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Damian Boeselager (Volt) © Volt Deutschland

Damian Boeselager im Gespräch

EU-Abgeordneter warnt vor „Domino-Effekt“ wegen Grenzkontrollen

Der Europaabgeordnete Damian Boeselager (Volt) warnt vor einem gefährlichen Kurs in der Migrationspolitik und kritisiert die deutschen Grenzkontrollen scharf. Im Gespräch fordert er einen Perspektivwechsel: Migration müsse als Chance begriffen werden und nicht nur als Bedrohung.

Von Sonntag, 18.05.2025, 10:58 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 18.05.2025, 10:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Herr Boeselager, Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat die Zurückweisung auch von Asylbewerberinnen und -bewerbern bei Grenzkontrollen angewiesen. Sie nennen das einen Skandal. Warum?

Damian Boeselager: Friedrich Merz kann sich nicht als Europa-Kanzler inszenieren und gleichzeitig das Schengen-Abkommen unterwandern. Das Schengener Abkommen verbietet innereuropäische Grenzkontrollen. Wenn nicht einmal Deutschland sich an diese Regeln hält, entsteht ein Domino-Effekt. Dann zeigt Ungarn beim nächsten Regelbruch auf Deutschland und sagt: Verklagt doch erstmal die. Das ist brandgefährlich.

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Noch schlimmer: Merz orientiert sich am rechtspopulistischen Narrativ der AfD. „Es gibt Probleme in Deutschland, also machen wir die Grenzen dicht.“ Das löst kein einziges tatsächliches Problem. Stattdessen befeuert es den Diskurs weiter. Die Rechtspopulisten liefern Fake-Lösungen, und Konservative springen darauf auf. Das führt zu Maßnahmen, die den Eindruck von Kontrollverlust erzeugen. Das ist ein sich selbst verstärkender Effekt.

Sie sprechen von einer gefährlichen Diskursverschiebung beim Thema Migration. Was meinen Sie damit?

Es reicht, sich die Begriffe anzusehen. „Migrant“ oder „Einwanderer“ hat eine ganz andere Konnotation als „internationales Talent“ oder „Expat“. Migration wird außerdem fast nur noch im negativen Kontext diskutiert. Dabei unterscheiden wir kaum noch zwischen Asyl und Arbeitsmigration, obwohl es sich um völlig unterschiedliche Bereiche handelt. Diese Vermischung führt dazu, dass wir beides schlecht regeln.

Welche Rolle spielt Arbeitsmigration für Europa und warum tun wir uns so schwer damit?

„Die Debatte ist feindselig, oft rassistisch.“

Europa braucht in den nächsten Jahren Hunderttausende Fachkräfte, allein um mit dem demografischen Wandel klarzukommen. Doch unser europäischer Arbeitsmarkt ist unattraktiv: Er ist zersplittert, sowohl sprachlich als auch regulatorisch, und die Debatte ist feindselig, oft rassistisch. Wer sich das anschaut, fragt sich: Warum sollte ich ausgerechnet nach Deutschland kommen? Gleichzeitig haben wir ausländische Doktoranden, denen Anwälte raten, vor der Ausländerbehörde zu zelten, damit ihr Visum rechtzeitig verlängert wird. Das ist doch absurd. Wir behandeln Menschen, die wir dringend brauchen, wie Bittsteller.

Was ist die politische Konsequenz daraus?

Es gibt einen riesigen Widerspruch zwischen unseren Werten und wirtschaftlichen Interessen auf der einen Seite und unseren migrationspolitischen Entscheidungen auf der anderen. Ich halte das für moralisch falsch und für ökonomisch dumm. Deshalb haben wir zum Beispiel die Initiative „Open Employers“ gestartet. Unternehmen positionieren sich klar: Wir brauchen Migration und zwar dringend. Die Politik muss das endlich ernst nehmen.

Was muss sich konkret ändern?

„Deutschland muss sein Selbstverständnis öffnen.“

Erstens: Asylverfahren müssen schneller und fairer werden. Zweitens: Arbeitsmigration muss attraktiver werden – einschließlich schneller Anerkennung von Qualifikationen. Drittens: Integration muss aktiv gestaltet werden – mit Sprachkursen, dezentraler Unterbringung und schneller Integration in den Arbeitsmarkt. Viertens: Sicherheitspolitik gehört separat diskutiert. All das wird aktuell in einen Topf geworfen. Das führt zu populistischen Pseudo-Lösungen, aber nicht zu Fortschritt.

Ist Deutschland bereit, sich als Einwanderungsland zu verstehen?

Noch nicht. Deutschland muss sein Selbstverständnis öffnen. In Köln zum Beispiel gehört man dazu, wenn man „noch ene mittrinkt“. Dieses inklusive Verständnis fehlt oft. Selbst in zweiter oder dritter Generation haben Menschen das Gefühl, nicht dazuzugehören. Je toxischer die Debatte, desto unattraktiver werden wir als Arbeits- und Lebensort.

Werfen wir noch einen Blick auf das Thema Asyl. Kann die große EU-Asylreform die Situation verbessern?

Wahrscheinlich leider nicht. Sie verlagert Verantwortung weiter auf die Länder an den Außengrenzen. Menschen mit geringer Bleibechance sollen direkt in Grenzlagern festgesetzt werden. Aber besonders wir Deutschen sollten doch gelernt haben, dass man Menschen nicht in Lager sperrt. Psychologisch ist das nachweislich traumatisierend. Diese Menschen kommen dann traumatisiert in Europa an und dann wundert man sich, dass Integration scheitert.

„Asyl ist ein Grundrecht, ein Erfolg der Menschheit.“

Asyl ist ein Grundrecht, ein Erfolg der Menschheit. Wer verfolgt wird, soll Schutz finden. Sobald man das anerkennt, muss man den Prozess verbessern: schnellere Verfahren, klare Zuständigkeiten und ja – auch schnellere Rückführungen bei einer negativen Entscheidung – was ebenfalls komplex ist. Aber eins ist klar: Die Idee, durch Leid bei uns Zuwanderung zu vermindern, ist zynisch und wird nicht funktionieren.

Wenn Sie ein migrationspolitisches Projekt sofort umsetzen könnten, welches wäre das?

Ich würde die Verfahren für ausländische Fachkräfte menschenfreundlich gestalten. Wer einen Arbeitsvertrag hat, sollte Service erhalten: schnelles Visum, schnelle Anerkennung von Qualifikationen. Das sind Menschen, die etwas beitragen wollen, keine Bittsteller. Ein hoffnungsvolles Projekt ist der European Talent Pool. Eine Vermittlungsplattform für internationale Fachkräfte mit europäischen Arbeitsplätzen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir stehen erst ganz am Anfang. (epd/mig) Aktuell Interview Politik

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