Cengiz Barskanmaz, Jura, Rechtswissenschaften, Verfassung, Rassismus
Cengiz Barskanmaz © Foto: Sonja Hamad, Zeichnung: MiG

Debatte

Staatliche Schutzpflichten gegen Rassismus statt AfD-Verbot

Anti-Rassismus-Politik ist vor allem Symbolpolitik. So auch die Debatte um ein AfD-Verbot. Wer genau hinguckt, erkennt: die bürgerlichen Parteien externalisieren Rassismus nur.

Von Sonntag, 05.05.2024, 14:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.05.2024, 14:28 Uhr Lesedauer: 12 Minuten  |  

Der Rassismus- und Antisemitismusvorwurf dient als wesentliches Argument für ein Verbot der AfD. Aus rassismuskritischer Perspektive geht die Verbotsdebatte allerdings fehl. Sie erschöpft sich in einem symbolischen Antirassismus, der eine ebenso symbolische Antirassismuspolitik fördert, die an der Realität vulnerabler Gruppen vorbeigeht. Zudem externalisiert die Debatte um das AfD-Verbot den Rassismus der sogenannten Mitte und wirbt für einen rechtsstaatlich und demokratietheoretisch bedenklichen repressiven Antirassismus. Eine redliche und strukturelle Rassismuskritik muss jedoch entsprechend der Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 3 Abs. 1 GG auf wirksame Rechtsreformen zur Beseitigung der anhaltenden Diskriminierungsformen und Ausgrenzungen vulnerabler Gruppen abzielen statt sich von einer zur Zeit aussichtslosen (vgl. Rath) Forderung nach einem AfD-Verbot ablenken zu lassen.

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Symbolischer Anti-Rassismus

Wenn man sich ernsthaft mit vulnerablen rassialisierten Gruppen auseinandersetzen möchte, sollte man damit beginnen, den Stimmen und Forderungen dieser Gruppen Gehör zu verschaffen. Ein kursorischer Blick zeigt sehr schnell, dass es kaum Selbstorganisationen gibt, die politisch explizit ein Verbot der AfD fordern. So äußerte Safter Çinar, Gründungsmitglied und Sprecher des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg nach den Correctiv-Enthüllungen, dass ein Parteiverbot nicht der richtige Weg sein könne, auch wenn die Angst in der Community größer werde. Der Zentralrat der Juden bringt ein AfD-Verbot bisher ebenfalls nicht ins Spiel und appelliert stattdessen an die politischen Parteien, die Brandmauer insbesondere auf lokaler Ebene und im Hinblick auf die Wahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen zu stärken. Ähnlich argumentierte zuletzt Romani Rose, der langjährige Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma anlässlich des Internationalen Tags der Roma. Mamad Mohamad, Vorsitzender des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen mit Sitz in Halle, ist der Meinung, dass ein Verbot zwar ein starkes Signal (lies: Symbol!) gegen Rassismus und Antisemitismus sein könne, dadurch aber die von der AfD propagierte Ideologie nicht verschwinden werde. Ebenso wenig fordert die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland in ihren mahnendenden Worten zur Verrechtsung der gesellschaftlichen Diskurse ein AfD-Verbot.

Die von der Bundesregierung vorangetriebene symbolische Politik des Antirassismus erreichte nach den Correctiv-Enthüllungen mit dem Aufruf zu Demonstrationen ihren Höhepunkt. Sie fügt sich dabei nahtlos ein in eine Reihe weiterer symbolischer Politiken des Antirassismus, etwa der Forderung, den Begriff „Rasse“ aus dem Grundgesetz zu streichen. Auf die Gefahr, dass das Ersetzen des Rassebegriffs ein Erodieren des Schutzniveaus nach sich ziehen könne, haben der Verfasser und andere jahrelang hingewiesen. Erst mit der Intervention des Zentralrats der Juden hat die Ampelkoalition sich von dieser Forderung verabschiedet, um so dessen Bedenken Rechnung zu tragen. Der Zentralrat sieht im Rassebegriff die erinnerungspolitische, verfassungsrechtliche Grundlage für den Völkermord an den europäischen Jüdinnen und Juden, mit anderen Worten den ersten (verfassungsrechtlichen) Stolperstein.

