
„Um jeden Preis“
Minister drängen massive Verschärfungen in der Asylpolitik
Vom höchsten Berg Deutschlands sendet Innenminister Dobrindt ein klares Signal: Mit ihm werde es kein Zaudern in der Migrationspolitik geben. Fünf europäische Partner stehen dabei an seiner Seite. Der Plan: massiver Rechtsruck in der Asylpolitik. Die Kritik ist scharf.
Sonntag, 20.07.2025, 10:55 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 19.07.2025, 1:10 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Deutschland sitze bei der Migration nicht mehr im „Bremserhäuschen“, sondern in der Lokomotive, macht Alexander Dobrindt (CSU) gleich zu Beginn seines Statements deutlich. Der Bundesinnenminister hatte fünf seiner europäischen Amtskollegen gleich auf den höchsten Berg Deutschlands eingeladen, um über drängende Fragen der Migrationspolitik zu beraten. Ergebnis ist eine gemeinsame Erklärung, in der Deutschland, Österreich, Dänemark, Polen, Tschechien und Frankreich auf konsequente Abschiebungen und weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik drängen.
Dobrindt lobte die Erklärung als „Signal der Einigkeit, Sichtbarkeit und des gemeinsamen Engagements“. Auch EU-Innenkommissar Magnus Brunner nahm an den Gesprächen teil. Das Wichtigste im Überblick:
„Wirksame Rückführungen sind eine unerlässliche Voraussetzung für das Vertrauen in eine ausgewogene europäische Migrationspolitik“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Dazu gehörten auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan. Diese müssten „möglich sein“, halten die Minister fest. Erst am Morgen war aus Leipzig ein Abschiebeflug mit 81 afghanischen Straftätern in die afghanische Hauptstadt Kabul gestartet. Es war die erste Abschiebung dieser Art seit Antritt der schwarz-roten Koalition unter Kanzler Friedrich Merz (CDU).
Rückführung in Staaten außerhalb der EU
Die Innenminister sind sich einig: Sogenannte Drittstaaten, also Nicht-EU-Länder, sollen besser dabei helfen, Ausreisepflichtige aufzunehmen. So sollen abgelehnte Asylbewerber künftig in sichere Zentren außerhalb der EU gebracht werden können.
An diesen sogenannten „Return Hubs“ oder Rückführungszentren wird auf EU-Ebene bereits gearbeitet. Sie sind Teil des Kommissionsvorschlags zur Reform der EU-Rückführungsrichtlinie. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, in denen nationale Behörden gemeinsam mit EU-Agenturen wie Frontex Rückführungen koordinieren und vorbereiten sollen.
Die Innenminister setzen sich in diesem Zusammenhang auch für ein stärkeres Mandat der Grenzschutzagentur Frontex ein: „Frontex sollte in Zukunft auch das Mandat dafür bekommen, Rückführungen aus Drittländern wie den westlichen Balkanstaaten durchzuführen“, heißt es.
„Um die illegalen Migrationsströme zu verringern“, müsse es generell eine konstruktive Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern geben, betonen die Minister. Die auf EU-Ebene beschlossene Reform des europäischen Asylsystems (GEAS) solle schnell und konsequent umgesetzt werden. Dafür müsse die EU ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, heißt es.
Mit „illegaler“ Migration ist die Einreise von Menschen gemeint, die mangels legaler Fluchtwege und geschlossenen Grenzen ohne gültige Visa in das Land kommen. Juristisch betrachtet sind Schutzsuchende nicht „illegal“, weil sie faktisch nur auf diesem Wege ihr Recht auf Asyl geltend machen können.
Kampf gegen Schmuggler und Schleuser
Eine weitere gemeinsame Forderung der Minister ist ein konsequentes Vorgehen gegen Schmuggler und Schleuser. In diesem Zusammenhang fordern die Innenminister die EU-Kommission auf, sich aktiver für den Abschluss internationaler Vereinbarungen zum Austausch personenbezogener Daten zwischen Europol und relevanten Drittstaaten wie etwa der Türkei einzusetzen. Die Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedsstaaten sollten aus Sicht der Innenminister enger mit diesen Ländern zusammenarbeiten. Auch müssten illegale Bargeldflüsse stärker verfolgt werden, fordern die Minister.
