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Polizeiwache © de.depositphotos.com

Lage in Ländern mangelhaft

Bundes-Polizeibeauftragte startet mit 70 Beschwerden

Der neue Polizeibeauftragte des Bundes hat seit Amtsantritt vor drei Wochen bereits mehr als 70 Eingaben auf den Tisch bekommen. In den Ländern ist die Lage uneinheitlich – und oft mangelhaft. Studien über Rassismus innerhalb der Polizei gibt es kaum.

Dienstag, 09.04.2024, 15:45 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 09.04.2024, 15:47 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Bei dem Mitte März eingesetzten neuen unabhängigen Polizeibeauftragten des Bundes, Uli Grötsch, sind bereits mehr als 70 Eingaben eingegangen. Davon stammten etwa 70 Prozent aus der Bevölkerung und 30 Prozent aus der Polizei selbst, sagte Grötsch am Dienstag in Berlin bei einem Pressegespräch des Mediendienstes Integration zum Thema Rassismus und Antisemitismus bei der Polizei. Im Durchschnitt verzeichne seine Stelle bislang drei bis vier Eingaben täglich. Diese Zahl habe ihn „überrascht“.

Zur Person: Der 1975 in Weiden in der Oberpfalz geborene Uli Grötsch war selbst 21 Jahre lang Polizist in Bayern, bevor er von 2013 bis März 2024 für die SPD im Bundestag saß. Mit seinem Amtsantritt legte er sein Bundestagsmandat nieder. Als Polizeibeauftragter des Bundes ist er für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Bundestagspolizei zuständig.

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Der Polizeibeauftragte soll als unabhängige Stelle außerhalb der Behörden Hinweisen von Beschäftigten oder Bürgern auf mögliches Fehlverhalten und strukturelle Missstände bei der Polizei nachgehen. Er kann auch aus eigener Initiative heraus tätig werden. Sein neues Amt sehe er als Teil eines Verbundes der deutschen Polizeibeauftragten, mit dem Ziel, strukturelle Defizite bei der Polizei abzubauen, sagte Grötsch: „Denn die Polizei soll ein attraktiver Arbeitgeber sein.“ Der Einrichtung der Stelle war eine lange Debatte vorausgegangen.

Amt noch unbekannt

Zunächst gehe es darum, das Amt bekannt zu machen, Vertrauen aufzubauen und sich unter anderem mit der Wissenschaft zu vernetzen. Die Erfahrungen aus anderen Staaten zeigten, es habe sich bewährt, eine unabhängige Stelle außerhalb der Polizeibehörden zu schaffen.

In seinem künftigen 18-köpfigem Team wünsche er sich Diversität, sagte Grötsch. Fälle sollten aus allen Perspektiven diskutiert werden: „Deshalb sollte ein Schwarzer Mensch, eine arabischstämmige Person und möglichst auch ein Vertreter aus der LGBTQ-Community dabei sein.“ Dies umzusetzen, werde durch das Laufbahnrecht aber nicht erleichtert.

Kaum Rassismus-Studien

Wie verbreitet Rassismus in der Polizei ist, einer Erhebung des Mediendienstes zufolge wenig erforscht. Aktuell laufen solche Untersuchungen in Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und bei der Bundespolizei. In Berlin erschien 2022 eine Studie. Eine Studie in Baden-Württemberg untersucht nur angehende Polizisten. Fachleute vermuten jedoch, dass Rassismus vor allem mit zunehmender Berufserfahrung ein Problem ist. In Hessen und Thüringen sind Studien geplant.

„Die übrigen Bundesländer planen keine unabhängigen Rassismus-Studien“, heißt es. Der Großteil der Länder beteilige sich jedoch an der sogenannten MEGAVO-Studie. Sie geht auf den ehemaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zurück und untersucht vor allem den Alltag und auch Einstellungen von Polizisten – und ist laut Projektwebseite ausdrücklich keine Rassismus-Studie.

Uneinheitliches Bild in den Ländern

Bei den unabhängigen Polizei-Beschwerdestellen der Länder gehen nur relativ wenige Beschwerden über rassistische Äußerungen und Handlungen von Polizeibeamten ein, wie aus einer bundesweiten Umfrage des Mediendienstes Integration hervorgeht. Allerdings gibt es solche Beschwerdestellen nur in der Hälfte der 16 Bundesländer. Außerdem sind die Befugnisse und der personelle Aufwand, der dort betrieben wird, teils sehr unterschiedlich, in Hessen ist die Stelle nicht einmal besetzt und viele Betroffene wissen gar nicht, dass es diese Stellen gibt.

Das Team der 2022 eingesetzten Bremer Polizeibeauftragten Sermin Riedel besteht neben ihr aus einer weiteren Person. Unterstützt wird Riedel von einem Beirat aus Wissenschaft, Anti-Rassismus-Arbeit und Polizeiorganisationen. Die große Herausforderung sei, die Menschen dazu zu bewegen, ihre Erlebnisse der Beauftragten zu berichten, sagte Riedel: „Dafür müssen wir den Zugang zu uns sehr niedrigschwellig halten.“

Zahlen aus Ländern

Den Angaben zufolge nahm etwa die Bürgerbeauftragte von Baden-Württemberg im vergangenen Jahr elf Beschwerden zu Rassismus bei der Polizei entgegen. In Bayern würden rassistische Verdachtsfälle in der Polizei nicht systematisch erfasst, hieß es. In Hessen wurden 2023 bei der Beschwerdestelle demnach insgesamt 13 „rechte Verdachtsfälle“ gezählt. Darunter fielen rassistische oder antisemitische Verdachtsfälle, aber auch andere Beschwerden, etwa wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus.

In Nordrhein-Westfalen, wo ein unabhängiger Polizeibeauftragter in diesem Jahr gesetzlich verankert werden soll, erfuhr der Mediendienst Integration von 378 Hinweisen auf rechtsextremes Verhalten von 373 Polizeibediensteten in den Jahren 2017 bis 2023. Den Daten seien jedoch keine Informationen über den jeweiligen Ausgang der Ermittlungen zu entnehmen, hieß es in der Aufstellung.

Das Innenministerium in Rheinland-Pfalz habe im vergangenen Jahr 16 Verdachtsfälle gezählt, wobei neben Rassismus auch die Teilnahme an rechtsextremen Chatgruppen erfasst worden sei. Die Zahlen umfassten Straf- und Disziplinarverfahren, Dienstaufsichtsbeschwerden sowie interne Kritikgespräche, enthielten aber keine Informationen zum Verfahrensausgang. Bei der Polizeibeauftragten des Landtags seien von 2021 bis 2023 keine Beschwerden über Rassismus eingegangen, hieß es.

Menschen halten Erlebnisse zurück

In Sachsen habe es 2022 vier rassistische Verdachtsfälle gegeben, für 2023 lägen keine vollständigen Zahlen vor. In Schleswig-Holstein gab es 2023 den Angaben zufolge fünf Disziplinarverfahren wegen Rassismusverdachts. Die schleswig-holsteinische Landespolizei hatte im Februar dieses Jahres Ermittlungen unter anderem wegen rassistischer Vorfälle in der Polizeistation Mölln öffentlich gemacht. Ein Polizist sei des Dienstes enthoben worden, sagte der Leiter der Polizeidirektion Ratzeburg, Bernd Olbrich. (epd/dpa/mig) Aktuell Panorama

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