Hätte man in den vergangenen Jahren die gleichen Ressourcen nicht nur in Symbolpolitik investiert, wären sicherlich wesentliche Fortschritte gemacht und die wirklichen Sorgen von rassialisierten Communities angemessener in den Blick genommen worden. Möglichkeiten hierfür hätte es genug gegeben: Racial Profiling, die Vereinfachung der Einbürgerung, die nachhaltige Förderung antirassistischer Initiativen und migrantischer Selbstorganisationen durch ein Demokratiefördergesetz, die Aufarbeitung der NSU-Morde und der rechtsextremen Morde in Hanau im Sinne der Familien und Communities, rassistische Polizeichats und staatsgefährdende Gruppen wie der NSU 2.0, die niedrigen Bildungschancen von Kindern mit Migrationsgeschichte und -erfahrung, das kommunale Wahlrecht für Drittstaatsangehörige, Abschiebungen oder das Sonderrechtsregime des Asylbewerberleistungsgesetzes. Forderungen nach einem Parteiverbot wirken deshalb eher wie ein Antirassismus, der vorgibt zu wissen, welche Bedürfnisse die Communities haben und sich schützend vor sie stellt. Das Problem eines solchen „white saviorism“ ist, dass er bevormundend wirkt und strukturelle Probleme bzw. den grassierenden Rassismus der Mitte nicht mehr ansprechen muss. In den unterschiedlichen rassialisierten Gruppen ist die Sorge um den Erfolg der AfD zwar groß (hier), jedoch kämpfen diese Communities schon seit Jahrzehnten gegen ihre strukturelle Ausgrenzung und Diskriminierung, die von der Bundesregierung und den Landesregierungen kaum ernst genommen werden.

Externalisierung von Rassismus

Wie glaubwürdig kann die antirassistische Zielrichtung eines Verbotsverfahrens sein, wenn gleichzeitig die Parteien der sogenannten Mitte (Rechts-)Populismus schon längst salonfähig gemacht haben? Sie haben sich den AfD-Forderungen kaum unterscheidbar angenähert, AfD-talking points sind Forderungen „bürgerlicher“ Parteien geworden. Beispielhaft zu nennen ist das Thema Abschiebung, wozu zuletzt Olaf Scholz im Spiegel deklarierte: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“. Verschwiegen wird, dass schon immer im großen Stil abgeschoben wurde (beispielsweise Ende 2023, hier). Ein anderes Beispiel: Christian Lindner, der am Brandenburger Tor als Antwort auf die Bauernproteste ohne Zusammenhang eine restriktive Migrationspolitik fordert. Oder Friedrich Merz, der Verteilungskämpfe beschwor, indem er behauptete, Geflüchtete ließen „sich die Zähne neu machen und die Deutschen kriegen keine Termine“. Das ist grotesk, wenn man berücksichtigt, dass Geflüchtete lediglich einen Anspruch auf Notversorgung haben. Und selbst die Grünen stimmen hier ein, wenn etwa Robert Habeck im Zuge des Gaza-Kriegs Muslim:innen in Deutschland nur einen bedingten Anspruch auf Schutz vor rassistischer Gewalt zuspricht, indem er fordert: „Die hier lebenden Muslime […] müssen sich klipp und klar vom Antisemitismus distanzieren, um nicht ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen.“ Das ist eine moralisch eingefärbte alte Forderung aus islamfeindlichen Kreisen, die Thomas Fischer zutreffend als „stinknormale Variante des moralverbrämten Rassismus“ entlarvte.

