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Künstliche Intelligenz (Symbolfoto) © de.depositphotos.com

Neuer Klassismus?

Wie soziale Herkunft über digitale Teilhabe entscheidet

Wer kein WLAN, keinen Laptop und kein technisches Know-how hat, bleibt außen vor – die digitale Spaltung trifft nicht alle gleich. Vor allem für Menschen mit wenig Geld oder Migrationsgeschichte wächst die Gefahr struktureller Ausgrenzung.

Freitag, 30.05.2025, 0:13 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 31.05.2025, 15:03 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Digitale Technologien prägen zunehmend den Alltag in Deutschland – ob bei Behördengängen, in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder im Gesundheitswesen. Doch nicht alle profitieren gleichermaßen vom digitalen Wandel. Vielmehr zeigt sich eine Spaltung, die entlang sozialer Linien verläuft: Die sogenannte „digitale Kluft“ ist zur gesellschaftlichen Realität geworden.

Ein wesentliches Merkmal dieser Entwicklung: Wer ohnehin privilegiert ist, baut seinen Vorsprung weiter aus. Wer dagegen in Armut lebt, aus einem bildungsfernen Umfeld stammt oder keinen Zugang zu stabiler Technik hat, droht dauerhaft abgehängt zu werden. Expert:innen warnen: Die Digitalisierung droht, zur neuen Form sozialen Ausschlusses zu werden – ein digitaler Klassismus.

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Digitale Grundversorgung – abhängig von Einkommen und Herkunft

Nicht jeder Haushalt in Deutschland verfügt über einen Computer, ein Tablet oder eine stabile Internetverbindung. Laut einer Untersuchung des Statistikamts aus dem Jahr 2023 gaben rund 12 % der Haushalte mit niedrigem Einkommen an, keine digitalen Endgeräte zur Verfügung zu haben – bei Haushalten mit hohen Einkommen waren es nur knapp 1 %.

Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen: In einem Bericht heißt es, dass rund ein Drittel der Schüler:innen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien während der Corona-Pandemie keinen eigenen Laptop besaß. Lernrückstände seien in dieser Gruppe besonders häufig aufgetreten – ein Befund, der bis heute nachwirkt.

Zugleich berichten zahlreiche Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen, dass bei vielen Eltern nicht nur das Geld, sondern auch die Kenntnisse fehlen, um ihre Kinder im digitalen Alltag zu unterstützen. Die Abhängigkeit vom Elternhaus verstärkt soziale Ungleichheit – und legt zugleich offen, wie eng digitale Teilhabe mit ökonomischen Voraussetzungen verknüpft ist.

Bildungssystem als Brennglas

Besonders deutlich wird die digitale Spaltung im Bildungssystem. Zwar sollten Programme wie der DigitalPakt Schule für flächendeckende Ausstattung sorgen – doch in der Umsetzung hapert es vielerorts. Laut Bildungsmonitor haben nur 59 % der Schulen in Deutschland eine stabile WLAN-Abdeckung in allen Klassenräumen. Zudem fehlt es an geschultem Personal, um digitale Lernangebote sinnvoll zu vermitteln.

Für Kinder aus Haushalten mit akademischem Hintergrund, stabilem Einkommen und eigenen Arbeitszimmern mag das vor allem organisatorische Herausforderungen bedeuten. Für Kinder aus Haushalten ohne WLAN, ohne eigene Geräte und mit beengtem Wohnraum hingegen geht es um die grundlegende Frage: Kann ich überhaupt mitlernen?

Eine Studie bestätigt, dass Schüler:innen mit Migrationsgeschichte und gleichzeitig niedrigem sozioökonomischem Status besonders häufig von digitalen Benachteiligungen betroffen sind. Dabei überlagern sich soziale und migrationsbedingte Faktoren – etwa, wenn Sprachbarrieren, institutionelles Misstrauen oder fehlende Beratung hinzukommen.

Arbeit, Wohnen, Teilhabe: Digitale Kompetenzen als Schlüssel – oder Stolperstein

Auch im Berufsleben hat die Digitalisierung neue Hürden geschaffen. Wer keinen Zugang zu digitalen Tools oder keine Kenntnisse im Umgang mit Onlineplattformen hat, ist auf dem Arbeitsmarkt deutlich benachteiligt. Bewerbungsgespräche finden heute oft per Videokonferenz statt, Stellenanzeigen werden online veröffentlicht, Bewerbungen ausschließlich digital angenommen.

