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Leeres portemonnaie © 123rf.com

Komplexe Wirtschaft

Auswirkungen der Preissteigerungen für die Güter des täglichen Bedarfs

Steigende Preise setzen immer mehr Menschen zu. Mit der Inflation steigt auch das Risiko, gesellschaftlicher Spaltung. Wer komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge nicht versteht, ist verfänglich für Neid und Missgunst.

Mittwoch, 18.10.2023, 0:56 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 20.10.2023, 10:07 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

In der vorherrschenden Wirtschaftslage ist es weder ungewöhnlich noch ein Zeichen von Versagen, mit Einsparungen im persönlichen Leben konfrontiert zu werden. Angesichts der scheinbar unaufhaltsam steigenden Preise für alltägliche Güter wie Kraftstoff, Lebensmittel und Wohnraum war der Druck auf das Haushaltsbudget noch nie so groß wie heute. Studien zufolge sind Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund am stärksten betroffen.

Für Unternehmen ist es in den vergangenen Jahren weitaus schwieriger geworden, ihren Mitarbeitern Lohnerhöhungen zu gewähren. Arbeiter werden mit allgemein steigenden Preisen auch für Unternehmer vertröstet, beispielsweise die höheren Ausgaben für Energie. Die großen multinationalen Energieversorger fahren derweil immer wieder neue Rekordgewinne ein. Wer diese komplexe Situation richtig einordnen will, könnte einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften gebrauchen, vielleicht hilft aber auch der gute alte gesunde Menschenverstand.

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Ein Teufelskreis?

Nehmen wir eine örtliche Werkstatt, die Reparaturen für eine Kleinstadt und nah gelegene Dörfer durchführt. Die Kosten für Autoteile haben sich fast verdoppelt, weil die Corona-Auswirkungen noch immer zu spüren sind. Die Menschen müssen aber immer noch mit dem Auto zur Arbeit und wieder zurückfahren, sie müssen immer noch zum Supermarkt fahren, und ihre Autos müssen immer noch durch den TÜV. Deshalb erhöhen Autowerkstätten ihre Preise, aber auch nicht so stark, dass sich ihre Kunden keine Reparatur mehr leisten können. Denn sonst würden sie einen großen Teil ihres Geschäfts verlieren. Was sie versuchen ist deshalb, sicherzustellen, dass sie a) weiterhin Geschäfte machen können und Zugang zu den benötigten Ersatzteilen haben und b) einen Preis anbieten können, der wettbewerbsfähig genug ist, um den Arbeitsplatz zu sichern. Und weil auch die Kfz-Mechaniker mit steigenden Kosten kämpfen müssen, fordern sie von ihrem Arbeitgeber eine Lohnerhöhung. Ein Teufelskreis?

Es wäre nicht fair, jemanden zu verurteilen, der in diesen Zeiten auf eine Gehaltserhöhung begehrt, vor allem nicht angesichts der hohen Inflationsrate, die weiterhin die Realeinkommen auffrisst. Klar ist jedoch, dass die Werkstätten, wenn sie diese hohen Lohnerhöhungen zulassen würden, entweder weniger Geld verdienen oder die Kosten an ihre Kunden weitergeben müssten. In Anbetracht der Tatsache, dass Autoteile schon jetzt viel mehr kosten als vor 2020, ist dies kein einfacher Spagat.

Freeview statt Kino

Nehmen wir an, die Mechaniker werden gebeten, bis zum nächsten Jahr auf ihre Lohnerhöhung zu warten. Sie würden in diesem Fall versuchen, diesen Zeitraum irgendwie zu überstehen, müssten dazu vielleicht das eigene Haushaltsbudget einschränken, weniger für Freizeitaktivitäten, zum Ausgehen oder für den Urlaub ausgeben. Vielleicht werden sie den Streaming-Dienst kündigen und sich für Freeview-Fernsehen entscheiden. Beispiel: Die Zahl der Menschen, die im Jahr 2023 kostenlos an Online-Spielautomaten spielen, steigt rasant, während die Zahl der Besucher von Spielhallen sinkt.

Aufgrund der Erhöhung der Preise für die Dinge des täglichen Bedarfs, die Unternehmen und Haushalte benötigen, fließt weniger Geld in die Wirtschaft zurück. Die Menschen schränken ihre Ausgaben ein und sparen so viel wie möglich für den Fall, dass sich die Lage noch mehr verschärft, aber das wiederum ist nicht gut für die Unternehmen – und damit auch nicht für die Arbeitnehmer, die eine Lohnerhöhung haben möchten.

Die Lösung ist natürlich auch nicht, als Verbraucher alles Geld bis zum letzten Cent auszugeben, in der Hoffnung, dass es dadurch dem Arbeitgeber besser geht, neue Arbeitsplätze entstehen, die Wirtschaft angekurbelt wird und man endlich an die Lohnerhöhung kommt. Die Realität ist natürlich anders, wenn man sich Sorgen um die Kosten von Benzin und Lebensmitteln macht und ein Dach über dem Kopf finanzieren muss. Dann ist es das Letzte, was man tun möchte, sein gesamtes Geld für einen Restaurantbesuch auszugeben.

Viel komplexer

Ja, wenn das jeder täte, würde das wahrscheinlich die Wirtschaft ankurbeln, die Liquidität erhöhen und dafür sorgen, dass Waren und Dienstleistungen viel schneller den Besitzer wechseln, aber es ist viel komplexer. Als intelligente Lebewesen haben wir gelernt, zuerst das eigene Hab und Gut zu schützen, bevor wir uns dem Spaß hingeben und uns entspannen, und das bedeutet, dass wir sicherstellen müssen, dass wir genug haben, um für unsere Kernfamilien zu sorgen. Manche mögen das egoistisch nennen, manche realistisch, manche einfach nur praktisch. Der entscheidende Punkt ist, nicht darüber zu urteilen, ob etwas davon richtig oder falsch ist, sondern es als Ausdruck der menschlichen Natur zu akzeptieren.

Es ist wichtig, zu wissen, dass die große Mehrheit der Menschen, denen man im Alltag begegnet, im selben Boot sitzt und nicht verurteilt, wegen seines Verhaltens – egal ob als Arbeitnehmer oder Unternehmer. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zeigt sich die Stärke einer Gesellschaft: steht sie zusammen oder wird sie getrieben von Eifersucht oder sucht sie gar jemanden, dem sie die Schuld in die Schuhe schieben kann – siehe Debatten um sogenannte „Sozialtouristen“.

Am besten ist es, negative Gefühle wie Neid, Eifersucht oder sogar Missgunst beiseitezuschieben und sich stattdessen auf das zu konzentrieren, was man tun sollte. Die Geschichte zeigt uns, dass die Wirtschaft zyklisch ist und dass es viele Dinge gibt, die sich auf den Geldbeutel auswirken. Wer positiv bleibt und sich daran erinnert, dass nicht die Menschen an der Situation Schuld sind, sondern ein komplexes Gefecht an Faktoren, die Einzelne nicht oder kaum beeinflussen können, wird zumindest moralisch gestärkt dem Engpass hervorgehen. (em) Wirtschaft

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