
Nebenan
Höckepack ins Kanzleramt
Mithilfe der AfD und deren Spalterhetze will sich Merz Huckepack ins Kanzleramt tragen lassen. Es scheint zu funktionieren. Es ist an jedem einzelnen von uns, zu sagen: bis hierhin und nicht weiter.
Von Sven Bensmann Montag, 10.02.2025, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.02.2025, 8:44 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Über Angela Merkel hieß es einst, wenn sich mal wieder alle sich vor ihr aufbauten und auf sie einbrüllten, dann habe sie sich einfach herumgedreht und erklärt: Die stehen alle hinter mir. Eine ähnliche Geschichte ließe sich heute über Friedrich Merz erzählen. Der hat von Trump und seinen Kulturkämpfern abgeschaut, wie man Feuer an den Reichstag legt und so die ganze Bundesrepublik in Brand steckt. So hatte er gegen die Parteien der Mitte einen Antrag direkt aus dem Parteiprogramm der AfD ins Parlament eingebracht, um in Richtung der AfD und ihrer Wähler zu signalisieren: „Wir sind auf eurer Seite, auch wenn wir uns noch zu keiner offenen Koalition bekennen dürfen. Wählt lieber AfD, sonst koalieren wir am Ende noch mit Grünen oder SPD.“
Als auch die beiden großen C-Kirchen, eher noch konservativer Rand als Mitte der Gesellschaft, ihren Unmut über das durchsichtige Manöver der beiden C-Parteien bekundeten, hieß es aus der Partei lapidar: „Überrascht nicht, interessiert nicht.“ Dass seine Vorschläge nur in der extremen Rechten Anklang gefunden haben, ihm selbst Teile der eigenen Partei die Gefolgschaft verweigerten: auch das interessiert nicht: Wer nicht nach rechts und nicht nach links schaut, hält sich allzu halt leicht für die Mitte – ganz egal, wie nah der Abgrund bereits ist.
Seitdem gingen und gehen Hunderttausende auf die Straßen, um ihre Stellung in der Mitte Gesellschaft zu behaupten – wohl wissend, dass Merz den Faschisten eine Schneise in die Brandmauer gerissen hat und es nun an allen ist, zu verhindern, dass diese Faschisten und ihre Kollaborateure in der CDU/CSU glaubwürdig behaupten können, sie seien die Mitte.
„Ob ein Gesetzvorschlag die Mitte der Gesellschaft widerspiegelt, das zeigt sich auf der Straße.“
Denn was die „Mitte der Gesellschaft“ ist, das definieren weder ein Herr Merz, der sein Land nur aus dem Flugzeug und den Lobbyabteilungen von Großkonzernen kennt, in denen er gegen die Interessen der demokratischen Mitte lobbyiert, noch ein Herr Höcke, der sich für das Volk hält. Ob ein Gesetzvorschlag die Mitte der Gesellschaft widerspiegelt, das zeigt sich auf der Straße. Und darin, ob staatszersetzende, verfassungsfeindliche, rassistische Parteien von diesen Vorschlägen begeistert sind und johlend und feixend mitansehen, wie sich eine in Teilen konservative Partei im Parlament blamiert.
Dabei kristallisiert sich dieser Tage immer stärker heraus, dass Merz‘ Strategie nicht zuletzt die Strategie Trumps ist, zu dessen Stiefelleckern seine Partei zuletzt immer wieder Bildungsreisen unternommen hatte: Merz will denselben Kulturkampf führen, den Trump und Musk, Putin und Milei führen, der die Freiheiten, die der Staat sichert, abbaut, um das Recht des Stärkeren als dominierendes Dogma zu etablieren. Auch Merz will letztlich die Freiheit der Reichen, die sich Menschen und Politik kaufen können, die Bodyguards statt Polizei, Privatlehrer statt öffentlicher Bildungseinrichtungen, Privatflieger statt Bahn, Rendite statt Mindestlohn, Privatkliniken statt öffentlicher Krankenhäuser, Papas Villa statt Mietpreisbremse, Erbschaft statt Arbeitslosengeld wollen. Dafür hat er die letzten Jahrzehnte bei Blackrock und diversen anderen Unternehmen lobbyiert.
