
Kritik von Sachverständigen
Dobrindt will „Sichere“ Herkunftsstaaten per Rechtsverordnung
Die Bundesregierung setzt in der Asylpolitik auf eine Reihe von Verschärfungen. Jetzt wurden über zwei Maßnahmen beraten: Abschiebehaft ohne Anwalt und Bestimmung „sicherer“ Herkunftsstaaten am Bundesrat vorbei. Sachverständige und Migrantenorganisationen kritisieren.
Donnerstag, 10.07.2025, 18:59 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.07.2025, 19:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat kurz vor der parlamentarischen Sommerpause noch zwei weitere Bausteine seiner „Migrationswende“ im Bundestag vorgestellt. Menschen, denen Abschiebehaft oder Ausreisegewahrsam droht, sollen künftig keinen Anspruch mehr auf einen staatlich finanzierten Anwalt haben, der sie bei der Wahrung ihrer Rechte unterstützt.
Dieser Anspruch war erst im vergangenen Jahr eingeführt worden, als Teil des sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetzes der damaligen Ampel-Koalition, mit dem unter anderem die maximale Dauer des Ausreisegewahrsams verlängert wurde. Durch den Pflichtanwalt sei das Gesetz zu einem „Rückführungsverhinderungsgesetz“ geworden, sagte Dobrindt. Mit der Streichung dieses Anspruchs folge man einer Empfehlung der Justizministerkonferenz, betonte der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sebastian Fiedler.
Sichere Herkunftsländer per Rechtsverordnung
Erstmals beraten hat der Bundestag zudem über die Möglichkeit, Staaten per Rechtsverordnung als sogenannte sichere Herkunftsländer einzustufen. Das bedeutet, dass der Bundesrat dem dann nicht zustimmen müsste. Möglich wird das, indem die relativ kleine Gruppe von Schutzsuchenden, die als politisch Verfolgte Asyl beantragen, hier ausgeklammert wird. „Staaten werden nicht sicher, weil Sie es sich wünschen“, sagte Helge Limburg (Grüne) an die Adresse des Bundesinnenministers.
In ihrem Koalitionsvertrag hatten CDU, CSU und SPD vereinbart, mit der Einstufung von Algerien, Indien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten zu beginnen. Entsprechende Initiativen waren in den vergangenen Jahren im Bundesrat am Widerstand von Ländern mit Regierungsbeteiligung der Grünen und der Linken gescheitert.
Prüfung im Schnelllauf bei sicheren Herkunftsländern
Asylanträge von Menschen aus den als sichere Herkunftsstaaten geltenden Ländern lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in der Regel als offensichtlich unbegründet ab. Dies schließt die Anerkennung eines Schutzstatus im Einzelfall aber nicht aus. Abgelehnte Antragsteller können jedoch leichter und schneller abgeschoben werden.
Als sichere Herkunftsländer gelten in Deutschland aktuell neben den Mitgliedstaaten der Europäischen Union Albanien, Bosnien-Herzegowina, Ghana, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro, Senegal, Serbien, Georgien und Moldau. Die Einstufung soll irreguläre Migration aus diesen Staaten verringern.
Sachverständige: verfassungsrechtlich bedenklich
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) macht Bedenken geltend. Der von der Bundesregierung gewählte Weg sei verfassungsrechtlich „nicht risikolos“. Defizite sieht der SVR zudem bei der Frage, auf welcher Entscheidungsgrundlage ein Staat von der Bundesregierung als sicheres Herkunftsland eingestuft wird. „Wie ein Land zu dem Status eines sicheren Herkunftslandes kommt, ist eine Black Box“, erklärt SVR-Vorsitzende Prof. Winfried Kluth. „Es fehlen bislang verlässliche und nachvollziehbare Kriterien, wie die Gefährdungslage auch für Minderheiten und vulnerable Gruppen in einem Land eingestuft wird.“ Der SVR mahnt hier mehr Transparenz an und erinnert ferner an die Verankerung des Konzepts sicherer Herkunftsländer im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS).
Mitte April hat die EU-Kommission den Vorschlag einer europäischen Liste vorgelegt; diese muss noch vom Europäischen Parlament und dem Rat beschlossen werden. Nach Inkrafttreten würde sie die nationalen Listen nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Migrantenorganisationen warnen vor Verschärfung des Asylrechts
Kritik an dem Vorhaben der Bundesregierung kommt auch von der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen (BKMO). Das Konzept sicherer Herkunftsstaaten widerspreche dem Kern des Asylrechts, erklärte die Co-Vorsitzende Karen Taylor: „Schutz ist ein individuelles Menschenrecht – keine Frage des Herkunftsstaates.“ Wer Herkunftsländer pauschal für sicher erkläre, ignoriere dort systematische Diskriminierung, Minderheitenverfolgung, geschlechtsspezifische Gewalt oder politische Repression. Diese tauchten oft nicht in offiziellen Statistiken auf, gefährdeten aber Menschenleben.
Wer zudem Menschen inhaftiere, ohne ihnen einen Anwalt zur Seite zu stellen, verlasse „den Boden des Rechtsstaats“, kritisierte Taylor. Statt Schutzverantwortung ernst zu nehmen, werde so eine „Infrastruktur der Entrechtung und Abschreckung“ geschaffen. Die Mitglieder des Bundestages rief das Netzwerk von mehr als 70 Migrantenorganisationen dazu auf, den Gesetzentwurf „entschieden zurückzuweisen“. Menschenrechte dürften kein politisches Kalkül sein und Schutz kein Privileg. (dpa/epd/mig) Aktuell Politik
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