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Stacheldraht © JarkkoManty @ pixabay.com (CC 0), bearb. MiG

Eine Woche nach Solingen

Erste Abschiebung nach Afghanistan seit Taliban-Machtübernahme

Deutschland schiebt wieder ab ins Land der Taliban. Menschenrechtler sind empört. Die Männer an Bord hatten schwerste Straftaten begangen – inzwischen sind Details bekannt.

Sonntag, 01.09.2024, 13:06 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 01.09.2024, 13:06 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren hat Deutschland wieder Afghanen in ihr Herkunftsland abgeschoben. Nach Angaben von Innenministerin Nancy Faeser handelte es sich um 28 Straftäter. Alle Betroffenen sind Männer, wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr. Unter den Abgeschobenen sind nach Angaben der beteiligten Länder Sexualstraftäter und gewaltbereite Kriminelle.

Das sächsische Innenministerium teilte mit, die Maschine sei am Morgen vom Flughafen Leipzig/Halle abgehoben. Die Straftäter hätten mindestens zwei Drittel ihrer Strafe in Deutschland bereits abgesessen, berichteten mehrere Abgeordnete aus einer Sondersitzung des Bundestagsinnenausschusses, die den Anschlag in Solingen zum Thema hatte. Anwesend waren dort unter anderem Faeser und Bundespolizei-Präsident Dieter Romann. Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit immer betont, Straftäter sollten nur abgeschoben werden, wenn sie einen beträchtlichen Teil ihrer in Deutschland verhängten Strafe abgesessen hätten.

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Insgesamt waren im Flieger Abzuschiebende aus Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen und Hessen.

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Aufregung um Handgeld

Eigentlich hätten noch fünf weitere Menschen – also insgesamt 33 – am Freitag abgeschoben werden sollen, wie Abgeordnete berichteten. Zwei der zur Abschiebung Vorgesehenen seien am Morgen nicht angetroffen worden, sagte der FDP-Parlamentarier Manuel Höferlin. Drei weitere seien von den Landesjustizbehörden nicht für die Abschiebung freigegeben worden, weil sie aus Sicht der Staatsanwaltschaft noch keinen ausreichenden Teil ihrer Haft hierzulande verbüßt hätten.

Für Aufregung sorgte, dass die Abgeschobenen ein sogenanntes Handgeld von 1.000 Euro erhalten haben sollen. Zumindest für Niedersachsen bestätigte dies das dortige Innenministerium. Das Geld solle reichen, um sechs bis neun Monate den Lebensunterhalt in Afghanistan zu bestreiten. Die Sprecherin erklärte, nach ihren Informationen hätten sich alle beteiligten Bundesländer auf diese 1.000 Euro geeinigt. Bundesinnenministerin Faeser verwies in der Frage „möglicher Gelder“ an die Länder. Sie sagte aber auch, eine solche Zahlung sei „ein übliches Verfahren“, damit Gerichte die Entscheidung der Behörden nicht wieder aufhöben.

Katar hilft aus

Deutschland unterhält zu den Taliban-Machthabern in Kabul keine diplomatischen Beziehungen. Nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim Ende Mai hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und auch Syrien wieder zu ermöglichen.

Bei der Abschiebung setzte die Bundesregierung nun auf die Unterstützung des Emirats Katar. Zum Einsatz kam ein Charterjet von Qatar Airways, der auf dem Tracking-Portal Flightradar zu verfolgen war und demnach am Nachmittag (Ortszeit) in Kabul landete. Die Grünen-Abgeordnete Kaddor sagte, in der Sitzung des Innenausschusses sei berichtet worden, dass kein Bundespolizist wie auch generell keine Vertreter deutscher Behörden an Bord gewesen seien. Stattdessen hätten Angehörige katarischer Behörden den Flug organisiert und für dessen Sicherheit gesorgt.

Kanzler Scholz sagte auf einer Wahlkampfveranstaltung in Chemnitz: „Wir haben dafür gesorgt, dass die Ansage, dass schwere Straftäter auch zum Beispiel nach Afghanistan wieder zurückgeschickt werden, umgesetzt wird.“ Bei einem Termin in der Nähe von Leipzig sagte er, die Abschiebungen seien sorgfältig vorbereitet worden. Ein solches Vorhaben gelinge nur, „wenn man sich da Mühe gibt, wenn man es sorgfältig und sehr diskret macht“.

Der Abschiebeflug startete zwar wenige Tage nach dem mutmaßlich islamistisch motivierten tödlichen Messerattentat von Solingen, hat aber einen deutlich längeren Vorlauf, wie es aus Behördenkreisen hieß. Der „Spiegel“ schrieb von zwei Monaten.

