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Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) © Tobias Schwarz/AFP

BKA-Zahlen auf Rekordhoch

Dobrindts nebulöse Kampfansage gegen Rechtsextremismus

Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist 2024 wieder auf einen Rekordwert gestiegen. Verantwortlich ist vor allem der Anstieg rechtsextremer Straftaten. Für Bundesinnenminister Dobrindt ist die Gefahr aber „breiter als dieses Element“. Die Linke wirft ihm Vernebelung vor.

Von Dienstag, 20.05.2025, 15:07 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.05.2025, 15:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Zahl politisch motivierter Straftaten ist 2024 erneut stark gestiegen, vor allem die der rechtsextrem motivierten Delikte. Von insgesamt rund 84.000 Taten war gut die Hälfte – knapp 43.000 – im vergangenen Jahr rechtsextrem motiviert, wie aus der am Dienstag in Berlin vorgestellten Statistik des Bundeskriminalamts hervorgeht. Zugenommen haben auch rechte Gewaltdelikte und die sogenannte Hasskriminalität, die sich gegen bestimmte Merkmale einer Person richtet: ihr Aussehen, ihre Herkunft, ihre sexuelle Identität oder ihr Geschlecht. Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist dennoch zurückhaltender als seine Vorgänger bei der Kampfansage in Richtung rechts.

Er werde „verfassungsfeindlichen Bestrebungen jeglicher Art mit der gleichen Entschlossenheit entgegentreten“, sagte Dobrindt bei der Vorstellung der Zahlen. Erst auf Nachfrage einer Journalistin rang er sich durch, wie seine Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) und Nancy Faeser (SPD) davon zu sprechen, dass die „größte Gefährdung“ vom Rechtsextremismus ausgehe – um aber hinterherzuschieben, es gebe auch andere Phänomene, die anstiegen. Sein Maßstab sei die Polarisierung der Gesellschaft, sagte Dobrindt an anderer Stelle. Dabei sei der Rechtsextremismus „ein wesentliches Element“, insgesamt sei das Problem aber breiter.

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Im Bereich Hasskriminalität stieg 2024 die Zahl der Straftaten um 28 Prozent auf fast 22.000. Darunter waren in der überwiegenden Mehrheit fremdenfeindlich, ausländerfeindlich und rassistisch motivierte Taten. Die Zahl antisemitischer Straftaten stieg auf mehr als 6.200 Fälle – fast 1.000 mehr als im Jahr zuvor. „Erschütternd“ nannte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die Bilanz. Der zunehmende Antisemitismus mache ihm größte Sorgen, sagte Dobrindt. Klein und Dobrindt wiesen darauf hin, dass zwar die meisten Fälle judenfeindlich motivierter Übergriffe nach wie vor rechtsextrem motiviert sind, andere Tatmotivationen – ausländische und religiöse Ideologie – aber zunähmen.

Dobrindt kündigt „Sicherheitsoffensive“ an

Linksextreme Straftaten nahmen der Statistik zufolge 2024 um 28 Prozent auf knapp 10.000 Delikte zu, die Zahl linksextrem motivierter Gewalttaten nahm um rund 17 Prozent auf 762 ab. Starke Anstiege gab es zudem insgesamt in den Bereichen ausländische und religiöse Ideologie sowie im Bereich „sonstige Zuordnung“.

Polarisierung in Zahlen

Seit 2001 bildet die Statistik politisch motivierter Kriminalität des Bundeskriminalamts die Zahl extremistischer Straftaten ab. Seit Jahren bewegt sie sich von Rekord zu Rekord. 2024 wurden 84.172 Straftaten gezählt (2023: 60.028). So sieht die Bilanz im Detail aus:

Rechtsextreme Straftaten machen den mit Abstand größten Anteil der Straftaten aus. 42.788 Delikte gab es 2024, das war ein Anstieg um 48 Prozent. Davon waren 1.488 Gewalttaten.

Linksextreme Straftaten sind 2024 um 28 Prozent auf 9.971 gestiegen, davon waren 762 Gewalttaten. Straftaten in den Bereichen ausländische und religiöse Ideologie sind auf 7.343 beziehungsweise 1.877 gestiegen, davon waren 975 beziehungsweise 87 Gewalttaten.

