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Krieg in Gaza (Archiv) © de.depositphotos.com

„Totale Zerstörung“

Israel plant Offensive zur dauerhaften Besetzung Gazas

Israelische Soldaten sollen den Gazastreifen erobern und langfristig kontrollieren. Angehörige der von der Hamas dorthin verschleppten Geiseln sind entsetzt. Auch Deutschland ist besorgt – es könnte eine Besatzungsmacht beliefert haben.

Dienstag, 06.05.2025, 11:37 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 06.05.2025, 16:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die israelische Armee soll nach dem Willen der Regierung den Gazastreifen erobern und auf Dauer besetzt halten. Für die großangelegte Offensive werden Zehntausende Reservisten mobilisiert. Weiter beschloss das Sicherheitskabinett um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nach Angaben aus Regierungskreisen einen Plan, um die seit Wochen gestoppten Hilfslieferungen in den abgeriegelten Küstenstreifen wieder aufzunehmen.

Der Plan sehe auch vor, die palästinensische Bevölkerung vom Norden in den Süden zu bewegen, hieß es in einer Mitteilung der Regierung weiter. Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte am Abend in einer Videoansprache, dies geschehe zu ihrem eigenen Schutz.

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Ziel ist es laut Regierung, die im Gazastreifen herrschende Hamas zu besiegen und die Freilassung der von islamistischen Extremisten festgehaltenen Geiseln zu erreichen. Die Islamistenorganisation soll demnach auch daran gehindert werden, humanitäre Hilfsgüter für sich abzuzweigen oder weiterzuverkaufen.

Netanjahu: Soldaten bleiben in eroberten Gaza-Gebieten

Netanjahu teilte in seiner Ansprache mit, dass israelische Soldaten künftig in eroberten Gebieten des Gazastreifens stationiert bleiben sollen. Es sei nicht länger beabsichtigt, dass Soldaten nur Angriffe im Gazastreifen ausführen und sich dann dort wieder zurückziehen. Ziel sei das Gegenteil. Er ließ offen, ob das gesamte Gebiet oder nur bestimmte Teile davon eingenommen werden sollen.

Laut der israelischen Zeitung „Haaretz“ ist neben der Einnahme weiterer Gebiete vorgesehen, die schon geschaffene „Pufferzone“ auszuweiten. Auf diese Weise wolle Israel in den Verhandlungen mit der Hamas mehr Druckmittel gewinnen. Beide Seiten können sich seit Wochen nicht auf ein Abkommen zur Freilassung weiterer Geiseln sowie eine Waffenruhe einigen.

Netanjahu sagte laut Regierungskreisen außerdem, er unterstütze weiterhin den Plan des US-Präsidenten Donald Trump für eine „freiwillige Emigration von Gaza-Einwohnern“. Man sei dazu mit mehreren Ländern im Gespräch. Trumps Plan war international auf starke Kritik gestoßen.

Israels Finanzminister: „Totale Zerstörung“

Ungeachtet dessen hat der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich eine vollständige Zerstörung des Gazastreifens und Vertreibung der Einwohner in Aussicht gestellt. Smotrich sprach auf einer Siedlerkonferenz im Westjordanland und antwortete auf die Frage, wie für ihn ein Sieg im Gaza-Krieg aussehe: „Gaza total zerstört.“ Die Einwohner sollten ganz im Süden des Küstenstreifens, südlich der ehemaligen israelischen Siedlung Morag, in einer „humanitären Zone“ konzentriert werden, sagte Smotrich weiter. Von dort aus sollten die Einwohner dann in großer Zahl den Gazastreifen verlassen und in Drittländer gehen. Innerhalb eines halben Jahres werde es im Gazastreifen keine Hamas mehr geben, meinte der Minister.

Anwohner des Gazastreifens fürchten Eroberung des Gebiets

Im Gazastreifen sorgte die Ankündigung über eine Einnahme des Gebiets für Verzweiflung. So werde der Krieg immer weitergehen, zeigte sich Dschamal al-Sabri aus der Stadt Gaza im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur überzeugt. Der 50 Jahre alte Ladenbesitzer sagte, er sei gegen eine militärische Besetzung des Gebiets. „Wir brauchen unser Leben zurück, unser Land und unsere Würde.“ Auch andere Anwohner äußerten die Angst, dass die Pläne die Fortführung der Angriffe und Kämpfe bedeuten könnten.

