
Sachsen-Anhalt
Vereint in der Wut auf den Staat
Die AfD wird in der Kommunalpolitik in Sachsen-Anhalt sichtbarer, im Harz demonstrieren Anhänger der Partei mit bekannten Rechtsextremisten. Wie der Einfluss rechter Kräfte im Land wächst.
Von Christopher Kissmann Montag, 19.05.2025, 11:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 19.05.2025, 11:21 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Sie kommen mit Trommeln und Trillerpfeifen. Man kennt sich inzwischen, zur Begrüßung gibt es Handschlag und Küsschen auf die Wange. Montag für Montag ziehen sie durch Halberstadt und machen ihrem Ärger Luft. Im Schnitt beteiligen sich laut dem Landkreis Harz rund 135 Personen. Junge und ältere Menschen, darunter Mütter mit Kinderwagen und ein Mann im Rollstuhl. Was sie eint, ist die Wut auf den Staat. „Schluss mit der Politik gegen das eigene Volk!“, steht auf dem Transparent, das die Demonstranten vor sich hertragen.
Die Menschen, die sich hier versammeln, scheinen unterschiedlichste Motive zu haben. Da sind welche, die immer noch wegen der Corona-Maßnahmen sauer sind. Auf den Fahnen ist vieles dabei: Friedenstauben, die russische Flagge, „Ami go home“. Dazu kommen diverse AfD-Logos und viel Schwarz-Rot-Gold. Und dann sind da noch die jungen Männer in den schwarzen Jacken, die im hinteren Teil mitlaufen – bundesweit bekannte Rechtsextremisten, die die Polizei genau im Blick hat und die aus Nordrhein-Westfalen in den Harz gezogen sind. Dass sie sich an der Demo beteiligen, scheint hier niemanden zu stören.
Verfassungsschutz: Rechtsextremisten ziehen in den Harz
Fragt man nach bei einem der Organisatoren, gibt es ein Schulterzucken. Er teile das Weltbild der „Dortmunder Jungs“ nicht, sagt der Mann, der auf der Straße in ein Megafon spricht, aber seinen Namen nirgendwo lesen möchte. „Wir grenzen niemanden aus.“ Jede Einstellung sei hier willkommen. Er weist den Vorwurf zurück, dass man eine Bühne für die Verbreitung extremistischen Gedankenguts bietet. Dann skandiert er mit den Demonstranten „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“ und stellt die Souveränität Deutschlands infrage.
Der Verfassungsschutz schaut bei solchen Zusammenkünften genau hin. „Rechtsextremisten können in den ländlichen Räumen Ostdeutschlands ihre Bestrebungen offensichtlich leichter entfalten als in anderen Teilen Deutschlands. Sie erfahren vergleichsweise geringen Widerspruch“, sagt Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzchef Jochen Hollmann. Seit 2022 wird ein Zuzug rechtsextremistischer Akteure, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen, in den Landkreis Harz beobachtet. „Der Rechtsextremismus stellt in seiner ganzen Bandbreite eine erhebliche Bedrohung für unsere Demokratie dar“, sagt Hollmann.
AfD bestimmt im Landtag den Diskurs mit
Diesen Weg geebnet haben ideologische Ideengeber wie das mittlerweile aufgelöste und neu strukturierte „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda (Saalekreis), wo auch AfD-Politiker regelmäßig zu Gast waren. Das Institut besetzte im Netzwerk der neuen Rechten eine strategisch wichtige Rolle. Über Jahre hinweg hat aus Sicht von Hollmann eine gesellschaftspolitische Diskursverschiebung stattgefunden, etwa beim Umgang mit Migranten. „Das Feld wurde bestellt und die Saat ist aufgegangen.“ Der Verfassungsschutz hat inzwischen zahlreiche rassistische, muslimfeindliche und auch antisemitische Aussagen von Funktions- und Mandatsträgern der AfD ausgewertet, die letztlich in einer Einstufung des Landesverbands als gesichert rechtsextremistisch mündeten.
