Mutter aller Probleme
Antimigrantische Reflexe
Wir erleben einen massiven gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck. Alle migrationsfeindlichen Reflexe zünden gerade – getrieben von der AfD, willig umgesetzt vom Rest. Ein paar Gedanken.
Von David Galanopoulos Donnerstag, 03.10.2024, 11:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.10.2024, 17:35 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Wahlen in Ostdeutschland haben gezeigt, dass eine rechte Politik und Bilder von erfolgreichen Abschiebungen nicht bedeuten, dass man den Rechten die Stimmen stiehlt. Und trotzdem führt die Politik einen Überbietungswettbewerb in professioneller Migrationsfeindlichkeit. Die Siegerin: die AfD.
Was die Ampelparteien noch nicht verstanden haben: Das ist eine Schlacht, die sie niemals gewinnen können. Weniger Sozialleistungen für Flüchtlingsfamilien? Rechte wollen gar keine Leistungen. Mehr Abschiebungen? Rechte wollen sie alle weg haben. Mehr Grenzkontrollen? Rechte wollen sie komplett dichtmachen. Die Politik kann sich jetzt noch so sehr mit härteren Asylrechtsverschärfungen überbieten. Es wird immer irgendeine Freiheit oder ein Grundrecht geben, das noch weiter beschnitten werden kann.
Man kann natürlich alle Geflüchteten abschieben, aber trotzdem wird es mindestens eine Person geben, die sich so weit radikalisiert hat, dass sie eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt – und die Herkunft ist dabei nicht entscheidend. Der nächste Terrorakt wird vor der Tür stehen. Warum? Weil nicht Geflüchtete oder Migrant:innen das Problem sind, sondern der Terrorismus. Er lässt sich nicht in Kisten, Koffern oder Hosentaschen transportieren, sondern entsteht in Köpfen – konfessions- und herkunftsübergreifend.
Und wenn alle Ausländer:innen aus dem Land verschwunden sind, wird sich ganz sicher ein anderer Sündenbock finden, warum es keinen Termin im Rathaus gibt oder man keine neue Wohnung findet. Versprochen.
„Faschismus vollzieht sich nicht über Nacht. Faschismus ist Strategie, Millimeterarbeit und parasitär.“
Der Diskurs steht heute klar rechts und befürwortet einen harten Kurs in der Migrations- und Asylpolitik. In dieser Polit-Sparte folgt man dem vermeintlichen „Willen des Volkes“, man nimmt die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst. Dafür wird nötigenfalls Verfassungsrecht gebrochen – so lange, bis es von Verfassungsrichtern wieder zurückgepfiffen wird. Alles kein Problem! Wenn aber die Bevölkerung stärkeren Klimaschutz fordert, die Enteignung von großen Immobilienkonzernen oder höhere Besteuerung von Vermögen, sind der Politik plötzlich die Hände gebunden, weil: zu „unrealistisch“, zu „ideologisch“, zu „extrem“.
Gegenhalten
Die AfD setzt seine Politik durch, ohne regieren zu müssen. Sie bestimmt den Diskurs auf eine Art und Weise wie keine zweite Partei in diesem Land. Faschismus vollzieht sich nicht über Nacht. Faschismus ist Strategie, Millimeterarbeit und parasitär. Leider muss man anerkennen, dass der Faschismus mit seinen einfachen Antworten und Sündenböcken bei den demokratischen Parteien der „Mitte“ anschlussfähiger ist als gedacht. Wenn sogar der Autokrat Orbán oder der Rechtsextremist Sellner diese Haltung loben, sollte man einmal ganz tief in den Spiegel schauen und sich fragen, ob man nicht viel zu weit abgedriftet ist. Was die AfD von Demokratie und Parlamentarismus hält, zeigt sie an diesen Tagen in Thüringen.
Doch es gibt auch politische Kräfte, die sich nicht mit diesem Rechtsruck zufriedengeben wollen. Die Linke ist die einzige Partei im Bundestag, die sich nicht der Asylrechtsverschärfung hingibt und die Asylsuchenden problematisiert, sondern vielmehr die Ursache für die Flucht.
Auch der Schritt des Bundesvorstandes der Grünen Jugend, ihre Ämter abzulegen und die Partei zu verlassen, kann als konsequenter Schritt betrachtet werden. Irgendwann sind die faulen Kompromisse und die Bauchschmerzen auch nicht mehr auszuhalten. Und zum Glück gibt es noch eine funktionierende Zivilgesellschaft, siehe etwa Mission Lifeline oder Pro Asyl. Es bleibt zu hoffen, dass sich weitere Kräfte mobilisieren können, um ein ernstzunehmendes Gegenstück zur derzeitigen Asylpolitik aufzubauen.
Ehrlich machen
„Man stelle sich mal nur für einen Augenblick vor, die AfD habe sich kompromisslos durchgesetzt.“
Migration bewegt das Land – im wahrsten Sinne des Wortes, keine Frage. Und wenn Menschen davor Angst haben, dann muss das die Politik auch adressieren. Sie darf aber die Bevölkerung nicht anlügen und „die Migration als Mutter aller Probleme“ deklarieren. Sie muss Wirkung und Ursache klar definieren.
Migration ist vielmehr eine Chance. Ohne sie ist dieses Land nicht zukunftsfähig – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell. Man stelle sich mal nur für einen Augenblick vor, die AfD habe sich kompromisslos durchgesetzt. Das Land würde nicht vorwärtsgehen, sondern zurück in die dunkelste Zeit dieses Landes.
Migrationspolitik ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Schnelle Lösungen gibt es nicht – denn es geht um Menschen. Langfristige Investitionen in Sektoren wie Integration, Bildung und Wohnen sind hier geboten, um die Gesellschaft nicht zu über-, sondern zu entlasten. Das Geld ist da – nicht bei den Bürgergeldempfänger:innen, sondern viel weiter oben. Meinung
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