Flüchtlingspolitik
Neuer Milliarden-Deal der EU soll Ankunft von Flüchtlingen verhindern
Immer mehr Flüchtlinge kamen zuletzt vom Libanon nach Zypern - und damit in die EU. Ein Milliarden-Deal mit dem Libanon soll die Menschen abhalten, EU-Boden zu betreten. Der Pakt ist umstritten, Experten sprechen von einem „großen Fehler“.
Von Stella Venohr, Ansgar Haase, Weedah Hamzah, Amira Rajab und Alexia Angelopoulou Donnerstag, 02.05.2024, 11:56 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.05.2024, 18:09 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Die EU will mit Finanzhilfen im Umfang von rund einer Milliarde Euro die Flucht von bislang im Libanon lebenden Flüchtlingen aus Syrien nach Europa stoppen. Mit dem EU-Geld soll das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen im Libanon gestärkt werden. Zudem sind Mittel für die Sicherheitsbehörden und die Streitkräfte des Landes sowie für den Kampf gegen Schleuserbanden und für Wirtschafts- und Finanzreformen vorgesehen.
Das Geld stünde von diesem Jahr bis 2027 zur Verfügung, kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Beirut nach einem Gespräch mit dem libanesischen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati und Zyperns Präsident Nikos Christodoulidis an. Man zähle auf eine gute Zusammenarbeit bei der Verhinderung „illegaler Migration“ und der Bekämpfung von Schleuserkriminalität. Um das Land bei der Steuerung der Migration zu unterstützen, verpflichte sich die EU, legale Wege nach Europa offenzuhalten und Flüchtlinge aus dem Libanon in die EU umzusiedeln.
Zahl der Ankünfte stieg zuletzt drastisch
Angaben von Staatschef Christodoulidis zufolge kamen in den vergangenen Monaten fast täglich Syrer aus dem etwa 160 Kilometer entfernten Libanon mit Booten in der EU-Inselrepublik im östlichen Mittelmeer an. Seit Jahresbeginn wurden bereits rund 4.000 Personen gezählt – im ersten Quartal des Vorjahres waren es lediglich 78.
In absoluten Zahlen sind das deutlich weniger als beispielsweise in Italien, Spanien und Griechenland, wo Bootsflüchtlinge aus Ländern wie Tunesien, Libyen, Ägypten, Marokko oder der Türkei ankommen. Gemessen an seiner Einwohnerzahl gibt aber nirgendwo in der EU so viele Asylanträge wie auf Zypern. Auf der Insel sind die Flüchtlingslager überfüllt. „Wir sind nicht in der Lage, noch mehr syrische Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte Christodoulidis vor wenigen Wochen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
EU-Kommissionschefin Handeln der EU gefordert. „Es sind wir, die Europäer, die entscheiden, wer nach Europa kommt und unter welchen Umständen. Und nicht das organisierte Verbrechen der Schmuggler und Menschenhändler“, erklärte sie am vergangenen Sonntag in einer Rede und verwies auf die bereits existierenden Abkommen mit Ländern wie Tunesien und Ägypten. Auch diese Staaten sollen im Gegenzug für Finanzhilfen in Milliardenhöhe sogenannte „unerwünschte Migration“ in die EU stoppen.
Antisyrische Stimmung im Libanon
Ob das EU-Geld ausreicht, um die Lage im Libanon zu entspannen, ist allerdings fraglich. Das Land steckt derzeit in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte und zählt mit mehr als 1,5 Millionen syrischen Flüchtlingen gleichzeitig zu denjenigen Staaten, die pro Kopf weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Das hat dazu geführt, dass mittlerweile eine antisyrische Stimmung herrscht und viele Flüchtlinge sich aus Angst vor Übergriffen nicht mehr auf die Straße trauen.
„Ich habe Angst, mein Haus zu verlassen. Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, gehe ich in Angst. Ich habe immer die Befürchtung, dass meiner Familie während meiner Abwesenheit etwas zustoßen könnte“, sagt etwa der Syrer namens Khaled, der seine Heimatstadt Aleppo 2012 wegen des Bürgerkriegs verlassen hat. Die Libanesen behandelten Syrer wie einen Feind.
Berichte über willkürliche Festnahmen und Folter
Menschenrechtlern zufolge wenden libanesische Beamte seit Jahren diskriminierende Praktiken gegen Syrer an, um sie zur Rückkehr nach Syrien zu zwingen. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) berichtete, dass die libanesischen Behörden in den vergangenen Monaten Syrer, darunter Oppositionsaktivisten und Armeeüberläufer, willkürlich festgenommen, gefoltert und nach Syrien zurückgeschickt hätten.