Im Landtag bestimmt die AfD den Diskurs schon lange mit. Neben dem Dauerbrenner Migration geht es inzwischen regelmäßig auch um die Identität der deutschen Bevölkerung. In den vergangenen Monaten forderte die Fraktion eine „Straße des Deutschen Reiches“, plädierte für die Abschaffung der Landeszentrale für politische Bildung und forderte einen bejahenden und unbelasteten Umgang mit der deutschen Geschichte. „Wir müssen lernen, die Vergangenheit vergehen zu lassen“, sagt Fraktionsvize Hans-Thomas Tillschneider. Die anderen Parteien sehen in einer solchen Positionierung einen Kulturkampf, mit dem die AfD versucht, die deutsche Geschichte bewusst umzudeuten.
Einfluss der AfD in den Kommunen wächst
Während die Vorstöße auf Landesebene in der Regel scheitern, läuft es für die AfD in einigen Kommunen richtig gut. Die Partei nutzt ihren Einfluss. Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr hat die AfD fast überall im Land zugelegt, eine Brandmauer seitens der CDU gibt es häufig nicht. Im Landkreis Jerichower Land wehen an Schulen und Dienstgebäuden nun dauerhaft Deutschlandflaggen – der Antrag dazu kam im Kreistag von der AfD, die Zustimmung dazu auch von der CDU.
In Quedlinburg arbeiteten AfD und CDU Ende vergangenen Jahres ebenfalls zusammen, sie setzten den Vorsitzenden des Bauausschusses ab und ein Mitglied der AfD-Fraktion als neuen Vorsitzenden ein. „Die CDU behandelt die AfD als normale Partei“, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete aus dem Harz, Susan Sziborra-Seidlitz. Sie habe Verständnis dafür, dass die Situation für die CDU nicht einfach sei, aber die Partei müsse mit der Normalisierung von Rechtsextremen aufhören. „Da scheitert es im Harz dran.“
Demokratieförderung in Salzwedel abgelehnt
In Salzwedel wurde kürzlich ebenfalls mit Stimmen von AfD und CDU ein Projekt zur Demokratieförderung beerdigt, es ging unter anderem um die Implementierung eines Jugendbeirates. Der Stadt entgehen damit in den nächsten Jahren bereits zugesagte Fördermittel in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro. Ihre Ablehnung begründeten Kommunalpolitiker unter anderem damit, dass der Verein Miteinander an der Umsetzung beteiligt sein sollte – eine Organisation, die sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert, die einigen konservativen Kräften allerdings zu weit links steht.
David Begrich von Miteinander bedauert es, dass in Salzwedel keine andere Lösung gefunden wurde. Dabei gehe es gar nicht um den Verein als Träger, es sei schade für die Jugendlichen, sagt der Magdeburger Rechtsextremismus-Experte. Was ihn allerdings noch mehr umtreibt ist, dass er eine Normalisierung von rechten Deutungs- und Politikangeboten im Osten Deutschlands sieht.
Abstumpfung und Ermüdung
In Roßlau etwa konnte mit AfD-Ortsbürgermeister Laurens Nothdurft zum 80. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai ein Mann sein Geschichtsverständnis in offizieller Funktion darlegen, der sich einst im rechtsextremen Jugendverband Heimattreue Deutsche Jugend engagierte. Die deutschen Opfer nannte er nach Teilnehmerangaben zuerst, es folgten die russischen. Worte zu den von den Nationalsozialisten ermordeten Juden gab es keine.