EU-Kommissar Brunner betonte, dass Europa selbst entscheiden müsse, wer den Kontinent betrete, und nicht die Schlepper und Schleuser. „Wir müssen den Menschen das Gefühl zurückgeben, dass wir Kontrolle über das haben, was in Europa passiert“, erklärte er. Das sei wichtig, damit Populisten nicht noch mehr Aufwind bekämen. Mit der EU-Asylreform würden Asylverfahren schneller.„Es ist wirklich inakzeptabel, dass nur einer von Vieren, die sich illegal in Europa aufhalten, dann auch tatsächlich rückgeführt werden.“ Das solle mit der Reform der Rückführungsverordnung besser werden.
Auch die geladenen Innenminister betonten die Notwendigkeit einer restriktiven Asyl- und Migrationspolitik. Dobrindts französischer Amtskollege Bruno Retailleau erklärte, das Vorgehen gegen irreguläre Migration sei wichtig für die Demokratie, die Bevölkerungen verlangten dies.
Asylanträge gehen insgesamt zurück
Die Zahl der Asylanträge in der Europäischen Union sowie in Norwegen und der Schweiz ist gesunken – insbesondere in Deutschland. Im Mai 2025 wurden laut der EU-Asylagentur mit Sitz auf Malta im Mai 2025 rund 63.700 Asylanträge gestellt. Das sind deutlich weniger als im Vorjahresmonat mit etwa 85.600.
In Deutschland halbierte sich die Zahl nahezu, von rund 18.800 im Mai 2024 auf knapp 9.900 ein Jahr später. Auch in Spanien (Rückgang von 16.300 auf 12.800 Anträge) und Italien (von 15.500 auf 12.300) ging die Zahl deutlich zurück. In Frankreich veränderte sich das Niveau mit rund 12.500 Anträgen nur wenig – im Vorjahresmonat waren es noch 11.900.
Polen sieht sich in einer Notlage
Ungeachtet rückläufiger Asylzahlen beansprucht Polen eine Ausnahme von dem 2024 geschlossenen EU-Asylpakt, es stimmt der Umverteilung von Migranten nicht zu. Begründet wird dies mit einer doppelten Notlage: Polen habe etwa zwei Millionen Menschen aus der Ukraine aufgenommen, zudem verteidige es sich an der Ostgrenze gegen einen durch Belarus gelenkten „Zustrom von Migranten“. Menschen würden als Waffe benutzt. Belarus und Russland wollten Einfluss nehmen, damit Migranten kämen, sagte er laut Verdolmetschung. Es brauche deshalb stärkere Grenzkontrollen. Zugleich äußerte er den Wunsch, zum eigentlich grenzkontrollfreien Reisen im Schengen-Raum, dem die meisten EU-Länder angehören, zurückzukommen.
Damit spielte Siemoniak auch auf die verschärften Grenzkontrollen von deutscher Seite an, die Innenminister Dobrindt kurz nach Amtsantritt angeordnet hatte. Dass er von diesem Kurs wieder Abstand nimmt, ist nicht absehbar. Ganz im Gegenteil. Dobrindt betonte: „Das ist der Politikwechsel in Deutschland. Das ist der Politikwechsel, den eine neue Bundesregierung auch angekündigt hat.“
Österreich will konsequente Abschiebungen
Ein strikter Anti-Migrations-Kurs ist in Österreich seit vielen Jahren etabliert und in der Bevölkerung durchaus populär. Konkret fordert die Alpenrepublik einen starken Schutz der EU-Außengrenzen und konsequente Abschiebungen. Sie kontrolliert die Grenzen zu mehreren Nachbarländern. Die aktuelle Zusammenarbeit mit Deutschland bei der Zurückweisung von Migranten durch die Bundesrepublik klappt nach Darstellung beider Seiten reibungslos.
Ansonsten setzt das Land auf europäische Lösungen und Änderungen bei der Definition sicherer Drittstaaten, in die leichter abgeschoben werden kann. Kanzler Christian Stocker (ÖVP) hat obendrein zuletzt mehrfach betont, dass die Europäische Menschenrechtskonvention neu ausgelegt werden müsse.