Die libanesischen Regierenden vertreten die Meinung, das Bürgerkriegsland sei stabil und sicher genug, um eine Rückkehr zu gewährleisten. Die Vereinten Nationen und andere Menschenrechtsorganisationen sehen dies allerdings weiter anders. Sie weisen darauf hin, dass die wirtschaftliche Lage ein Überleben kaum möglich mache und politische Flüchtlinge um ihr Leben fürchten müssten. Hinzu kommt: Auch der syrische Machthaber Baschar al-Assad will die geflohenen Menschen nicht zurück in seinem Land.
Regierung nur eingeschränkt handlungsfähig
Schwierig ist die Lage im Libanon zudem auch politisch. Im Unterschied zu den autoritär regierten Staaten Tunesien und Ägypten gibt es in dem Land zurzeit nicht mal ein Staatsoberhaupt. Seit eineinhalb Jahren scheitert die Wahl eines Präsidenten hier immer wieder an Machtkämpfen innerhalb der politischen Elite. Aktuell wird das Land von Ministerpräsident Nadschib Mikati geschäftsführend geleitet. Die Regierung ist nur eingeschränkt handlungsfähig.
Auch deswegen will die EU nun auch die Streitkräfte des Landes stärken. Sie werden als ein stabilisierender Faktor in dem an Syrien und Israel grenzenden Land gesehen – auch angesichts der Aktivitäten der vom Iran unterstützten Hisbollah-Miliz. Diese schießt aus dem Libanon mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten auf Israel – nach eigenen Angaben aus „Solidarität“ mit der Hamas im Gazastreifen. Israel wiederum bekämpft mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der Hisbollah.
Nahost-Experte warnt vor großem Fehler
Angesichts dieser Gemengelage werden die Pläne der EU auch kritisch gesehen. „Die EU macht im Libanon einen großen Fehler“, sagt etwa Riad Kahwaji, Direktor des Institute for Near East and Gulf Military Analysis. Das Land habe eine lange Geschichte interner Probleme, getrieben von konfessionellen Konflikten, die bis heute immer wieder zu einem Machtvakuum führen. Der Libanon sei in keiner Weise bereit, ein Aufnahmeland für Flüchtlinge zu sein. Die gleichen Politiker, die jetzt Gelder von der EU in Empfang nähmen, würden auf Podien dazu aufrufen, die Syrer aus dem Land zu werfen. „Es ist irre, zu sehen, dass die Europäer an die Illusion glauben, dass die libanesischen Behörden in der Lage wären, den Flüchtlingsstrom einzudämmen.“
Aus dem Europaparlament kam am Donnerstag hingegen Unterstützung für die Pläne der EU-Kommission. „Europäische Hilfe für den Libanon ist eine gute Zukunftsinvestition“, kommentierte der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). Europa brauche eine umfassende Partnerschaft mit den Staaten im Mittelmeerraum. Nur so werden man die zentralen Herausforderungen wie etwa Migration bewältigen, aber auch Frieden und Stabilität im Nahen Osten schaffen können. Von der Leyens Besuch im Libanon sei ein wichtiges Stabilitätssignal für die Region.
Pro Asyl kritisiert EU-Deal-Politik
Nichtregierungsorganisationen befürworten die Unterstützung für den Libanon ebenfalls, kritisieren aber die Stoßrichtung der EU. Neben den vielen Flüchtlingen sei auch die einheimische Bevölkerung Libanons in immer größerer Not. „Doch die Mittel für humanitäre Hilfe gehen seit Jahren zurück. Das schürt Spannungen zwischen Einheimischen und den Geflüchteten“, erklärte Ahmad Safi, Programmverantwortlicher der Diakonie Katastrophenhilfe in der Region. Auch die Hilfsorganisation „Brot für die Welt“ fordert von der EU, die humanitäre Hilfe auszubauen und Aufnahmeprogramme ermöglichen.
Pro Asyl kritisierte, dass die EU die Menschenrechtssituation im Libanon und systematische Verstöße gegen Flüchtlingsrechte auf Zypern wie Pushbacks ausblende. „Die EU-Deal-Politik zur Abwehr von Flüchtlingen läuft auf Hochtouren“, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik
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