Studie belegt
Seenotrettung erhöht Flüchtlingszahlen im Mittelmeer nicht
Politiker behaupten oft, Seenotrettung im Mittelmeer würde die Zahl der Geflüchteten erhöhen. Das stimmt nicht, wie aus einer neuen Studie hervorgeht. Die entscheidenden Faktoren sind vielmehr Konflikte sowie die Wirtschaft in den Herkunftsländern.
Montag, 07.08.2023, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.08.2023, 10:19 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Der Abschnitt des Mittelmeers zwischen Nordafrika und Italien ist eine der am häufigsten genutzten irregulären Routen auf dem Seeweg nach Europa. Die neue Studie betrachtet die Veränderungen bei der Anzahl der versuchten Überfahrten und bekannten Todesfälle zwischen 2011 und 2020 auf dieser Route mit innovativen Analyseverfahren. Die Autoren stellten fest, dass die Zahl der Grenzübertritte auf dem Seeweg offenbar nicht von staatlich oder privat durchgeführten Such- und Rettungsaktionen beeinflusst wurde.
Die Zahl der Grenzübertritte scheint vielmehr durch Veränderungen der Konfliktintensität, der Rohstoffpreise und Naturkatastrophen sowie durch Wetterbedingungen, Währungsumtausch und Luftverkehr zwischen den Ländern Nordafrikas, des Nahen Ostens und der EU gelenkt worden zu sein.
Pushbacks reduzieren Überquerungsversuche
Die Daten zeigen auch, dass die umstrittene Praxis der Pushbacks durch die libysche Küstenwache die Zahl der Überquerungsversuche reduziert hat. Diese Reduktion hat allerdings einen hohen Preis: „Das Abfangen und Zurückbringen von Booten nach Libyen ist mit schweren Menschenrechtsverletzungen verbunden und auch die Menschenrechtssituation in Libyen selbst ist als untragbar dokumentiert“, heißt es in einer Mitteilung zur Studie, die im Rahmen des Projekts „Seenotrettung im Mittelmeer“ am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) entstanden ist. Aufgrund der Menschenrechtsverstöße sind beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) mehrere Verfahren anhängig.
Für die Studie wurden den Angaben nach vorhandene Daten mit einer neuen, innovativen Methode modelliert. „Wir können damit genauer und besser erklären, welche konkreten Faktoren Migrationsbewegungen beeinflussen. Konkret zeigen unsere Ergebnisse, dass die These des ‚Pull-Effekts‘ durch Seenotrettung im Mittelmeer wissenschaftlich unhaltbar ist“, erklärt Erstautorin der Studie, Alejandra Rodríguez Sánchez.
Konflikte und Wirtschaft sind entscheidende Fluchtfaktoren
Zu den bewerteten Faktoren gehörten die Zahl der staatlichen und privaten Such- und Rettungsaktionen, Wechselkurse, internationale Rohstoffpreise, Konflikte und Gewalt in unterschiedlichen Regionen, Arbeitslosenquoten, der Luftverkehr zwischen afrikanischen, nahöstlichen und europäischen Ländern sowie die Wetterbedingungen.
„Das Mittelmeer wird zunehmend zum Gegenstand einer menschenfeindlichen Abschreckungspolitik, zu der das Narrativ der ‚Sogwirkung‘ der Seenotrettung beiträgt“, kritisiert Ramona Rischke vom DeZIM. Aufgabe der Forschung sei es, die Entwicklungen und Konsequenzen der europäischen Politik zu analysieren. Rischke weiter: „Wenn diese Forschung dann zeigt, dass es für Thesen wie die ‚Sogwirkung‘ der Seenotrettung keine Datengrundlage gibt, muss das auch politische Konsequenzen haben.“ (mig) Leitartikel Studien
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Zum Glück muss jetzt noch eine Studie belegen, was vom gesunden Menschenverstand eigentlich längst klar sein müsste. Flüchtende fliehen nicht übers Mittelmeer, weil sie hoffen von einem Schiff gerettet zu werden, sondern weil es im Herkunftsland schlicht nicht mehr zu ertragen ist. Wie oft die Menschen es nicht überleben, zeigt die jüngste Katastrophe vor den griechischen Inseln, aktuell erneut vor Italien.
Die Rohstoffe aus den betreffenden Ländern nimmt die EU natürlich gerne, oder als Absatzmarkt für Weggeworfenes oder direkt als Müllkippe wie in Ghana. Für die vor diesen Bedingungen fliehenden Menschen fühlt sie sich allerdings nicht zuständig. Wie schreiben die Soziologen: Gewinne, Rohstoffe internalisieren, Probleme, Abfallprodukte, Giftstoffe externalisieren. Mit dem vermehrten Aufstieg rechtsextremer Regierungen oder Rechtsextremen in Regierungsbeteiligung wird dem Ganzen noch die perverse Krone aufgesetzt. Am besten schaut man schon mal, wohin man selbst migriert, wenn man diese menschenrechtliche und umweltpolitische Katastrophe nicht mehr mittragen will und kann.