
„Drecksarbeit“
Wo bitte bleibt die Entschuldigung?
Der Kanzler spricht von „Drecksarbeit“ – im ZDF! Bis heute gibt es keine Entschuldigung, Missbilligung oder Aufarbeitung. Was sagt das über unseren Umgang mit Sprache, Macht und Menschlichkeit?
Von Dr. Dr. Seyed Shahram Iranbomy Mittwoch, 02.07.2025, 11:11 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 02.07.2025, 11:11 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Am 17. Juni 2025 saß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland vor laufenden Kameras im ZDF und sprach über Israels Militärschlag gegen den Iran. Sinngemäß erklärte er: „Israel hat die Drecksarbeit erledigt.“ Ein Satz, der zurecht Empörung ausgelöst hat. Und dennoch: Die politische und mediale Aufarbeitung blieb auffallend verhalten. Dabei müsste ein solcher Tabubruch alles zum Stillstand bringen.
Denn was hier gesagt wurde, ist weit mehr als eine unglückliche Wortwahl. Es ist eine Verrohung politischer Sprache, ein gefährlicher Dammbruch – und, aus verfassungsrechtlicher Sicht, ein Angriff auf den zentralen Satz unseres Zusammenlebens: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Wer eine militärische Operation mit zahlreichen zivilen Opfern pauschal als „Drecksarbeit“ bezeichnet – und diese Bewertung als erledigt, notwendig oder gar nützlich darstellt –, begeht eine sprachliche Entgrenzung. Der Tod wird damit zum Kalkül, zur Dienstleistung. Mitgefühl wird durch Zweckrationalität ersetzt. In einer politischen Kultur, die die Würde des Menschen ins Zentrum stellt, darf solche Sprache nicht folgenlos bleiben.
„Wer Menschen zur funktionalen Variable macht – ‚Drecksarbeit‘ –, bewegt sich außerhalb dieses verfassungsrechtlichen Konsenses.“
Diese Formulierung ist nicht nur moralisch verstörend, sie ist auch juristisch fragwürdig. Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt: Die Menschenwürde ist absolut. Wer Menschen zur funktionalen Variable macht – „erledigte Drecksarbeit“ –, bewegt sich außerhalb dieses verfassungsrechtlichen Konsenses.
Erschwerend kommt hinzu: Der Satz zielt auf einen Gegner mit klar identifizierbarer Herkunft, Religion, Geschichte. Er verknüpft – bewusst oder fahrlässig – militärische Gewalt mit ethnischer und kultureller Abwertung. Für Menschen mit iranischer Herkunft in Deutschland ist diese Sprache mehr als eine Provokation. Sie ist eine Absage an Zugehörigkeit. Eine rote Linie.
„Bisher fehlt jede Distanzierung von dieser Äußerung, eine Missbilligung, eine Entschuldigung – und eine redaktionelle Aufarbeitung durch das ZDF.“
Die Formulierung „Drecksarbeit“ fiel nicht zufällig – sie wurde von der ZDF-Moderatorin selbst in den Raum gestellt. Bundeskanzler Merz griff das Wort auf, bestätigte es und machte es sich zu eigen. Dass ein öffentlich-rechtlicher Sender einen so drastischen Begriff in ein Interview einführt – ohne journalistische Einordnung, ohne kritische Nachfrage – ist mehr als ein Versäumnis. Es ist eine Mitverantwortung. Sprache ist Haltung.
Hier verliert Sprache ihre Sensibilität für menschliches Leid. In der öffentlichen Wirkung entsteht ein fataler Eindruck. Dennoch fehlt bisher jede Distanzierung von dieser Äußerung, eine formelle Missbilligung durch den Bundestag, eine aufrichtige Entschuldigung gegenüber den Betroffenen – und eine redaktionelle Aufarbeitung durch das ZDF. Demokratische Institutionen tragen Verantwortung dafür, sprachlichen Grenzüberschreitungen entschieden entgegenzutreten. Denn oft beginnt das Unheil nicht mit Taten – sondern mit der Sprache. (mig) Meinung
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