So betrachtet findet eine diskursive Externalisierung von Rassismus statt. Während die bürgerlichen Parteien mit ihren gelegentlichen migrationsfeindlichen und teils rassistischen Parolen höchstens ein wenig irritieren, wird die AfD als die rassistische Partei markiert. Eine solche semantische Attribution ist in der Extremismus- und in der Rassismusforschung wohlbekannt: Die sogenannte Mitte der Gesellschaft (auch eine Selbstkonstruktion) betrachtet sich als moderat und aufgeklärt und kann so Rassismus als eine Randerscheinung deklarieren, die vor allem in rechtsextremen Milieus vorzufinden ist. Dabei war es die „bürgerliche Mitte“, die in der Vergangenheit autoritären und menschenfeindlichen Positionen zur Macht verholfen hat (siehe Wihl, KJ 2023, 291, 295). Redlicherweise muss auch hinzugefügt werden, dass mehrere Forderungen und Positionierungen der AfD eher Neubesetzungen alter Themen insbesondere der CDU/CSU und auch einzelner SPD-Politiker:innen (Stichwort Thilo Sarrazin) sind (dazu sogleich).

Im Hinblick auf ein mögliches Verbotsverfahren ist zudem zu fragen, wie rassistisch die Inhalte des Parteiprogramms der AfD wirklich sind. Ein Burkaverbot in der Öffentlichkeit, wie dies im Grundsatzprogramm der AfD als Forderung gestellt wird, hat der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe S.A.S. und Belcacemi und Oussar) bereits als konventionskonform eingestuft, nachdem in Belgien und Frankreich 2011 Gesichtsverhüllungsverbote im öffentlichen Raum in Kraft traten. Die Forderung nach „Deutscher Leitkultur statt Multikulturalismus“ schockiert kaum, zumal das Einfordern der deutschen Leitkultur schon im Jahr 2000 vom damaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz propagiert wurde und heute unter seinem Parteivorsitz Teil des CDU-Grundsatzprogramms ist. Auch die Forderung „Keine Inklusion um ‚jeden Preis‘. Förder- und Sonderschulen erhalten“ (Ziff. 8.2.6) ist seit den 80er Jahren bildungspolitische Realität in Deutschland. Waren es in der Vergangenheit die Kinder der sogenannten Gastarbeiter:innen, die segregiert wurden, sind es heute die geflüchteten Kinder. Die Begründung für die Segregation bleibt gleich: Zunächst müssten Sprachkompetenzen getrennt erworben werden. Eine Praxis die nicht nur in Berlin unter anderem mit sogenannten Lagerschulen normalisiert wird (hier und hier). „Rückführung – Schluss mit Fehlanreizen und falscher Nachsicht“ lautet eine weitere Forderung aus dem Grundsatzprogramm der AfD. Ist das aber nicht die aktuelle Abschiebepraxis? So werden sogar schwer traumatisierte Ezîd:innen, an denen noch 2014 Völkermord begangen wurde, immer häufiger zurückgeführt. Um sogenannte Fehlanreize für Migration zu unterbinden, existiert seit 1993 das Sonderrechtsregime des Asylbewerberleistungsgesetzes (kritisch Pro Asyl), das bestimmten Geflüchteten mit weniger als Bürgergeld die Existenz sichern soll, was Karlsruhe bereits als Verstoß gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums qualifiziert hat. Des Weiteren fordert die AfD etwa, „die Einwandererkriminalität nicht zu verschleiern und zu verschweigen“. Auch diese AfD-Forderung hat die Ampel-Koalition mit dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz inzwischen umgesetzt.

Ob es zwischen den vorgegebenen Zielen und den wirklichen Zielen der AfD, eine Nuancierung, die das Bundesverfassungsgericht einfordert1, einen signifikanten Unterschied gibt, kann – neben der Problematik der Zurechnung von Aussagen einzelner Funktionäre – aufgrund mangelnder Kenntnis über den Wissensstand der Verfassungsschutzbehörden nicht mit Gewissheit geklärt werden. Die AfD ist eben nicht die NPD, auch wenn sie inzwischen eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Ex-NPD-ler:innen beheimatet. Gerne suchen einzelne AfD-Politiker:innen mit schockierenden Aussagen die Öffentlichkeit, um diese später durch die Parteiorgane relativieren zu lassen und so eine Ambivalenz aufrechtzuerhalten. Jedenfalls ist – auch wenn das verfassungsrechtlich erforderliche Gefahrenpotenzial für ein Parteiverbot vorliegen sollte – nach jetzigem Kenntnisstand die erforderliche Schwelle eines gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstoßenden menschenwürdeverletzenden Rasssismus durch AfD-Funktionäre noch nicht erreicht. Auch ein Vorgehen gegen einzelne Landesverbände der AfD – wie es zum Teil gefordert wird – scheint in Anbetracht der geringen Erfolgsaussichten und fatalen Wirkungen eines negativen Beschlusses nicht zielführend. Verfassungsrechtlich fragwürdig ist überdies, ob auch stark rassialisierende und ethnisierende Aussagen, die noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllen (dazu sogleich unten), dennoch als Grundlage für ein Verbot dienen können (bejahend Hong in Anlehnung an das NPD-Urteil).