Smotrich: Bleiben auch im Fall eines Deals in Gaza

Auslöser des Gaza-Kriegs war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Bei dem Vergeltungsschlag im Gazastreifen sollen bisher weit über 50.000 Menschen getötet worden sein – die meisten Zivilisten, Frauen und Kinder. Der ultrarechte Finanzminister Bezalel Smotrich sagte israelischen Medien zufolge, Israel werde sich auch im Falle eines weiteren Deals zur Freilassung von Geiseln nicht aus dem Gazastreifen zurückziehen. Er betonte demnach auch die Möglichkeit einer Annexion des Palästinensergebiets.

Angehörige der Geiseln warfen der Regierung vor, die Geiseln mit ihrem „Smotrich-Netanjahu-Plan“ aufzugeben. Israels Führung seien Gebiete wichtiger als die Verschleppten, sie handle damit gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, sagte das Forum der Geisel-Familien.

Geiseln unter grausamen Umständen festgehalten

Umfragen zufolge befürwortet eine große Mehrheit der israelischen Bevölkerung ein Abkommen, das die Freilassung aller noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln vorsieht – auch wenn dies ein Ende des Krieges bedeuten würde. Die Hamas will eigenen Angaben zufolge nur dann weitere Geiseln freilassen, wenn die Kämpfe endgültig enden.

In dem Küstenstreifen sind nach israelischen Angaben noch 24 Geiseln sowie die Leichen von 35 Entführten in der Gewalt von Terrororganisationen. Sie werden nach Angaben ehemaliger Geiseln von ihren Entführern unter grausamsten Umständen festgehalten.

Israel hatte sich vor 20 Jahren aus Gaza zurückgezogen

Kritiker in Israel werfen Netanjahu, gegen den seit Jahren ein Korruptionsprozess läuft, Eigeninteressen im Gaza-Krieg vor. Der israelische Regierungschef, dem nachgesagt wird, an der Macht zu klammern, ist für sein politisches Überleben auf seine rechtsextremen Koalitionspartner angewiesen. Diese fordern schon länger die Wiederbesetzung und Wiederbesiedlung des Gazastreifens, aus dem Israel sich vor 20 Jahren zurückgezogen hat.

Israelische Beobachter haben in dem Fall bereits vor den Auswirkungen für Israel gewarnt. So kämen auf das Land Kosten in Milliardenhöhe zu, für die Geiseln bedeute die Entscheidung wahrscheinlich den Tod. Zudem bräuchte die Armee deutlich mehr Soldaten, so Analysten.

Generalstabschef Ejal Zamir hatte am Sonntag bereits angekündigt, Zehntausende Einberufungsbefehle an Reservisten verschicken zu wollen, um die Offensive im Gazastreifen ausweiten zu können. Diesen Schritt hatte das Sicherheitskabinett ebenfalls beschlossen.

Die Mutter eines entführten Mannes forderte Berichten zufolge Reservisten der Armee dazu auf, aus moralischen und ethischen Gründen nicht zum Dienst zu erscheinen.

Deutschland lehnt dauerhafte Besatzung des Gazastreifens ab

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts nannte die Berichte zu den Eroberungsplänen „besorgniserregend“. Das Ministerium lehnt eine dauerhafte Besetzung des Gazastreifens nach eigenen Angaben ab. „Gaza gehört den Palästinenserinnen und Palästinensern“, so der Sprecher. Deutschland steht in der Kritik, nur als einer der größten Waffenlieferanten Israels lediglich Lippenbekenntnisse abzugeben ohne wirklich Druck auf die das Netanjahu-Regime auszuüben.

Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hatte bereits im vergangenen Monat gesagt, Israels Soldaten sollten in allen im Gazastreifen eroberten Gebieten dauerhaft die Kontrolle behalten. Anders als in der Vergangenheit werde die Armee keine Gebiete mehr räumen. (dpa/mig) Aktuell Ausland

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