Flucht aus dem Sudan
„Hauptsache, wir haben unser Leben gerettet“
Tausende Menschen verlassen derzeit den Sudan. Die Reise in das nördliche Nachbarland Ägypten ist beschwerlich und teuer. Viele Sudanesen wollen dabei nur eins: Ein Ende der Kämpfe und bald wieder in ihre Heimat zurückzukehren.
Von Nehal El-Sherif Montag, 01.05.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.05.2023, 13:58 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ataa Saher und ihre Angehörigen haben vier Tage gebraucht, bis sie ägyptischen Boden erreicht haben. „Als in der Nähe unseres Hauses Geschosse eingeschlagen sind, haben wir uns entschieden, zu gehen“, sagt die Krankenschwester aus der sudanesischen Stadt Omdurman der Deutschen Presse-Agentur. Am Grenzübergang Arkin sitzt sie bei heißen Temperaturen auf ihrer Tasche und wartet auf einen Bus, der sie, ihren Bruder und ihre Tante nach Kairo bringen soll. In der rund 15 Fahrtstunden entfernten Hauptstadt lebt ein weiterer Bruder der Frau. Die Familie habe alles im Sudan zurückgelassen, berichtet die 34-Jährige. Denn nur eines war ihnen wichtig: „Hauptsache, wir haben unser Leben gerettet.“
Seit im Sudan vor rund zwei Wochen Kämpfe zwischen rivalisierenden Militärblöcken ausgebrochen sind, sind ägyptischen Angaben zufolge bereits 14 000 Einheimische sowie 2000 Menschen anderer Nationalitäten aus dem Sudan nach Ägypten geflohen. Wegen des großen Andrangs brauchen die Menschen derzeit mitunter zwei Tage, um den Grenzübergang Arkin zu passieren und Ägypten zu erreichen. Die Erschöpfung steht vielen ins Gesicht geschrieben.
In Arkin gibt der ägyptische Rote Halbmond Hygienesets, Medikamente sowie finanzielle Hilfen an Bedürftige aus. Auch Psychologen sind vor Ort, um die Ankommenden zu betreuen.
Viele Menschen suchen nach ihrer Ankunft in Ägypten erst Mal Schutz im Schatten vor der sengenden Sonne, während sie auf Busse warten, die sie weiter Richtung Norden bringen sollen. Sie erzählen von Sorgen um ihre Häuser zuhause. Über die kämpfenden Parteien, die ihr Land mit ihrem Machtkampf ins Chaos stürzten, wollen sie aber kein Wort verlieren. Dafür machen sie ihrem Ärger über die in den vergangenen Wochen deutlich gestiegenen Fahrpreise Luft. Tickets kosten derzeit mitunter das Zehnfache, wie Betroffene berichten.
Kämpfe seit dem 15. April
„Die Reise ist sehr teuer“, erzählt auch Amira Buschrah. „All die Leute hier können sie sich leisten. Diejenigen, die kein Geld haben, werden es nicht aus Khartum heraus schaffen“, ist die Designerin überzeugt. Sie habe für ein Ticket nach Kairo, wo sie eine Zweitwohnung hat, 300 US-Dollar bezahlt. Sollten die Kämpfe in ihrer Heimat länger andauern, plant die 56-Jährige zu ihrer Tochter nach Saudi-Arabien zu ziehen.
Auch für Riham Mustafa, ihren Mann und die gemeinsamen zwei Töchter ist Ägypten nur ein Zwischenstopp, ehe sie weiter in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) reisen wollen. Dort leben Angehörige der Familie. Direkt vor ihrem Haus in der sudanesischen Hauptstadt Khartum habe es Zusammenstöße gegeben. Deshalb entschieden sich die Mustafas dazu, ihre Heimat zu verlassen.
Seit dem 15. April kämpfen mittlerweile De-facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan mithilfe des Militärs gegen seinen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo. Dieser ist Anführer der einflussreichen paramilitärischen Gruppe Rapid Support Forces (RSF). Die beiden Generäle hatten nach zwei gemeinsamen Militärcoups 2019 und 2021 die Führung des Landes übernommen, haben sich nun aber wegen einer bevorstehenden Eingliederung der RSF ins Militär überworfen.
Evakuierung während der Feuerpause
Mit Ausbruch der Kämpfe saß die Bevölkerung über Tage in ihren Häusern fest, vielerorts fehlt es weiter an Strom und Wasser. Einwohner der Hauptstadt sagten der „New York Times“, die RSF kontrollierten mittlerweile wohl einen großen Teil des Zentrums und der umliegenden Bezirke. Das reguläre Militär sei weiter draußen positioniert, kontrolliere die Zufahrtsstraßen in die Stadt und könne weiter seine Kampfflugzeuge für Angriffe auf die RSF einsetzen – die wiederum Zivilisten als Schutzschilde missbrauchten. Auch in anderen Landesteilen wird gekämpft, laut UN sollen die Gefechte in der Region Westdarfur bereits zu Zusammenstößen unter Bevölkerungsgruppen geführt haben.
Während einer zunächst 72-stündigen Waffenruhe, die Dienstag in Kraft trat, gelang Tausenden Zivilisten die Flucht aus dem Krisenstaat. Auch in das Nachbarland Tschad fliehen derzeit etliche Sudanesen, Deutschland und viele andere Staaten evakuierten während der – allerdings nur sporadisch haltenden – Feuerpause ihre eigenen sowie ausländische Bürger aus dem Sudan. Sowohl die sudanesischen Streitkräfte als auch die gegnerischen RSF stimmten inzwischen Verhandlungen zu. Beide Seiten einigten sich zudem auf eine Verlängerung der Waffenruhe ab Donnerstagabend um weitere 72 Stunden, die am Freitag allerdings bereits erneut als brüchig beschrieben wurde.
Wenn Mohammed Othman über die vergangene Woche nachdenkt, fallen ihm nur die Worte „tragisch“ und „anstrengend“ ein. An einer Bushaltestelle in der Stadt Aswan, vier Stunden vom Grenzübergang Arkin entfernt, spielen er und seine Frau mit ihrer zwei Jahre alten Tochter. Die Familie will weiter nach Kairo, um vorübergehend bei Freunden unterzukommen. Wie viele Sudanesen hofft die kleine Familie darauf, dass die Gewalt bald endet und sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. (dpa/mig) Aktuell Ausland
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