Statistik in der Kritik
Grüne fordern Reform der Erfassung politisch motivierter Straftaten
Über die bundesweite Statistik zu Straftaten mit politischem Hintergrund wird schon länger kontrovers diskutiert. Eine Änderung gilt seit Januar. Innenexpertinnen der Grünen reicht das nicht.
Montag, 20.05.2024, 11:55 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 20.05.2024, 12:43 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Antisemitische Straftaten werden in der bundesweiten Polizeistatistik für 2024 nur noch dann als rechts eingeordnet, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Wie ein Sprecher des Bundeskriminalamts (BKA) am Donnerstag auf Anfrage mitteilte, galt bis Ende 2023 die Regelung, dass der Phänomenbereich rechts zu wählen sei, sofern keine Anhaltspunkte für einen anderen Phänomenbereich – links, ausländische Ideologie oder religiöse Ideologie – vorlagen.
„Gemäß aktuellen bundesweiten Abstimmungen wurde diese Regelung ausgesetzt“, sagte der Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Für antisemitische Straftaten mit Tatzeit ab dem 1. Januar 2024 gelten seinen Angaben zufolge nun dieselbe Erfassungsregelung wie für andere politisch motivierte Straftaten. Das heißt: Lässt sich ein antisemitischer Sachverhalt anhand von Tätermerkmalen, verwendeten Symbole oder anderer Anhaltspunkte nicht einem Phänomenbereich zuordnen, ist demnach nunmehr die Kategorie „sonstige Zuordnung“ zu wählen. Die Statistik für das Jahr 2023 will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag gemeinsam mit BKA-Präsident Holger Münch vorstellen.
Grüne fordern Berücksichtigung der Betroffenenperspektive
Die Methoden zur Erfassung politisch motivierter Straftaten durch die Polizei sollten aus Sicht von Innenexperten der Grünen insgesamt überarbeitet werden. Kernpunkt ihrer Forderungen, die sie am Donnerstag in Berlin vortrugen, ist die Berücksichtigung der Perspektive der Betroffenen und damit auch eine andere Systematik der Erfassung von Tatmotiven. Die Polizei sollte ihrer Meinung nach verpflichtet werden, die Einschätzung von Opferzeugen zum Tatmotiv und zur gesellschaftlichen Wirkung der Tat in die Ermittlungen einzubeziehen. Wünschenswert wäre zudem ein stärkerer Austausch zwischen Polizei und Justiz, um in Zukunft eine Verfahrensverlaufsstatistik zu ermöglichen.
Die Statistik des Bundeskriminalamts zur Politisch motivierten Kriminalität (PMK) wird mit Daten der Länder erstellt und jährlich veröffentlicht. Die Straftaten werden mit Aufnahme der polizeilichen Ermittlungen und damit bereits beim ersten Anfangsverdacht erfasst. Ob ein Vorfall vor Gericht landet und wie das Verfahren ausgeht, lässt sich daraus nicht ablesen.
Mihalic beklagt hohe politisch motivierter Straftaten ohne Phanomenbereich
Unbefriedigend ist für die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, die hohe Zahl von politisch motivierten Straftaten, die keinem Phänomenbereich zugeordnet werden. Unschärfen habe es zuletzt auch bei der Einordnung antisemitischer Straftaten gegeben, sagte Mihalic.
Madeleine Henfling, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Thüringer Landtag, kritisierte, Opfer politisch motivierter Kriminalität würden immer wieder auf den Privatklageweg verwiesen, ohne dabei Unterstützung zu erfahren. Sie müssten mit ihren Erfahrungen ernst genommen werden. Statt „wirrer Kategorien“ wie „Männerfeindlichkeit“ bräuchte es beispielsweise auch „Sozialdarwinismus“ als Vorurteilsmotivation.
Großes Dunkelfeld bei Vorurteilskriminalität
Bei der Vorurteilskriminalität sei das Dunkelfeld groß, sagte Britta Schellenberg von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zu wenig beachtet werde zudem die Wirkung solcher Taten über die direkt Betroffenen hinaus. Ein Angriff auf eine Muslimin mit Kopftuch könne auch bei anderen Frauen mit Kopftuch Sorgen auslösen oder eine Änderung ihres Verhaltens bewirken. Bei der Würdigung der Umstände von Straftaten der Hasskriminalität sei neben anderen Aspekten auch die Sicht von Betroffenen einzubeziehen, sagte der BKA-Sprecher.
Die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität zeigt für 2023 eine deutliche Zunahme rechtsextremistischer Straftaten. Laut vorläufigen Zahlen des Bundesinnenministeriums zählte die Polizei im vergangenen Jahr bundesweit 28.945 solcher Delikte, nach 23.493 rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2022. (dpa/mig) Leitartikel Politik
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