„Vor zehn Jahren wäre das anders behandelt worden. Es wäre ein bundesweiter Skandal gewesen, dass er dort überhaupt spricht“, sagt Begrich. Er beobachtet eine Abstumpfung und Ermüdung im öffentlichen Diskurs. „Die AfD und ihr politisches Vorfeld setzen auf diese Erschöpfung. Die öffentliche Debatte wird geflutet, um den Gegnern keine Atempause zu geben.“ Weil die AfD in der Politik laut ist und den Ton verschärft, gedeihen in ihrem Windschatten aus Sicht von Begrich auch andere rechtsextreme Bestrebungen, die sich an Kundgebungen wie im Harz beteiligen. Wut auf den Staat, wie sie etwa auch bei Demos zum Ausdruck komme, sei nicht verboten. Aber: „Halberstadt ist mehr. Da gibt es einen diffusen Wunsch nach einem Systemsturz.“
AfD weist Vorwürfe zurück
Die AfD weist solche Vorwürfe zurück. „Wir als AfD sind eine zutiefst demokratische Partei“, heißt es auf Anfrage. Häufig würden der AfD „unrichtige bis unwahre Dinge zugeschrieben, weil sich politische Kontrahenten dadurch einen eigenen Vorteil erhoffen“. Überdies liege es in der Verantwortung eines jeden Bürgers, „ob und an welchen Veranstaltungen er sich beteiligt, solange es sich um friedliche, legale Demonstrationen handelt“.
In Sachsen-Anhalt sieht sich die AfD auf einem Siegeszug. Mit einem Wahlergebnis von mehr als 40 Prozent bei der Landtagswahl im nächsten Jahr könnte man vielleicht die absolute Mehrheit erreichen, meinen einige. Das könnte eintreffen, wenn etwa die FDP oder die Grünen so schlecht wie bei der Bundestagswahl in Sachsen-Anhalt abschneiden und den Sprung ins Parlament verpassen sollten.
Gelegentlich gibt es Gegenproteste
Der Soziologe und Extremismusforscher Matthias Quent sagt, die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung lehne die AfD ab. Aber ihre Etablierung gehe weit über ein rechtsradikales Milieu hinaus, also über diejenigen, die rechtsradikal ausländerfeindlich eingestellt seien. Manche fordern ein AfD-Verbotsverfahren. Verfassungsschutzchef Hollmann sieht eher die anderen Parteien gefordert. „Die demokratische Mitte hat nach meinem Eindruck nie daran gezweifelt, dass das beste Mittel gegen ein Erstarken extremistischer Parteien wie der AfD darin besteht, jene politischen Probleme zu lösen, die die Bürgerinnen und Bürger umtreibt“, sagt er.
In Halberstadt gibt es montags gelegentlich Gegenproteste, unter anderem von den „Omas gegen Rechts“. Auch andere Vereine und Bündnisse wollen mit Vorträgen und Podiumsgesprächen etwas gegen Rechtsextremismus unternehmen. Sie sind besorgt. „Der Schulterschluss der AfD zu den Demonstranten ist da. Die AfD hat die Hand ausgestreckt“, sagt Angela Kunze-Beiküfner von den „Omas gegen Rechts“. An den Demos rechtsextremer Kräfte würden sich auch schon 12-Jährige beteiligen, sagt die Pfarrerin. Nötig sei deshalb eine größere Unterstützung von Schulen bei der Rassismusprävention.
OB Szarata kämpft gegen schlechte Außenwirkung
Der Halberstädter Oberbürgermeister Daniel Szarata (CDU), bei dem die Demonstranten vor gut drei Jahren schon mit Fackeln vor dem Haus standen, kämpft gegen die schlechte Außenwirkung. Diese Demonstrationen würden in der Stadt kaum noch wahrgenommen, sagt er. Und überhaupt müsse man die Zahlen ins Verhältnis setzen. „Wenn in einer 40.000-Einwohner-Stadt 150 Menschen demonstrieren, bedeutet das, dass da 39.850 nicht hingehen.“ Und die, die hingingen, sollten sich genau anschauen, mit wem sie da demonstrierten, rät Szarata.
Die Kundgebung an diesem Montag nähert sich dem Ende. Einige Straßen sind dafür kurzzeitig blockiert worden. Im Bus zum Bahnhof unterhält sich der Fahrer mit einer Frau erst über die Demo, dann geht es um ein mögliches AfD-Verbot. Denen falle nichts anderes mehr ein, sagt der Busfahrer und die Frau nickt. „Ich verstehs nicht. Wenn die Leute das wollen, können sie die doch nicht verbieten.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama
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