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Nazi-Demo (Archiv) © afnpnds @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Aussteigerprogramm für Neonazis

Neun Rechtsextremisten rausgeholt – seit 2014

Seit fast zehn Jahren versucht Sachsen-Anhalt mit einem Programm, rechtsextremen Gewalttätern zum Ausstieg aus der Szene zu verhelfen. Die Zahlen sind nicht hoch. Der Verfassungsschutz ist trotzdem zufrieden.

Dienstag, 15.08.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.08.2023, 9:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sachsen-Anhalts Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten hat seit 2014 neun Männern aus der Szene herausgeholfen. Aktuell würden fünf Klienten begleitet, sagte der Leiter des Landesverfassungsschutzes, Jochen Hollmann, der „Deutschen Presse-Agentur“ in Magdeburg. Mit ihnen werde permanent gearbeitet, „zum Teil beginnend in der Haft, weil wir auch da gerne Klienten gewinnen.“ Im vergangenen Jahr wurde das Aussteigerprogramm verstetigt und ist seitdem ein eigenständiger Bereich in der Extremismus-Prävention.

Der Verfassungsschutzchef sagte zur Einordnung der Zahlen: „Es sind zwar wenige. Aber es gibt nicht nur den Nutzen, dass jemand nicht mehr gewalttätig wird und keine Opfer mehr produziert, sondern er sitzt womöglich auch nicht mehr im Gefängnis.“ Die Tagessätze seien nicht eben gering. Hollmann hob zudem hervor: „Die Auswirkungen auf das familiäre Umfeld wie die eigenen Kinder können auch nur besser werden, indem jemand stabilisiert wird und vom verfassungsfeindlichen und extremistischen Pfad weggelenkt wird.“

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Kontakt hätten die Verfassungsschützer von 2014 bis Juli 2023 zu vielen Menschen gehabt, über die bloße Kontaktaufnahme hinaus zu insgesamt 62 Personen. Davon seien 30 Klienten übernommen worden in das Aussteigerprogramm.“ 14 der Männer hätten aus unterschiedlichen Gründen abgebrochen, bei zweien habe der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit beendet.

Erst soziale Stabilisierung, dann rechtsextreme Ideologie

Bevor es an die Ideologie der Rechtsextremisten gehe, stehe die soziale Stabilisierung der Männer im Vordergrund. Vom Termin im Jobcenter und dem Umgang mit anderen Behörden bis zu familiären Konstellationen samt Treffen mit den Kindern im Rahmen von getrennt lebenden Eltern helfen die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, wie die Referatsleiterin für Extremismus-Prävention, Heike Luckhardt, sagte. Schuldnerberatungen würden organisiert ebenso wie Anti-Gewalt-Trainings. Mit den Aussteigewilligen werden laut Luckhardt einzelne Teilziele vereinbart, die auch kontrolliert werden.

„Es gibt unzählige telefonische Kontakte. Gerade in belasteten Zeiten wie Weihnachten sind meine Mitarbeiter da und telefonieren auch Heiligabend mit Aussteigern.“ Die Kontakte richteten sich nach dem Bedarf der Aussteigewilligen. Die haben sich entweder selbst für das Programm gemeldet oder die Verfassungsschützer haben sie angesprochen – meist aufgrund von Hinweisen aus Gefängnissen, von der Polizei oder aus dem Bereich des Opferschutzes.

3 bis 5 Jahre bis zum „Ausstieg“

„Die Menschen sind lange bei uns, wenn sie denn übernommen werden, und bis zum Schluss die erklärte Absicht haben, auszusteigen – 3 bis 5 Jahre. Das kann mal schneller gehen, aber das ist ein Zeitraum, der auch in anderen Ländern üblich ist“, so Hollmann. Mit Blick auf die neun Männer, die das Programm erfolgreich abgeschlossen haben, sagte Hollmann: „Erfolgreich abgeschlossen heißt, sie sind zumindest nicht mehr mit entsprechenden Straftaten aufgefallen.“

Der erste Aussteiger sei 2018 soweit gewesen, dass anzunehmen war, er würde nicht rückfällig und habe eine gewisse Distanz zum Rechtsextremismus erreicht, sagte Luckhardt. Wer das Programm erfolgreich verlässt, wechselt in eine sogenannte Nachbetreuungsphase. „Wenn etwas ist, treffen wir uns und machen noch einmal eine Kontrolle, ob jemand nicht doch wieder auf einer Versammlung gewesen ist. Die Phase kann bis zu einem halben Jahr dauern.“

Keine Garantie

Eine Garantie, dass jemand nicht doch wieder hineinrutscht, gibt es nicht. „Wir haben aktuell jemanden, der das Programm 2017/18 erfolgreich absolviert hat und jetzt wieder Probleme bekommen und sich an uns gewandt hat.“ Luckhardt sieht das als großen Vertrauensbeweis. Der Mann sei nun wieder im Aussteigerprogramm und einer von den aktuell fünf Klienten.

Sachsen-Anhalts Aussteigerprogramm ist laut Hollmann und Luckhardt eng mit denen anderer Bundesländer wie Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen vernetzt. Wenn jemand aus Schutzgründen umziehen oder eine Arbeitsstelle vermittelt werden müsse, arbeite man zusammen. Auch mit dem Aussteigerprogramm des Bundesamtes für Verfassungsschutz gebe es eine enge Kooperation. Brandenburg, das sein Aussteiger-Programm „Wagemut“ als Baustein im Kampf gegen Rechtsextremismus begonnen habe, sei von Sachsen-Anhalt unterstützt worden. (dpa/mig) Aktuell Panorama

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