Neu verhandelt
Deutschland hofft auf mehr Abschiebungen in Türkei
Seit Längerem wächst der Druck auf die Bundesregierung, mehr Menschen abzuschieben. Hinter den Kulissen wurde verhandelt – auch mit der Türkei. Schiebt Deutschland nun mehr Türken in ihr Herkunftsland ab? Aussagen aus Berlin und Ankara scheinen sich zu widersprechen.
Sonntag, 29.09.2024, 12:14 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.09.2024, 12:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Deutschland erwartet nach ersten neu ausgehandelten Ausweisungen türkischer Staatsbürger in die Türkei weitere Abschiebungen. Die Bundesregierung sei fortlaufend auch mit der Türkei über migrationspolitische Themen im Gespräch – „auch im Bereich Rückführungskooperation“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Am Freitag war bekanntgeworden, dass Deutschland neu ausgehandelte Abschiebungen in die Türkei begonnen hat. Vorerst sollen insgesamt 200 Türken in die Türkei gebracht werden. Dabei geht es um ausreisepflichtige Türken.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan ließ Medienberichte über massenhafte Ausweisungen allerdings umgehend dementieren. Erdoğans Kommunikationsdirektorat gegen „Desinformation“ (Fake-News) stellte auf der Plattform X klar, es gebe keine Einigung mit der Bundesregierung, wonach jede Woche 500 ausreisepflichtige türkische Staatsbürger in die Türkei ausgeflogen werden sollten.
Türkei: Nicht Thema bei Scholz und Erdoğan
Ein Sprecher des türkischen Außenministeriums unterstrich, man habe keine Massenabschiebungen der eigenen Bürger genehmigt. Das Thema sei auch nicht bei einem Treffen zwischen Erdoğan und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 23. September in New York auf der Agenda gewesen, sagte der Sprecher Öncü Keçeli.
Als Reaktion auf diese Äußerungen sagte der Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der Deutschen Presse-Agentur auch: „Die Bundesregierung spricht intensiv mit Herkunftsländern über die Verbesserung der Rückkehrkooperation.“ Die Türkei sei ein sehr wichtiger Partner Deutschlands in all diesen Fragen. Angesichts der generellen diplomatischen Bedeutung solcher Verhandlungen bat der Sprecher aber um Verständnis, „dass Details dieser Gespräche vertraulich sind“.
Ausstellen von Ausweispapieren
Die Rückführung von Türken wird nach Angaben aus Berlin nach und nach über Linienflüge dezentral abgewickelt. Erste solcher Flüge wurden absolviert. Die Bundesländer sind etwa bei der Beschaffung nötiger Papiere involviert.
Bilaterale Absprachen über Rückführungen umfassen oft praktische Fragen wie das Ausstellen von Ausweisdokumenten durch das Herkunftsland. „Wir haben jetzt erreicht, dass Rückführungen in die Türkei schneller und effektiver erfolgen können und die Türkei Staatsbürger, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller zurücknimmt“, sagte Faeser den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Beobachter werfen die Frage auf, ob es bei den Rückführungen in die Türkei fortan um Abschiebungen in großem Stil geht. Im vergangenen Jahr waren immer mehr Asylbewerber aus der Türkei gekommen. Allerdings sind Abschiebungen in das Partnerland wegen dessen geopolitischer Rolle sensibel. Abschiebungen generell haben laut Experten und nach Angaben aus Regierungskreisen oft einen langen Vorlauf und beruhen auf komplizierten Absprachen.
Blockade gelöst?
Die Türkei soll die Rücknahme von ausreisepflichtigen Türken nach Angaben aus Diplomatenkreisen bisher blockieren. Angeführt werden sollen dabei rechtliche Bedenken. Knapp 1.300 türkische Staatsbürger wurden im Jahr 2023 aus Deutschland abgeschoben. Ende April 2024 waren etwa 14.500 Türken in Deutschland ausreisepflichtig.
Ob die Einigung nun auch Zugeständnisse an Ankara beinhaltetet, war zunächst unklar. Die Türkei pocht seit langem auf Visa-Erleichterungen für ihre Staatsbürger. Allerdings wurden im Zeitraum 2018 bis 2023 nur für Menschen aus China mehr Visa erteilt, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres hat Deutschland fast 16.000 nationale Visa für türkische Antragsteller ausgestellt. 2019 waren es im gleichen Zeitraum weniger als die Hälfte.
Pro Asyl kritisiert Scholz
Abschiebungen sind oft umstritten – auch in die Türkei. Auf der Liste der wichtigsten Herkunftsländer von Asylbewerbern belegt das Land aktuell den dritten Platz. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 21.590 türkische Staatsbürger in Deutschland einen Asylantrag. Dass jetzt mehr Türken kommen, hat nach Einschätzung von Asylexperten auch mit den Folgen des verheerenden Erdbebens von 2023 zu tun.
Die Ampel-Regierung steht vor allem in den Wahlkämpfen unter Druck, mehr Menschen abzuschieben. Scholz kündigte an, „in großem Stil“ abschieben zu wollen. Die Flüchtlingsrechtsorganisation Pro Asyl kritisierte den Kurs als „unverantwortlich“. Die Regierung in Ankara steht wegen der Menschenrechtslage und des harschen Vorgehens gegen politische Gegner in der Kritik. Laut Pro Asyl sind die meisten türkischen Asylbewerber in Deutschland Kurden. (dpa/mig) Aktuell Politik
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