Interview

BA-Vorstand Terzenbach: Berufstätigkeit ist der Weg zur Integration

Daniel Terzenbach, Vorstandsmitglied bei der Bundesagentur für Arbeit, soll als Sonderbeauftragter der Bundesregierung möglichst viele Geflüchtete in Jobs bringen. Im Gespräch erklärt er, worauf es ankommt und welche Forderungen er an die Regierung stellt.

Von Sonntag, 26.11.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 26.11.2023, 14:34 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Herr Terzenbach, Sie sollen ein ehrgeiziges Vorhaben der Bundesregierung in der Migrationspolitik anschieben und helfen, so schnell wie möglich 400.000 geflüchtete Menschen in Arbeit zu bringen. Schaffen die Jobcenter das?

Daniel Terzenbach: Alle Jobcenter arbeiten schon unter hohen Belastungen. Trotzdem glauben wir, dass der Jobturbo zum richtigen Zeitpunkt kommt, um mit intensiver Betreuung mehr Erfolge bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu erzielen. Das ist für eine gewisse Zeit durchführbar, dauerhaft könnten wir das nicht.

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Welche Stellen können die Jobcenter den Geflüchteten anbieten?

Wir hatten im letzten Quartal über 1,7 Millionen offene Stellen. Nahezu alle Branchen suchen Fachkräfte, aber in fast allen Branchen kann man auch in Helfertätigkeiten anfangen, wenn noch keine ausreichende Qualifikation oder Sprachkenntnisse vorhanden sind.

Wissen die Jobcenter, welche Qualifikationen es auf Seiten der Geflüchteten gibt?

Die Bildungssysteme sind nicht immer vergleichbar. Eine Buchhalterin in der Ukraine ist nicht sofort auch eine Buchhalterin in Deutschland. Einer der ersten Schritte ist, dass wir mehr Transparenz und Vergleichbarkeit erzielen, um noch gezielter vermitteln zu können.

Die Unternehmen haben sich verpflichtet, Geflüchtete auch dann einzustellen, wenn sie noch nicht gut Deutsch sprechen. Können sich die Jobcenter darauf verlassen?

Viele Unternehmen haben bereits Erfahrung mit Geflüchteten gesammelt. Wir haben bei dem jüngsten Treffen mit Bundesarbeitsminister Heil etliche Beispiele dafür gesehen. Seit der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 haben wir mehr als 650.000 Menschen integriert. Bei den 400.000 Geflüchteten, die kürzlich aus den Integrationskursen kamen oder noch kommen, knüpfen wir an das an, was in vielen Regionen schon vorbildlich läuft.

Sind dann Förderungen für Firmen, beispielsweise Eingliederungszuschüsse, gar nicht nötig?

Doch, häufig kann das insbesondere kleineren Unternehmen helfen, den Aufwand, den man unweigerlich zusätzlich hat, besser zu tragen. Aber wir haben ja nicht nur Eingliederungszuschüsse, wir können Probearbeiten fördern, wir können Unternehmen mit berufsbezogener Sprachförderung helfen – sogar speziell in dem Beruf, in dem die Geflüchteten eingestellt wurden. Da gibt es eine ganze Palette an guten Angeboten, und die will ich bekannter machen.

Werden die Anforderungen an die Sprachkenntnisse gesenkt?

Es ist vielmehr eine Frage des Umgangs damit. Wir haben jetzt eine große Zahl von Menschen, die aus den Integrationskursen kommen. 200.000 sind ukrainische Kriegsflüchtlinge. Wichtig ist jetzt, die Sprachkenntnisse nach dem Integrationskurs im Berufsalltag weiter zu verbessern. Dafür entwickeln das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Bundesarbeitsministerium gerade praxisnahe Sprachmodule – für alle Branchen. Wir haben aus der Fluchtbewegung von 2015 und 2016 gelernt – da gab es solche berufsbezogenen Sprachkurse – praxisnah und für Unternehmen – noch nicht. Das wollen wir jetzt besser machen.

Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge sind überwiegend Frauen, viele mit Kindern. Haben die Jobcenter das im Blick?

Ja, wir wissen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Thema ist. Bei den Frauen, die 2015 und 2016 gekommen sind, wurde es, rückblickend gesehen, nicht ausreichend beachtet. Das sehen Sie heute noch an den Integrationsergebnissen der ersten Fluchtbewegung. Die sind nicht auf dem Niveau, das wir uns wünschen. Frauen weiter die Care-Arbeit machen zu lassen und parallel irgendwie noch einen Deutschkurs anzubieten, das hilft nicht weiter.