Recht sieht Ausschlussgründe für Schutz in Deutschland vor

Das Vorgehen könnte nun auch eine Blaupause für künftige Abschiebungen nach Afghanistan und möglicherweise auch Syrien sein. Die Bundesregierung prüft Möglichkeiten zur Abschiebung in diese Länder seit Monaten. Dabei sollen auch Nachbarstaaten wie Usbekistan eine Rolle spielen.

Insbesondere die Grünen und auch ihre Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich bislang skeptisch gezeigt bei Abschiebungen nach Afghanistan und davor gewarnt, die islamistische Taliban-Regierung indirekt anzuerkennen.

Nouripour: Abschiebeflug darf Taliban nicht legitimieren

Grünen-Co-Chef Omid Nouripour betonte erneut: „Dieser Flug darf nicht zu einer Legitimation der Taliban führen“. Abschiebungen in das Land „im großen Stil“ sieht er auch weiter skeptisch. „Dafür bräuchte es eine direkte staatliche Zusammenarbeit, die mit den Steinzeit-Islamisten der Taliban nicht möglich ist“, so der Grünen-Politiker. Gleichzeitig sei stets klar gewesen, „dass es technische Möglichkeiten geben kann, in wenigen Fällen Menschen nach Afghanistan zu fliegen“, sagte Nouripour.

Die CSU indes fordert zeitnah weitere Flüge nach Afghanistan. „Ich erwarte von Innenministerin Faeser, dass nächste Woche der nächste Abschiebeflug nach Afghanistan stattfindet. Das darf keine Eintagsfliege gewesen sein“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“.

Baerbock hatte am Dienstag im RBB-Inforadio gesagt, bereits jetzt seien Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan vereinzelt machbar. Es sei angesichts der dort herrschenden Regimes aber „offensichtlich nicht trivial“. Es sei zudem bereits Rechtslage, dass Straftäter und Gefährder keinen Schutzstatus bekämen oder ihn verlören und weggesperrt gehörten.

Das Asylrecht sieht Ausschlussgründe für Schutz in Deutschland vor, zum Beispiel Kriegsverbrechen. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich in ihrem „Sicherheitspaket“ vorgenommen, diese Liste zu erweitern unter anderem um antisemitische Straftaten.

Wenig Rechte für Frauen in Afghanistan

Seit August 2021 sind in Afghanistan wieder die islamistischen Taliban an der Macht, die international vor allem wegen ihrer massiven Beschneidung von Frauenrechten in Kritik stehen. Insgesamt sind seit ihrer erneuten Machtübernahme die bewaffneten Auseinandersetzungen im Land deutlich zurückgegangen, es kommt aber nach wie vor zu Anschlägen. Kritiker bemängeln unter der Taliban-Herrschaft ein hartes Vorgehen gegen Menschenrechtler, Demonstranten oder Journalisten, denen laut Menschenrechtsorganisationen Verhaftung, Verschwinden oder Folter drohen.

Experte fürchtet Ausweitung der Abschiebe-Praxis

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig befürchtet, dass die Abschiebungen künftig auch auf Afghanen ausgeweitet werden könnten, die nicht zu schweren Straftätern und Gefährdern zählen. Unklar sei auch, wie die Taliban mit den Abgeschobenen verfahren und ob sie etwa in Haft kommen. Die ungewisse Zukunft des Bundesaufnahmeprogramms, das besonders gefährdeten Afghanen Schutz in Deutschland bieten soll, passe „in die politische Atmosphäre der Abwicklung des deutschen Afghanistan-Engagements“, kritisierte er weiter.

Kritik auch von Menschenrechtlern

Die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Julia Duchrow, zeigte sich alarmiert: „Menschenrechte haben wir alle – und niemand darf in ein Land abgeschoben werden, wo Folter droht“, teilte Duchrow mit.

Flüchtlingsräte haben die Abschiebung als einen „Dammbruch“ kritisiert. Keine Straftat rechtfertige das Abschieben von Menschen in Folter und unmenschliche Behandlung, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der Flüchtlingsräte der Bundesländer. „Mit diesem Flug hat Deutschland die Kooperationen mit den Taliban salonfähig gemacht.“

Faeser selbst sagte auf die Frage, ob die Abgeschobenen in Afghanistan sicher seien, es gebe keinen Abschiebestopp für Afghanistan, der den Schritt verhindert hätte. „Insofern gehe ich auch davon aus, dass sie dort sicher sind.“ (dpa/mig) Aktuell Politik

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