Frankreich für längere Abschiebehaft
Dem konservativen französischen Innenminister Bruno Retailleau ist wie Dobrindt an einem deutlich härteren Kurs in der Migrationspolitik gelegen. Er will Migranten länger in Abschiebehaft nehmen, den illegalen Aufenthalt im Land zu einer Straftat erklären und notfalls auch in Drittstaaten abschieben, wenn das Herkunftsland einen aus Frankreich ausgewiesenen Migranten nicht zurücknehmen will.
Die Behörden im Land hat er bereits mehrfach zu einem strikteren Kurs angewiesen. Er pocht auf eine restriktivere Vergabe von Visa sowie von Aufenthaltspapieren für „illegal“ Eingereiste, die Arbeit und Einkommen haben. Die Grenzkontrollen, die Frankreich seit bereits zehn Jahren im Kampf gegen Terrorismus wieder vornimmt, will er verschärfen.
Tschechische Regierung für mehr Grenzschutz
Die liberalkonservative Regierung in Tschechien fordert seit Jahren eine verschärfte Migrations- und Asylpolitik in Europa, vor allem einen besseren Schutz der Außengrenzen sowie eine stärkere Zusammenarbeit mit Drittstaaten. Sie will selbst das Asylrecht verschärfen.
Ministerpräsident Petr Fiala steht unter Druck von weiter rechts: Die zunehmend rechtspopulistisch agierende Oppositionspartei ANO des Milliardärs Andrej Babis liegt in Umfragen vor der Parlamentswahl Anfang Oktober vorn. Die Grenzkontrollen sind der Regierung in Prag ein Dorn im Auge, sie setzt hier aber auf Dialog mit Berlin.
Dänemark betrachtet Migration und Sicherheit zusammen
Dänemark gilt in der EU seit längerem als Hardliner in Sachen Migrationspolitik. Ein Prestigeprojekt der Regierung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, um Asylbewerber ins ostafrikanische Ruanda zu schicken, wurde Anfang 2023 vorübergehend auf Eis gelegt – vom Tisch ist es aber noch nicht. Vielmehr arbeitet Deutschlands nördlicher Nachbar seitdem daran, die Idee anderen EU-Staaten schmackhaft zu machen.
Als aktuelles EU-Vorsitzland will Dänemark vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine einen Hauptfokus auf die Sicherheit in Europa legen – ein Thema, das aus dänischer Sicht auch mit Migrationsfragen zusammenhängt. Ausländer- und Integrationsminister Kaare Dybvad Bek ist sich nach Angaben der dänischen Nachrichtenagentur Ritzau vorab sicher, dass das Treffen der migrationskritischen Länder am Freitag einen „Wendepunkt in der europäischen Flüchtlingspolitik“ darstellen werde.
Was Kritiker sagen
„Wie viel härter soll es werden?“, fragt die Flüchtlingsorganisation Leave No One Behind. „Schon jetzt ist das Leid an Europas Außengrenzen unermesslich, Tausende Menschen ertrinken, erfrieren oder ersticken auf der Suche nach Frieden und Freiheit.“ Pro Asyl zeigt sich kämpferisch: Das europäische Menschenrechtssystem werde sich „nicht so leicht aus den Angeln heben lassen, wie es sich wohl einige der Gipfelstürmer erträumen“, erklärte die Menschenrechtsorganisation.
Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Marcel Emmerich, meint: „Die Streichung des Verbindungselements ist ein herzloser Angriff auf Schutzsuchende, Familien und Kinder, die in Länder ohne jede persönliche Bindung abgeschoben werden sollen.“
Die innen- und fluchtpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Clara Bünger fasst das Ergebnis des Ministertreffens zusammen: „Grenzen dicht, Ausländer raus.“ Versteckt würden diese menschenverachtende Politik hinter technokratischen Begriffen wie ‚Drittstaatsmodelle‘ oder ‚Return Hubs‘. „Was Dobrindt da präsentiert, ist nichts anderes als der nächste Schritt in der Eskalation eines autoritären Rechtsrucks in der europäischen Asylpolitik. Schutzsuchende sollen wie unerwünschte Ware aussortiert und willkürlich in angeblich sichere Drittstaaten verfrachtet werden. Das ist kein Flüchtlingsschutz, das ist Abschreckungspolitik um jeden Preis“, erklärt die Linkspolitikerin. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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