AfD antisemitisch?

Die AfD setzt sich dezidiert und explizit – eindeutig mit antimuslimischen Ressentiments – für den Schutz jüdischen Lebens ein und verpflichtet sich der Staatsräson entsprechend (kritisch Michaels) bedingungslos dem Existenzrecht und der Sicherheit (S. 2623) des Staates Israel. Beispielsweise erklärte Alexander Gauland 2018 im Bundestag, dass dieses Bekenntnis auch eine Verpflichtung enthalte, „im Ernstfall einer existenziellen Bedrohung Israels an dessen Seite zu kämpfen und zu sterben“ (S. 2623). In ihrem Grundsatzprogramm stellt die Partei klar, dass sie „[e]iner islamischen Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratischen [sic!] Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet“ klar entgegentritt. Mehr noch, die AfD ist die eigentliche Urheberin des BDS-Beschlusses, der bis heute die Grundlage einer verfassungswidrigen (vgl. BVerwG 8 C 35.20) Behördenpraxis bildet. Erst nachdem die AfD 2019 einen Antrag zur Verurteilung der BDS-Bewegung im Bundestag eingebracht hatte, stellten die Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in aller Eile zwei Wochen später ihren eigenen Antrag erfolgreich zur Abstimmung.

Wenn gegenüber der AfD der Antisemitismusvorwurf erhoben wird oder werden sollte, muss genau geprüft werden, welche Sachverhalte als „antisemitisch“ zu würdigen sind. Dies bestimmt sich nach dem zugrunde gelegten Antisemitismusverständnis. Sowohl die AfD als auch die aktuelle Ampelkoalition legen derzeit die kritikwürdige und in Verruf geratene IHRA-Definition von Antisemitismus zugrunde, die selbst zulässige Kritik an der Politik Israels in unzulässiger Weise mit einbezieht (vgl. Jerusalem Deklaration).

Die AfD hat sowohl jüdische Mitglieder als auch eine nicht zu verschweigende jüdische Wählerschaft (hier). Entgegen der früheren gemeinsamen Erklärung „Keine Alternative für Juden“ in 2018 bezeichnet der Zentralrat der Juden die AfD in letzter Zeit (und nach der Entlassung von Wolfgang Gedeon) zwar als „rassistisch, rechtsextrem und völkisch“, aber nicht mehr explizit als antisemitisch, wenngleich die Frage aufgeworfen wird, ob mit einer Regierungsbeteiligung von der AfD jüdisches Leben in Deutschland noch möglich sein könne. All dies bedeutet nicht, dass es einzelne AfD-Politikerinnen und -Politiker mit revisionistischen und antisemitischen verschwörerischen Äußerungen nicht gibt (exemplarisch seien die Fälle „Vogelschiss“ von Alexander Gauland und die Ansichten von Wolfgang Gedeon genannt). Aber in der Gänze und Pauschalität verbietet es sich, die AfD leichtfertig als „antisemitisch“ in einem die Menschenwürde verletzenden und einen Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung begründenden Sinne zu bezeichnen. Vielmehr sieht sich die AfD berufen, den „importierten Antisemitismus“ wirksam zu bekämpfen (BT-Dr. 20/9151), und befindet sich damit in bester Gesellschaft mit der CDU, wenn es um die Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs gegenüber migrantischen Communities (BT-Dr. 20/9311) geht. Die AfD ist sogar gelegentlich Taktgeber bei der Bekämpfung von Antisemitismus, etwa bei der Forderung, eine bundesweite Meldepflicht für Antisemitismus an Schulen einzuführen (BT-Dr. 19/29789), die der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung später übernommen hat. Im Ergebnis wird der Antisemitismusvorwurf in einem möglichen AfD-Verbotsverfahren keine Munition liefern.2