Offiziellen Zahlen zufolge sind Menschen ohne digitale Grundkenntnisse deutlich seltener in reguläre Beschäftigung integriert. Besonders betroffen sind Personen mit Hauptschulabschluss, Ältere und Menschen mit Migrationserfahrung. In einer Erhebung aus dem Jahr 2022 gaben fast 40 % der befragten Menschen mit ausländischen Wurzeln an, sich unsicher oder nicht kompetent im Umgang mit digitalen Behördenangeboten zu fühlen.

Gleichzeitig steigen die Anforderungen im Alltag: Mietverträge werden digital verwaltet, Versicherungen nur noch online abgeschlossen, Arzttermine per App gebucht. Wer da nicht mitkommt, ist schnell ausgeschlossen – etwa von besseren Konditionen, schnelleren Verfahren oder rechtzeitiger Information.

Digitale Hilfsprojekte: Lückenfüller ohne strukturelle Wirkung?

Einzelne Projekte versuchen, gegenzusteuern. Initiativen bieten Menschen mit geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt kostenlose IT-Schulungen, Leihgeräte oder Beratung an. Zielgruppen sind oft Menschen mit Fluchterfahrung, ältere Erwerbslose oder Alleinerziehende in Armutslagen.

Auch viele Bibliotheken, Jugendzentren und zivilgesellschaftliche Träger leisten wertvolle Arbeit – etwa durch WLAN-Zugänge, kostenfreie PC-Arbeitsplätze oder Einführungskurse in digitale Tools. Doch diese Angebote sind punktuell, häufig von Spenden oder Fördergeldern abhängig – und erreichen längst nicht alle Betroffenen.

Fachleute kritisieren daher, dass die Verantwortung für digitale Teilhabe zu oft ausgelagert wird. „Es reicht nicht, einzelne Leuchtturmprojekte zu fördern“, heißt es. „Digitale Grundversorgung muss Teil der sozialen Infrastruktur werden – wie Wasser oder Strom.“

Finanzielle Hürden und digitale Selbstbestimmung

Ein oft unterschätzter Aspekt digitaler Ungleichheit sind finanzielle Einstiegshürden. Denn digitale Teilhabe kostet nicht nur Geräte, sondern auch Wissen. Wer etwa keine Erfahrung im Umgang mit Online-Banking oder digitalen Versicherungen hat, bleibt schnell auf der Strecke – oder läuft Gefahr, auf unseriöse Anbieter hereinzufallen.

Besonders deutlich wird das beim Thema digitale Finanzsysteme. Während für viele der Zugang zu Bankkonten, geschweige denn digitalen Finanzlösungen, bereits eine Hürde darstellt, suchen andere gezielt nach Wegen, um etwa Krypto günstig kaufen zu können – häufig jedoch ohne ausreichende Informationen zu den Risiken und Chancen. Der Mangel an Aufklärung und Finanzbildung führt zu einer neuen Art von Ausschluss: dem Ausschluss aus digitalen Geldsystemen.

Digitale Klassengesellschaft? Kein Naturgesetz

Die Entwicklung zur digitalen Klassengesellschaft ist kein unausweichlicher Prozess – sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen. Während über Künstliche Intelligenz und 5G-Netze diskutiert wird, bleibt die Frage offen, wie digitale Teilhabe für alle gesichert werden kann.

Nötig wären verbindliche Standards – etwa für die Ausstattung von Schulen, barrierearme Behördenportale in einfacher Sprache und Förderprogramme für einkommensschwache Familien, die auch Internetzugang und Gerätekauf ermöglichen. Auch in der Integrations- und Sozialpolitik müsste digitale Bildung systematisch mitgedacht werden: als fester Bestandteil von Sprachkursen, als Voraussetzung für Arbeitsmarktintegration – und als Bürgerrecht.

Denn digitale Exklusion bedeutet nicht nur Verzicht auf Komfort, sondern auf grundlegende gesellschaftliche Teilhabe: Bildung, Arbeit, Gesundheit, demokratische Mitbestimmung.

Fazit

Digitale Ungleichheit ist Ausdruck einer tieferliegenden sozialen Spaltung. Wer aufgrund seiner Herkunft, seines Einkommens oder fehlender Zugänge vom digitalen Fortschritt ausgeschlossen wird, erlebt einen modernen Ausschlussmechanismus – subtil, aber wirksam. Der technologische Wandel allein beseitigt keine Ungleichheit – im Gegenteil: Ohne gezielte Maßnahmen verfestigt er sie. Digitale Gerechtigkeit ist damit eine der zentralen sozialen Fragen unserer Zeit. Panorama

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