären Lebensverhältnissen sind hier besonders gefährdet. Medienpädagogische Aufklärung ist deshalb ein wichtiger Bestandteil jeder spielebasierten Sprachförderung.

Spielen ist mehr als Zeitvertreib

Gesellschaftsspiele sind kein Allheilmittel – aber sie sind ein Baustein für eine inklusive Gesellschaft. Sie verbinden Menschen über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, schaffen Lernräume ohne Leistungsdruck und stärken das Gefühl: Ich bin Teil dieser Gemeinschaft.

Für Kinder, die gerade erst angekommen sind, kann ein einfacher Würfel oder ein bunter Spielplan der Anfang einer neuen Geschichte sein – einer Geschichte, in der sie mitspielen, mitreden und mitgestalten dürfen. (bg) Panorama

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