„Doch dann kamen die asozialen Medien und ihre Algorithmen.“
Diese „Freiheit“ von Staat kann man der weitgehend mittellosen Wählerschaft allerdings nur dann verkaufen, wenn man ihr diesen Staat madig macht. Jahrzehntelang haben sich Menschen daran die Zähne ausgebissen, weil die Wähler in der breiten Masse nicht dumm genug waren, darauf hereinzufallen. Doch dann kamen die asozialen Medien und ihre Algorithmen: Heute können sie einem Eskimo den Anorak abnehmen, indem sie behaupten, es kämen Milliarden Menschen mit Booten, die ihm den Anorak wegnehmen wollen. Sie können einem Seefahrer einreden, dass das Schwimmabzeichen gefährliche Indoktrination sei und, dass Sie als anständiger Seefahrer doch nicht wollen können, dass ihr Kind zum Freischwimmer erzogen wird.
Wie ein dubioser Kartenspieler an der Promenade hypnotisiert Merz den Wähler mit Flüchtlingen, mit Queeren und anderen marginalisierten Gruppen in seiner Rechten, damit er nicht mitbekommt, wie seine Komplizen ihm mit der Linken das Portemonnaie und die Bürgerrechte aus der Tasche ziehen: Das allein unterscheidet die Union des Friedrich Merz noch von der AfD: Die verlangt ganz offen und mit vorgehaltenem Messer die Brieftasche.
Sicher, neu ist das nicht: Die christlichen Kirchen und später die Nazis haben über Jahrhunderte zur eigenen Machtsicherung dasselbe Spiel mit den Juden gespielt. Nach 45 – also die Periode, von der so lange behauptet wurde, die Deutschen seien plötzlich immun gegen den Faschismus – hat dieses Spiel nicht mehr wie gewohnt funktioniert. Einerseits steckte den Deutschen die totale Niederlage noch jahrzehntelang in den Knochen, andererseits gab es schlicht und einfach nicht mehr genug Juden in Deutschland, mit denen man den Deutschen hätte Angst machen können.
„Der eigentliche Erfolg der Staatszersetzer liegt also darin, neue Juden aufgetrieben zu haben – Homosexuelle, Transpersonen, Vertriebene…“
Der eigentliche Erfolg der Staatszersetzer liegt also darin, neue Juden aufgetrieben zu haben – Homosexuelle, Transpersonen, Vertriebene – mit denen sie den Wähler von den echten Zielen ablenken können: Kulturkampf ist kein Kampf zwischen Kulturen, er ist ein Krieg um die Gesellschaft, um kulturelle Errungenschaften. Angela Merkel ist doch Friedrich Merz nicht primär deshalb in die Parade gefahren, weil sie ihr eigenes Erbe des „Wir schaffen das!“ gefährdet sähe – es strahlt angesichts einer Merz-Kanzlerschaft nur umso heller. Merkel fürchtet ganz grundlegend um den Rechtsstaat, um den sie sich in ihrer Regierungszeit durchaus verdient gemacht hat. Sie fürchtet um die CDU/CSU als konservative Partei als Partei Adenauers und Kohls, die Merz hintertreibt, um sie als neue libertäre Partei zwischen AfD und FDP etablieren, die mit rheinisch-katholischem Kapitalismus und protestantischem Arbeitsethos bricht, um den glücklichen Erben als „Leistungsträger“ in den Mittelpunkt der Politik zu stellen – ein Weg, den die längst vergessenen konservativen Parteien unserer europäischen Nachbarn bereits gegangen sind.
Dieser Kulturkampf findet statt. Jetzt gerade. Überall, auf den Straßen. Die Fronten sind dabei so verhärtet, dass selbst offene Kollaboration mit der AfD der CDU/CSU kurzfristig noch nicht schadet. Seine nächste große Schlacht wird am 23. Februar geschlagen. Es ist an jedem einzelnen von uns, zu sagen: bis hierhin und nicht weiter. Freiheit kann nur die Freiheit aller sein, sie darf nie die Freiheit weniger auf Kosten aller anderen sein. (mig) Meinung
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