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Europäische Union (Symbolfoto) © 123rf.com

Einigung von EU-Staaten

Asylverfahren sollen massiv verschärft werden

Die EU-Staaten arbeiten seit den Fluchtbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 an weitreichenden Verschärfungen des EU-Asylsystems. Nach viel Streit gibt es nun eine Einigung. Die Bundesregierung musste in einem für sie wichtigen Punkt einlenken. Migrationsexperte warnt vor den Folgen der Verschärfungen.

Donnerstag, 08.06.2023, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.06.2023, 23:11 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die Asylverfahren in der EU sollen deutlich verschärft werden. Bei einem Innenministertreffen in Luxemburg stimmte am Donnerstag eine ausreichend große Mehrheit an Mitgliedstaaten für umfassende Verschärfungen, wie der schwedische Ratsvorsitz am Donnerstagabend nach stundenlangen schwierigen Verhandlungen mitteilte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Es waren keine leichten Entscheidungen, für alle die hier am Tisch stehen, aber es waren historische.“

Vorgesehen in den nun vereinbarten Reformplänen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Geflüchteten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

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Grenzverfahren auch für Familien mit Kindern

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

Bundesinnenministerin Faeser sagte nach der Entscheidung allerdings, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen einsetzen wird. Denkbar ist auch, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

Wer nicht aufnimmt, zahlt

Neben den verschärften Asylverfahren sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden. Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan.

Von der Pflicht zur Solidarität könnten beispielsweise Länder wie Italien profitieren. Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.

Verhandlungen mit EU-Parlament noch 2023

Die noch ausstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament sollen im Idealfall noch vor Ende des Jahres abgeschlossen werden. Dann könnten die Gesetze noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden. Sollte dies nicht gelingen, könnten veränderte politische Kräfteverhältnisse Neuverhandlungen nötig machen.

An der Reform wird bereits seit den Fluchtbewegungen in den Jahren 2015 und 2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland überfordert mit hohen Flüchtlingszahlen aus Ländern wie Syrien und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.

Faeser lässt sich Laune nicht verderben

Nicht unterstützt wurde die Reform bei dem Treffen von den Ländern Polen, Ungarn, Malta, der Slowakei und Bulgarien. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Polen und Ungarn hatten sich bereits in der Vergangenheit ähnlich geäußert.

Faeser ließ sich davon allerdings am Abend nicht die Laune verderben. „Ich finde, das lässt sich wirklich sehr gut sehen“, sagte sie kurz nachdem es im Sitzungssaal Applaus zur erfolgreichen Abstimmung gegeben hatte. Jetzt müsse man an der Umsetzung und den konkreten Ausgestaltungen arbeiten.

Grünen droht Ärger

Vorher könnte vor allem den Regierungspolitikern der Grünen noch Ärger drohen. Aus den Reihen der deutschen Grünen war noch kurz vor der Abstimmung Kritik gekommen. Der Bundestagsabgeordnete Julian Pahlke sagte: „Die Reform schafft keine faire Teilung von Verantwortung, das ist für Staaten wie Italien ein zentrales Problem.“ Auch wären die Regelungen zur Verteilung von Geflüchteten wirkungslos, „wenn Staaten sich einfach rauskaufen können und stattdessen Grenzschutz finanzieren“. Damit würden „überfüllte Massenlager“ zum neuen Standard – dem dürfe Faeser nicht zustimmen. Mit Blick auf Faesers Spitzenkandidatur in Hessen sagte Pahlke, die Bundesinnenministerin müsse das Wohl Flüchtender im Blick haben und nicht die Taktik für ihren Landtagswahlkampf.

Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock verteidigte hingegen die Zustimmung der Parteiführung. „Der Kompromiss ist ganz und gar kein einfacher. Zur Ehrlichkeit gehört: Wenn wir die Reform als Bundesregierung alleine hätte beschließen können, dann sähe sie anders aus“, schrieb sie am Donnerstag in einer Erklärung. „Aber zur Ehrlichkeit gehört auch: Wer meint, dieser Kompromiss ist nicht akzeptabel, der nimmt für die Zukunft in Kauf, dass niemand mehr verteilt wird.“

Migrationsexperte: „Mehrheit soll in Grenzverfahren überführt werden“

Migrationsexperte Bernd Kasparek sieht das anders. Er hatte im Vorfeld des Gipfels vor den Auswirkungen an den EU-Außengrenzen gewarnt. „Es geht hier nicht darum, zehn oder zwanzig Prozent der Ankommenden festzuhalten. Es geht darum, die überwiegende Mehrheit in Grenzverfahren zu überführen“, sagte der Co-Leiter der Netzwerk-Abteilung des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) dem „Evangelischen Pressedienst“. „Viele Menschen werden keine Möglichkeit mehr haben, einen Asylantrag zu stellen.“

Die Grenzverfahren werden dem Asylverfahren vorgeschaltet. Dabei wird zunächst formal geprüft, ob Schutzsuchende einen Asylantrag stellen dürfen. Laut EU-Kommission sollen Menschen währenddessen nur im Notfall inhaftiert werden. Kasparek hält das für unrealistisch. „Grenzverfahren prüfen, ob eine Person direkt zurückgeschoben werden soll. Niemand wird sich freiwillig einem solchen Verfahren unterziehen. Daher bedeuten die Grenzverfahren zwingend Inhaftierung. Effektiv werden damit an den Grenzen Europas riesige Internierungslager entstehen.“ Das System der Hotspots auf den griechischen Inseln in der Ägäis könne als Pilotprojekt für die Verfahren betrachtet werden. „Wir werden schlimmere Bilder als in Moria sehen.“ (dpa/epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Gerrit sagt:

    Einfach erbärmlich, was die EU vorhat … und menschenunwürdig!!!

    Gegen die eigentlichen Fluchtursachen wird nichts bzw. zu wenig getan. Und dann hören auch die Fluchtbewegungen nicht auf, egal wieviel Läger an den Außengrenzen gebaut werden (Moria 3.0 ???) oder wie hoch die Zäune sind.

    Frau Faeser ist im Wahlkampfmodus und vergisst deswegen die Vereinbarungen der Ampel. „Fischen am rechten Rand“ nennt man das. Und wenn ich an Frau Baerbock denke und ihre Aussagen in der Opposition allein zu den Mittelmeerflüchtlingen im Vergleich zu ihrem aktuellen handeln und Aussagen … wer soll da der Politik noch irgendetwas glauben???

  2. Against Asteroid Protection sagt:

    Lieber Gerrit,
    ich kann dir nur zustimmen, aber dein Kommentar regt mich nach meiner Schockstarre von gestern an, jetzt noch einmal alle Möglichkeiten zu nutzen, um der unglaubwürdigen Politik bundesweit und europäisch ins Gewissen zu reden und sich dafür beispielsweise wieder Aufrufen von Pro Asyl, Seebrücke und den vielen Anderen anzuschließen.

    Schreibt beispielsweise über abgeordnetenwatch Politiker:innen an.
    Schreibt EU-Politiker:innen an.
    Ich halte Demos für ein Synonym für „Schon-zu-spät“, aber nichts sollten wir unversucht lassen, um eine positive Abstimmung zu dieser Asylrechtsverschärfung im EU-Parlament abzuwenden.

    Fischen am rechten Rand! Du hast Recht Gerrit.
    Mit der Großoffensive Russlands war mir klar, dass der nächste Rechtsruck in der EU kommen wird.
    Es sollte aber unterschieden werden, wie bestehende rechte Strukturen, man könnte sie mittlerweile auch Mitte nennen, den Vorwand für die geplante Festung Europas finden.

    Man muss Poliker:innen nichts glauben; man muss zivilgesellschaftlichen Druck ausüben!

    In eigener Sache:
    Ohne die Möglichkeit, dass ein Asteroid der menschlichen Grausamkeit ein Ende setzen kann, werde ich aufgeben.