Straftaten im Bereich „sonstige Zuordnung“, die die Polizei keinem klassischen Extremismusbereich zuordnen kann, gab es 22.193, davon 795 Gewalttaten.

Um 28 Prozent hat die sogenannte Hasskriminalität zugenommen. Gemeint sind Straftaten gegen Personen, die wegen ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Religion, sexuellen Identität oder wegen des Geschlechts angegriffen werden. Darunter fielen im vergangenen Jahr 19.481 fremdenfeindliche, 9.368 ausländerfeindliche, 6.236 antisemitische, 4.613 rassistische und 1.848 islamfeindliche Straftaten sowie 1.765 Angriffe auf Menschen wegen ihrer sexuellen Identität.

Auffällig zugenommen haben 2024 zudem Straftaten, die sich gegen Amts- und Mandatstragende oder Parteirepräsentanten richten: 1.256 Straftaten wurden gezählt, davon 58 Gewalttaten. 2023 waren es 453 Delikte, davon 24 Gewalttaten.

Dobrindts Antwort auf die Statistik war am Dienstag eine „Sicherheitsoffensive“, zu der die Stärkung, aber auch ein besserer Schutz von Polizei und Sicherheitsbehörden zählen soll. Zudem will er nach eigenen Worten das Strafmaß für Angriffe auf Polizisten und Messertaten erhöhen.

Pawlik: „Es ist etwas ganz gewaltig ins Rutschen geraten“

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Natalie Pawlik (SPD), äußerte sich alarmiert über den drastischen Anstieg rechtsextrem motivierter Straftaten. „Unser Land ist in Aufruhr, es ist etwas ganz gewaltig ins Rutschen geraten“, erklärte sie. Menschen mit Einwanderungsgeschichte, Geflüchtete, schwarze Menschen, Juden, Muslime, Sinti und Roma bräuchten „ein klares Zeichen der Solidarität gegen die Bedrohung von rechts“.

Zudem habe jede und jeder „die Pflicht, bei Rechtsextremismus und Rassismus nicht wegzusehen, bei Vorfällen in Bus oder Bahn einzuschreiten und unser friedliches Miteinander in einem vielfältigen Land zu verteidigen“, sagte sie. Die Zahlen seien „bittere Realität“, dürften aber niemals Normalität sein.

Opferberatungsstellen beklagen Zahlen-Diskrepanz

Vor dem Auftritt Dobrindts hatten in der Bundespressekonferenz Opferberatungsstellen ihre Bilanz rechter Gewalt für das vergangene Jahr vorgelegt. Die in zwölf Bundesländern vertretenen Beratungsstellen zählten 3.453 Angriffe mit 4.861 Opfern, darunter neun Todesopfer bei Brandanschlägen und Messerangriffen, wie Judith Porath, Vorstandsmitglied vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sagte. Das waren wie immer mehr als in der amtlichen Statistik.

Porath beklagte, dass die Strafverfolgungsbehörden rassistische Tatmotive oftmals nach wie vor nicht erkennen würden. Sie forderte an dieser Stelle mehr Engagement vom neuen Bundesinnenminister.

Linke: Dobrindt verharmlost Rechtsextremismus

Ferat Koçak, Experte der Linksfraktion für antifaschistische Politik, bestätigt: „Die Dunkelziffer ist noch weitaus höher. Polizei und Behörden erkennen rechte Gewalt oft nicht – oder wollen sie nicht erkennen. Der Umgang mit dem rassistischen Brandanschlag in Solingen ist nur das jüngste Beispiel für dieses systemische Versagen.“

Clara Bünger, innenpolitische Expertin der Linksfraktion, sieht Dobrindt in der Pflicht: „Statt die Gefahr klar zu benennen, verharmlost Innenminister Dobrindt sie. Er spricht von politischen Rändern und will eine nebulöse politische Mitte stärken. Fakt ist: Die meisten Taten sind rechts motiviert. Rassismus ist das häufigste Tatmotiv“, erklärte Bünger. Deutschland habe kein Problem mit Rändern, sondern ein Problem mit der extremen Rechten. (epd/mig) Leitartikel Politik

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