Vor der Landtagswahl
Rechtsruck in Brandenburg – oder nicht?
Vor fünf Jahren hat sich der Wahlkampf zugespitzt auf die Frage: SPD oder AfD. Heute ist die Ausgangslage in Brandenburg komplizierter. Dem Land droht ein massiver Rechtsruck – und dann hat das Land ein echtes Problem.
Von Oliver von Riegen Mittwoch, 17.07.2024, 11:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 17.07.2024, 11:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Brandenburger Landtagswahl wird diesmal vielleicht so spannend wie noch nie. Denn erstens geht es bei der Wahl am 22. September erneut um die Frage, ob die AfD erstmals stärkste Kraft wird oder nicht. Das wird ein Hauptthema im Wahlkampf. Der Verfassungsschutz stuft die AfD in Brandenburg als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein.
Zweitens liefern sich die Parteien SPD und CDU, die in den Umfragen hinter der AfD liegen, in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die SPD regiert in Brandenburg seit 1990, die CDU will die Staatskanzlei erobern. Und drittens könnte es diesmal aus Expertensicht unter Umständen ein Wahlergebnis geben, das zu einer verfassungswidrigen Verteilung der Landtagsmandate führt. Doch eins nach dem anderen.
Die Ausgangslage
Die SPD regiert Brandenburg seit 1990. Sie hat den Anspruch, die „Brandenburg-Partei“ zu sein. Bei der Europawahl war das vom Ergebnis kaum noch zu erkennen: Die Sozialdemokraten kamen auf 13,1 Prozent – hinter der AfD, der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das erstmals zur Wahl stand, auf dem vierten Platz. Auch mit den Kommunalwahlen konnten die Sozialdemokraten nicht so richtig zufrieden sein: 16,6 Prozent der Stimmen gab’s – und die SPD landete hinter AfD und CDU.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zeigt sich dennoch zuversichtlich für September. Warum? „Ich bin fest davon überzeugt, dass wir es schaffen werden“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. „Mehr als 50 Prozent der Menschen würden mich bei einer Direktwahl wieder zum Ministerpräsidenten wählen, das sind die letzten Umfragen.“ Bisher reagierten die Menschen noch auf Themen der Bundespolitik.
Vor fünf Jahren lag die AfD in den Umfragen lange vorn, die SPD gewann überraschend mit einigen Punkten Abstand. Seit 2019 regiert die SPD mit CDU und Grünen. Das Bündnis war mit vielen Vorsätzen angetreten. Ein neuer Politikstil sollte kommen. Die Koalition hat zahlreiche Vorhaben umgesetzt – nicht alle –, ist aber zerstritten und zeigt sich nicht mehr als Dream-Team.
Für Woidke war es keine „Liebesheirat“, aber eine „fruchtbare Zweckehe“. CDU-Landeschef Jan Redmann hat allerdings schon vor einigen Monaten verkündet, dass er sich eine Koalition ohne die Grünen wünscht, weil sie aus seiner Sicht Pläne wie mehr Kompetenzen für die Polizei verhindern. Welche Möglichkeiten das Wahlergebnis für eine Regierungsbildung bringt, ist offen.
Die Zuspitzung
Die AfD zeigt sich immer selbstbewusster. Kaum eine Landtagssitzung vergeht, in der Fraktionschef und Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt nicht ausruft, seine Partei werde am 22. September vorn liegen. „Wir werden auch die Wahl gewinnen“, sagte Berndt, nachdem das Landesverfassungsgericht der Klage der AfD gegen die Regelung für das Brandenburg-Hilfspaket von 2022 stattgegeben hat.
In der jüngsten Umfrage „Brandenburg-Trend“ von Infratest dimap für den RBB lag die AfD mit 23 Prozent vorn vor SPD und CDU mit jeweils 19 Prozent. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) erreichte 16 Prozent, die Grünen kamen auf 7 Prozent. Linke, Freie Wähler und FDP schafften in der Umfrage nicht den Sprung ins Parlament.
Die SPD hofft, dass sich im Wahlkampf wie vor fünf Jahren die Frage zuspitzt: Woidke oder die Rechtsextremen. „Wir sind die politische Kraft, vor der die Rechtsextremisten zittern“, sagte der SPD-Landeschef bei einem Landesparteitag im April. Ein Zittern der AfD vor den etablierten Parteien ist allerdings nicht zu bemerken.
Die AfD zeigt sich zunehmend forsch, wenn nicht teils aggressiv. Sie sieht sich als Opfer einer Ausgrenzung und hält diese Strategie für gescheitert. Dass der Verfassungsschutz inzwischen sechs von 24 Abgeordneten im Landtag als rechtsextrem einstuft, stößt bei der AfD auf Ablehnung und Unverständnis.
Die Brandmauer
Die anderen Parteien betonen die Brandmauer gegen die AfD. Die CDU verweist auf ihren Parteitagsbeschluss, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gibt. Die Aufgabe aller demokratischen Parteien sei es, diese Brandmauer aufrechtzuerhalten, sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende Benjamin Raschke. Linksfraktionschef Sebastian Walter sagt, die AfD sei eine „demokratiefeindliche Partei“.
Der Sprecher der Freien Wähler im Landtag, Péter Vida, betont: „Unsere Abgrenzungshaltung war und ist eindeutig.“ Und dann ist da noch das BSW, das erstmals zur Landtagswahl antritt. „Die AfD in Brandenburg ist rechtsextrem – mit denen werden wir nicht zusammenarbeiten“, sagt Landeschef Robert Crumbach. „Mich interessieren andere Parteien nicht.“
Die Brandmauer führt dazu, dass die AfD aus jetziger Sicht keinen Koalitionspartner finden würde. Wenn sie keine absolute Mehrheit bekäme – und danach sieht es in den Umfragen nicht aus – könnte sie also nicht regieren. Die Regierungsbildung läge für diesen Fall dann bei dem zweiten Sieger der Wahl. Die AfD könnte nach Expertenansicht aber ein Ergebnis einfahren, das dazu führt, dass die Verfassung ohne sie nicht mehr geändert werden kann.
Die Befürchtung
Der Politikforscher Robert Vehrkamp von der Bertelsmann Stiftung skizziert den Fall, dass die AfD mit einem angenommenen Ergebnis von etwas mehr als einem Viertel der Zweitstimmen mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag erlangen könnte. Das könnte zustande kommen, wenn die AfD deutlich mehr Direktmandate holt als ihr nach dem Zweitstimmenanteil an Mandaten zustehen würde und die übrigen Parteien nicht genug Ausgleichsmandate erhalten – denn die Größe des Landtags ist bei 110 Mandaten gedeckelt. Derzeit sind es 88 Sitze.
Dies würde in dem Szenario dazu führen, dass ohne die AfD die Landesverfassung unter diesen Umständen nicht mehr geändert werden könnte. „Wenn die Konstellation auftritt, hat Brandenburg ein echtes Problem“, sagt Vehrkamp. „Überhangmandate würden in Brandenburg dann über die Machtverteilung bestimmen.“ (dpa/mig) Aktuell Politik
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