Schutzpflichten und wirksame Bekämpfung von Diskriminierung statt repressiver Antirassismus

Spätestens seit dem „Ugah Ugah“-Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 2727/19) wird aus dem Benachteiligungsverbot aufgrund der Rasse auch eine Schutzpflicht abgeleitet. Konkret bedeutet das, dass der Staat verpflichtet ist, vor Diskriminierungen durch staatliche Handlungen sowie solchen, die von Privatpersonen ausgehen, Schutz zu bieten. Diese Schutzpflicht leitet die Kammer aus dem menschenwürdeverletzenden Charakter der Diskriminierung aufgrund der Rasse ab. Somit hat das Benachteiligungsverbot aufgrund der Rasse Auswirkungen auf die gesamte Rechtsordnung und entfaltet eine objektiv-rechtliche Wirkung. Diese, auch durch die starke Bezugnahme auf die Menschenwürde herbeigeführte Bedeutungsaufwertung des Diskriminierungsverbots dürfte bei kollidierenden Verfassungsgütern künftig stärker berücksichtigt werden müssen. Seit dem NPD-Urteil (2017) verfolgt das Bundesverfassungsgericht diese klare antirassistische Line. Dort heißt es: „Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind [mit der Garantie der Menschenwürde] nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ (Rn. 542). Dennoch sei hier der „Aktion-Ausländerrückführung“-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2010) zu erwähnen, mit dem Karlsruhe Aussagen mit „ausländerfeindlicher Stoßrichtung“, die keinen Straftatbestand (etwa der Volksverhetzung) erfüllen, nicht beanstandet hat (eingehend Barskanmaz, Recht und Rassismus, 2019, S. 130 f.). Aussagen von AfD-Funktionären dürften also doch mehr grundrechtlichen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 GG genießen, als man glauben möchte.

In Anbetracht dessen sollte Rassismus nicht durch ein Parteiverbot symbolisch bekämpft werden, sondern durch die konsequente Umsetzung antidiskriminierungsrechtlicher Vorgaben des Grundgesetzes, die in den letzten Jahren durch Karlsruhe konturiert wurden. Statt lediglich der AfD Rassismus und Antisemitismus vorzuwerfen, könnte die Ampelkoalition auch die fortdauernden konkreten Forderungen des Bündnisses AGG Reform zur Reform und Stärkung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ernst nehmen, um so Rassismus wirksam zu bekämpfen.

Im Empfängerhorizont der rassialisierten vulnerablen Gruppen brennt das demokratische Haus nicht (vgl. Hong). Die Bundesrepublik Deutschland war schon immer ein flächendeckender Brandherd, wo rassialisierte Menschen alltäglich Übergriffe erfahren. Durch die letzten Jahrzehnte zieht sich eine ganze Serie von rassistischen Angriffen und Mordüberfällen: Solingen, Rostock Lichtenhangen, NSU, Oury Jalloh und zahlreiche Vorfälle tödlicher Polizeigewalt. Hinzu kommen rechte Gruppen im Sicherheitsapparat. Nötig ist nicht eine repressive Politik in Form eines Parteiverbots, sondern ein Antirassismus, der effektiv Schutz bietet, um der Schutzpflicht aus dem Diskriminierungsverbot aufgrund der Rasse nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nachzukommen.

Info: Dieser Text ist zuerst erschienen im Verfassungsblog.

  1. zuletzt BVerfG, 2024, Heimatpartei, Rn. 263
  2. Auch der Amadeu Antonio Stiftung gelingt es nicht – mit (eher diffusen) Vorwürfen antisemitischer Codes und Antiamerikanismus – die AfD als antisemitische Partei zu kennzeichnen.
Meinung
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