Wir müssen die Frauen jetzt erreichen, weil wir wissen, dass Langzeitarbeitslosigkeit später das größte Vermittlungshemmnis ist.

Die Geflüchteten sollen Arbeitsangebote der Jobcenter annehmen müssen. Glauben Sie, dass das klappt?

Wir reden hier über Menschen, die im Arbeitsmarkt ankommen wollen. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben ja – laut unserem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – gute formale Qualifikationen. Da müssen wir ansetzen. Das geht vielleicht nicht gleich mit einem Traumjob – sondern Schritt für Schritt. Wir glauben jedenfalls, dass es nicht hilft, erst ewig Deutsch zu lernen und auf die Anerkennung der Abschlüsse zu warten. Besser ist es, in die Arbeit einzusteigen, im und durch den Job Deutsch zu lernen und sich gezielt weiterzuqualifizieren oder die Anerkennung der vorhandenen Abschlüsse zu betreiben.

Werden die Jobcenter auch mit Sanktionen arbeiten müssen?

Mitwirkungspflichten gab es schon immer, früher in der Grundsicherung, heute im Bürgergeld. Zumutbare Arbeit zur Beendigung der Hilfebedürftigkeit gehört auch dazu. Wenn die Mitwirkungspflichten nicht erfüllt werden, sind Leistungskürzungen von bis zu 30 Prozent möglich. Gleichzeitig setzen die Jobcenter stärker als früher auf die Ermöglichung von Bildungs- und Berufsabschlüssen, weil 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen keine formale Bildung besitzen.

Lassen Sie uns noch einen Blick werfen auf die aktuelle Lage. Die geplanten Kürzungen für die Jobcenter in Höhe von 700 Millionen Euro wurden von der Ampel-Koalition zurückgenommen. Nun gibt es eine Haushaltssperre und viel Unsicherheit. Die endgültigen Entscheidungen über den Bundeshaushalt 2024 stehen aus. Werden die Jobcenter im kommenden Jahr mit dem Geld rechnen können?

Ich glaube, es muss erst einmal dieses offenbar sehr folgenreiche Urteil auf alle Ebenen heruntergebrochen werden.

Deswegen ist hier einiges noch in Klärung. Aber wir sehen, dass der politische Wille vorhanden ist, eine gute Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose und Geflüchtete zu machen, und dafür brauchen wir diese Mittel. Ich gehe davon aus, dass sich daran auch unter den neuen Bedingungen nichts ändert.

Für das Bürgergeld werden schon in diesem Jahr rund drei Milliarden Euro mehr gebraucht als geplant. Vor dem Hintergrund der Haushaltsnöte: Können Sie als Bundesagentur sagen, wie hoch die Einsparungen wären, wenn beispielsweise 100.000 Menschen in Arbeit vermittelt würden?

Wir können nicht sagen: Wenn wir so und so viele Menschen mehr vermitteln, könnten wir so und so viel einsparen. Die Menschen im Bürgergeld sind in sehr individuellen Lebenslagen. In München beispielsweise sind die Miet- und Lebenshaltungskosten hoch, anders als in Gelsenkirchen – da können Sie nicht pauschal für alle ausrechnen, was ein durchschnittlicher Bedarf wäre und was man entsprechend sparen könnte.

Ein Thema, das die Politik derzeit heftig debattiert, ist das Lohnabstandsgebot. Glauben Sie, dass die Höhe des Bürgergelds Vermittlungen in eine Arbeitsstelle erschwert?

Grundsätzlich: Arbeit lohnt sich immer. Durch die Erhöhung der Freibeträge bei der Bürgergeld-Reform haben auch die Menschen, die nur ein geringes Arbeitseinkommen erzielen und ergänzend Bürgergeld brauchen, mehr Geld zur Verfügung als Menschen, die nur Bürgergeld beziehen.

Wir dürfen aber auch die – auf den ersten Blick – nicht fiskalischen Argumente nicht unterschätzen. Arbeit ist eine zentrale Bedingung für gesellschaftliche und soziale Teilhabe. Wenn man erstmal berufstätig ist, kann man sich schneller weiterentwickeln, auch finanziell: zum Beispiel, weil man den Job wechselt und dann mehr Gehalt bekommt, das normalerweise höher ist als die jährlichen Anpassungen des Bürgergelds. Wenn über das Bürgergeld diskutiert wird, muss man auch wissen, dass es das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum ist, an das sich der Gesetzgeber halten muss. (epd/mig) Aktuell Interview Wirtschaft

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