Jüdisches Museum Berlin, Juden, Museum, Berlin
Jüdisches Museum Berlin © corno.fulgur75 @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Wie viele sind wir eigentlich noch?

Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin über Judentum in der DDR

Eine Ausstellung über das jüdische Leben in der DDR ist im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Fragen nach jüdischer Identität zwischen Zuschreibung und Selbstbild stehen dabei im Mittelpunkt.

Von Mittwoch, 11.10.2023, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 02.10.2023, 17:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Sie kamen aus dem Westen wie dem Osten, hatten die Vernichtungslager überlebt, waren aus dem Versteck aufgetaucht, kehrten aus dem Exil zurück. Nach 1945 wählten viele jüdische Remigranten bewusst das junge sozialistische Deutschland, weil sie eine neue Gesellschaft mit aufbauen wollten. Viele waren schon vor 1933 überzeugte Kommunisten gewesen. So auch die Zimmerings, deren hölzerne Reisetruhe die Stationen ihres Wegs aus dem Exil von London nach Berlin vermerkt. Sie ist in der neuen Sonderausstellung im Jüdischen Museum Berlin zu sehen. Josef Zimmering (1911-1995) war später DDR-Diplomat, sein Bruder Max (1909-1973) war Schriftsteller und SED-Kulturfunktionär.

Unter dem Titel „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ widmet sich das Museum erstmals diesem wenig bekannten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte. Auf 800 Quadratmetern Fläche beleuchtet die kulturhistorische Ausstellung mit rund 200 Exponaten die Entwicklung jüdischen Lebens in der DDR innerhalb und außerhalb von Gemeinden. Dabei verknüpft sie Film, bildende Kunst und Literatur mit Alltags- und rituellen Gegenständen. Die acht Kapitel der Schau sind thematisch gegliedert, sodass sich immer wieder neue Perspektiven ergeben, aber auch Ambivalenzen und Widersprüche.

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Wie ein roter Faden ziehen sich die Stationen der eigens für die Schau konzipierten Audio- und Videoarbeit „Neuland“ der israelischen Regisseurin Yael Reuveny durch die Kapitel. Hier kommen zahlreiche Zeitzeugen und Nachfahren zu Wort und schlagen eine Brücke von der Gegenwart in die Vergangenheit. „Wir wollen bewusst nicht zu einem Fazit kommen“, betont Theresia Ziehe, eine der Kuratorinnen, „sondern die verschiedenen Erfahrungen sprechen lassen.“

Die größte jüdische Gemeinde in der DDR

Info: Die Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ im Jüdischen Museum ist bis zum 14. Januar täglich von 10 bis 19 Uhr zu sehen.

Der wichtigste Zielort für die kommunistischen Remigranten war Ost-Berlin, dem ein eigener Schwerpunkt gewidmet ist. Mit dem Friedhof in Weißensee, der Synagoge in der Rykestraße, zu der auch eine koschere Fleischerei gehörte und der Gemeindebibliothek in der Oranienburger Straße befand sich hier die größte jüdische Gemeinde in der DDR. Eine Fotoserie von Mathias Brauner von 1987 zeigt die Ruine der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße, deren Wiederaufbau erst zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms 1988 begann, als die DDR einen neuen Weg in ihrer Erinnerungspolitik einschlug.

Auch in Städten wie Leipzig, Chemnitz, Erfurt, Dresden und Magdeburg hatten sich kurz nach Kriegsende neue jüdische Gemeinden gebildet. Von diesen Anfängen erzählt etwa das Foto der ersten Bar- und Bat-Mitzwa-Feier 1948 in Dresden. Die Familie ist fast ausgelöscht, Gemeindemitglieder und Freunde geben neuen Rückhalt.

Eindimensionalität aufbrechen

Wie sehr jüdisches Leben von den Zeitläuften und politischen Umbrüchen in der DDR beeinflusst wurde, beleuchtet der Raum „Staatsfragen“. Er verdeutlicht die unterschiedliche Wahrnehmung bestimmter Ereignisse. 1952/53 etwa wuchs die Angst vieler Juden in der DDR vor antisemitischem Druck, insbesondere im Zuge des stalinistischen Schauprozesses gegen den jüdischen tschechoslowakischen KP-Generalsekretär Rudolf Slánsky in Prag, und trieb manche erneut ins Exil. Andere wie etwa Kurt Dzubas, der die NS-Verfolgung unter anderem im Versteck überlebt hatte, hielten dem Staat weiterhin die Treue.

Kuratorin Theresia Ziehe betont: „Wir versuchen damit, die Eindimensionalität des Themas aufzubrechen.“ Die Ambivalenz macht Dzubas‘ Tochter, die Künstlerin Silvia Dzubas, in ihrer Arbeit „Untertauchen Übrigbleiben“ deutlich, in der sie Fotos des Vaters am Schreibtisch mit Aufnahmen von seinen Orten des Verstecks überblendet und verfremdet. Sie zollt der Haltung des Vaters Respekt, sieht für sich und ihre künstlerische Ambition jedoch keine Zukunft in der DDR und flieht 1968 in den Westen. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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