
Asyl, Sprachtest, Grenzkontrolle
Wenn Rechtsbruch zur Strategie wird
Verfahren verzögern, Kläger ruhigstellen – Deutschlands bewährte Praxis entrechtet Migranten systematisch. Dabei wird nicht nur Vertrauen verspielt – wie man aktuell am Beispiel der Grenzkontrollen sieht.
Von Ekrem Şenol Dienstag, 03.06.2025, 11:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 03.06.2025, 11:21 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Alexander Dobrindt ist kaum Bundesinnenminister geworden, da kassiert er auch schon die erste gerichtliche Ohrfeige. Der Berliner Richterspruch ist klar: Die Zurückweisung von Asylsuchenden an deutschen Grenzen ohne Durchführung des Dublin-Verfahrens ist schlicht rechtswidrig. Aber was juckt das die Bundesregierung? Dobrindt erklärt unbekümmert, es gebe keinen Anlass, die Praxis zu ändern. Ein Urteil sei ja bloß eine Entscheidung „im Einzelfall“. Man kennt das Spiel.
Tatsächlich ist das Muster alles andere als neu. Es ist dieselbe politische Choreografie, die seit Jahren auf deutschen Bühnen gespielt wird. Man nehme ein Recht, das Migranten garantiert ist, und ignoriere es erst einmal. Protestieren Betroffene, beginnt der Tanz vor Gericht: Verzögerungen, Verfahrenstreue, Berufungen – Hauptsache Zeit gewinnen. Die Musik spielt so lange, bis es schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof landet. Dort dauert die Entscheidung nochmals Jahre. Der Rechtsstaat wird zum Wartesaal degradiert.
Inzwischen können Betroffene ihr Leben nur auf Sparflamme führen. Familien warten getrennt, Kinder wachsen ohne Eltern auf, und junge Erwachsene sitzen in Warteschleifen ihrer Existenz fest. Warum? Weil die Regierung genau weiß, dass sie verlieren wird, und deshalb alles tut, um Urteile mit Signalwirkung zu verhindern. Denn sobald der Rechtsbruch vor Gericht zu offensichtlich wird, zieht die Regierung gern ihren Joker: Plötzlich werden Klägern überraschend Visa erteilt oder Genehmigungen ausgesprochen, Verfahren verschwinden lautlos von der Bildfläche – ganz ohne Richterspruch. Bloß keine Grundsatzentscheidung, die auch anderen Betroffenen helfen könnte.
„Ähnlich gehen die bestbezahlten Juristen des Landes im Namen des Staates oft vor Gericht vor, wenn es um Asyl geht.“
Ein Paradebeispiel lieferte jahrelang das Spracherfordernis beim Ehegattennachzug. Zahlreiche Familien mussten vor Gericht ziehen, wurden in endlosen Verfahren mürbe gemacht. Erst kurz vor der Niederlage lenkte die Regierung ein – aber stets nur „im Einzelfall“. Das systematische Unrecht dahinter blieb unangetastet. Gleiches Spiel beim Assoziationsrecht für türkische Staatsbürger: Obwohl klar geregelt ist, dass EU-Recht nationalen Gesetzen vorgeht und obwohl der Europäische Gerichtshof eindeutige Urteile gefällt hatte, setzte die Regierung alles daran, die Richtersprüche in feinster juristischer Haarspalterei doch wieder zu einer Einzelfallentscheidung kleinzusubsumieren.
Zugegeben: zwei Juristen, drei Meinungen. In der Jurisprudenz kann man immer anderer Meinung sein. Doch ist es für Politik und Staat nicht auch Verantwortung, sich derart an Recht und Ordnung zu orientieren, dass sie noch plausibel und verständlich vermittelbar ist? Regierungspolitiker indes vertreten, wenn es um die Beschneidung von Minderheitenrechten geht, nicht selten Standpunkte, die so abwegig sind, dass der allgemeinen Jurisprudenz kollektiv die Haare hochstehen.
So unverschämt gehen die bestbezahlten Juristen der Republik im Namen des Staates auch oft vor Gericht vor, wenn es um Asyl geht – einem der höchsten Menschenrechte und einer der wichtigsten Errungenschaften zivilisatorischer Entwicklung. In diesen Verfahren kommt hinzu, dass die Repressionen sich auch auf das gesamte Leben der Kläger auswirken – weit über das Gerichtsgebäude hinaus: jahrelanges Ausharren im juristischen Nirvana, zusammengepfercht auf engstem Raum mit psychologisch massiv unterversorgten Menschen in einem Mehrbettzimmer einer Flüchtlingsunterkunft – ohne Privatsphäre und fernab von jeder Option auf ein Leben in Würde.
Was macht diese Strategie mit den Betroffenen? Sie zermürbt und zerstört das Vertrauen in Politik und Rechtsstaatlichkeit. Menschen erleben, dass ihr garantierter Schutz, ihr Familienleben, ihre Zukunft einfach ignoriert und als politisches Kalkül missbraucht werden. Das, was offiziell als „Einzelfall“ deklariert wird, entfaltet in Wahrheit breite Wirkung: ganze migrantische Communitys leiden unter solchen systematischen Entrechtungen. Sie erleben täglich, wie wenig ein Versprechen in einem Gesetzbuch wert ist, wenn es politisch gerade nicht opportun erscheint – und sie wissen, dass sie politisch und medial betrachtet keiner Gruppe angehören, um die man sich besonders schert.
„Diese politische Strategie dient letztlich einem Zweck: Dem Wahlpublikum eine Regierung zu präsentieren, die „stark“ wirkt, die „klare Kante“ demonstriert.“
Zweck dieser Strategie: Sich dem Wahlpublikum als einen Politiker zu präsentieren, der „stark“ wirkt, der „klare Kante“ demonstriert – letztlich der eigenen Karriere dient. Populisten klatschen und jubeln begeistert, die Betroffenen: sprachlos. Ihr Vertrauen hingerichtet auf dem Altar kurzfristiger Popularität. Sie verlieren dann nicht nur die Sprache und Vertrauen, in ganz seltenen Fällen auch ihre Fassung – und begeben sich in einen Zustand geistiger Unzurechnungsfähigkeit …
Regierungspolitiker stehen dann wieder auf der Bühne und versprechen eine noch schärfere Politik, noch strengere Gesetze. Man kennt das Spiel. Meinung
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Es ist aber auch sehr bemerkenswert, dass diese deutschen Regierungspolitiker samt ihrer System-Medien aus diesem Zustand der geistigen Unzurechnungsfähigkeit stets die Zeit den Willen und die Kraft finden, über diese Art von selbstverursachten Missständen hinwegschauend, andere Länder bezüglich angeblicher Defizite hinsichtlich Demokratie und Menschenrechte mittels erhobenem Zeigefinger und der schlechtgespielten künstlichen Echauffierung zu belehren, wie z.B Katar vor,während und nach der Fußball-WM oder die Türkei als Dauerauftrag.