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Universität © ninastoessinger auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Antisemitismus an Hochschulen

Rektorenpräsident: Beim „Ruf nach schnellen Sanktionen bin ich skeptisch“

Der Nahost-Konflikt hat an Hochschulen zu hitzigen Debatten geführt. Walter Rosenthal, Präsident der Rektorenkonferenz, erklärt im Gespräch, warum der Diskurs wichtig ist und warum Hochschulen keine ordnungspolitischen Instrumente sein dürfen. Überschnelle Reaktionen lehnt er ab.

Von Dienstag, 13.02.2024, 13:05 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 13.02.2024, 22:22 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, hat die Universitäten dazu aufgerufen, sich beim Thema Antisemitismus klar zu positionieren. Bei antisemitischen Straftaten müssten Hochschulmitglieder angezeigt werden, sagte Rosenthal in Berlin dem „Evangelischen Pressedienst“. Zugleich warnte er vor überschnellen Reaktionen. Jenseits strafbarer Handlungen müssten Hochschulen sicherstellen, dass die Möglichkeit des Diskurses von allen Seiten eingeräumt wird.

Der Nahost-Konflikt hat nach dem 7. Oktober auch an deutschen Hochschulen zu hitzigen bis handgreiflichen Debatten geführt. Dazu gehören Hörsaalbesetzungen, Störungen von Veranstaltungen und Demonstrationen. Was kann, was muss eine Hochschule aushalten, und wo sind die Grenzen des Diskurses?

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Walter Rosenthal: Hochschulleitungen finden sich in der schwierigen Position, in manchmal unübersichtlichen Lagen rechtliche und hochschulpolitische Fragen ausloten zu müssen. Klar ist: Straftaten zu verfolgen, ist Aufgabe der Behörden. Störungen der internen Abläufe können Hochschulen mit dem Hausrecht entgegentreten. Antisemitische Aktionen, bei denen jede Diskussion verweigert und niedergebrüllt wird, setzen sich bewusst außerhalb des von der Wissenschaftsfreiheit geschützten Diskurses und stellen gerade deshalb in Frage, was Hochschulen im Kern ausmacht.

In Berlin ist ein jüdischer Student der FU mutmaßlich von einem propalästinensischen Mitstudenten krankenhausreif geschlagen worden. Wie sollte Ihres Erachtens die Hochschulleitung darauf reagieren?

Ich gebe Mitgliedshochschulen öffentlich keine Ratschläge. Generell ist es ein erster Schritt, wie geschehen, dass sich Hochschulen klar positionieren. Sie müssen auch konkret handeln, also antisemitische Straftaten von Hochschulmitgliedern anzeigen und – wo nötig – Sicherheitsvorkehrungen auf dem Campus erhöhen; Hausverbote aussprechen und durchsetzen, wenn der Studien- und Forschungsbetrieb durch Hochschulangehörige oder Dritte gestört wird, Anlaufstellen für Antidiskriminierung beziehungsweise Antisemitismus einrichten und stärken. Mittelbar sollten auch Forschung und Lehre zum Judentum, zu jüdischer Geschichte und zu jüdischem Denken, die Vermittlung der Geschichte des Staates Israel wie auch Angebote der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus ausgeweitet werden.

Auf politischer Ebene wird jetzt gefordert, dass das Berliner Hochschulgesetz geändert wird, damit Gewalttäter leichter von der Uni verwiesen, das heißt exmatrikuliert werden können. In anderen Bundesländern ist das schon heute möglich. Befürworten Sie einen solchen Schritt oder sehen Sie Gefahren?

Bei allem Verständnis für den Ruf nach schnellen Sanktionen bin ich skeptisch, wenn rechtsstaatlichen Verfahren damit vorgegriffen werden soll. Für die Verfolgung und Sanktionierung strafbarer Handlungen sind Polizei und Justiz zuständig. Es ist daher richtig, weitere Maßnahmen wie die zwangsweise Exmatrikulation an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Das gebietet nicht nur der starke Grundrechtsschutz, der heute schon etwa im Falle eines Hausverbots Anhörungen und Befristungen verlangt. Es liegt auch im Wesen der Hochschulen und ihrer Autonomie, sich nicht in erster Linie als ordnungspolitisches Instrument zu verstehen. Hochschulen müssen zwar auch Grenzen ziehen können, sind in ihrem Kern aber Orte der dialogbasierten, offenen Zivilgesellschaft, und sie wollen, ja sie müssen dies auch bleiben.

Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz hat kürzlich in einem Interview unter anderem den Hochschulen vorgeworfen, aus „Angst, das Falsche zu tun“ in „Schreckstarre“ zu verfallen, „wenn nur das Wort Antisemitismus am Horizont als Vorwurf erscheint“. Droht mit Blick auf den Nahost-Konflikt eine „Cancel-Culture“ im akademischen Raum, weil zu schnell der Antisemitismusvorwurf erhoben wird?

Ich bin nicht der Ansicht, dass Hochschulen generell bestimmte Maßnahmen oder Sichtweisen ausschließen, aus Sorge, sich Antisemitismus vorwerfen lassen zu müssen. Jenseits strafbarer Handlungen und Äußerungen müssen Hochschulen aber sicherstellen, dass die Möglichkeit des Diskurses von allen Seiten eingeräumt wird. Insofern stimme ich Wolfgang Benz zu: Argumente: ja, Auseinandersetzung und Streit: selbstverständlich, aber Aggression und Niederbrüllen: Nein. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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