Rassismus hautnah
Streamingserie aus Schwarzer Perspektive
Eine fiktionale Disney+-Serie macht Rassismus in Deutschland erlebbar. Sie basiert auf der Lebensgeschichte des ersten Schwarzen Polizisten im Osten der Nachwendezeit. „Ich bin Deutscher“, sagt er mehrfach in den sieben Episoden der Miniserie.
Von Simona Block Dienstag, 25.04.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.04.2023, 14:16 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Ein junger Schwarzer (Malick Bauer) sprintet nachts mitten auf der Straße hinter einem Krankenwagen her über das Blaue Wunder, die berühmte Dresdner Elbbrücke. Schließlich stoppt ihn ein Polizeiwagen. „Meine Freundin ist kurz vor der Entbindung“, erklärt er hastig mit erhobenen Händen dem Major Schreier von der Volkspolizei (Thorsten Merten). Ein Krankenwagen habe ihn nicht mitnehmen wollen. Es ist nur eine der zahllosen Demütigungen, die Sam, Hauptfigur in der ersten deutschen Produktion für den Streamingdienst Disney+, erfährt. „Ich bin Deutscher“, sagt er mehrfach in den sieben Episoden der Miniserie „Sam – Ein Sachse“, die ab Mittwoch (26. April) zugänglich ist – auch am Ende, im Gericht.
Grundlage der Drehbücher von „Sam – Ein Sachse“ ist die Biografie von Samuel „Sam“ Njankouo Meffire. Der 1970 bei Leipzig geborene Sohn eines kamerunischen Studenten war der erste Schwarze Polizist Ostdeutschlands und unter dem Slogan, der auch der Filmtitel ist, Anfang der 1990er Jahre das Gesicht gegen Ausländerhass und gegen rechte Umtriebe im jungen Freistaat Sachsen. Seine Karriere als Kriminalbeamter endete jäh, als er den Dienst quittierte, um sich selbstständig zu machen in der Sicherheitsbranche – später wurde er kriminell.
„Und ich bin Deutscher.“
1995 setzte er sich ab, nach Afrika, stellte sich dann aber. Im Prozess am Landgericht Dresden gestand er Raubüberfälle und belastete unter anderem einen Rotlichtkönig schwer. Hinter Gittern reflektiert er sein bisheriges Leben, ergründet seine Wut. Nach sieben Jahren Haft kämpfte er sich zurück in eine Existenz als Sozialarbeiter, Buchautor und Familienvater. Der Film endet weit davor, mit der Befragung vor Gericht. Seine Eröffnungsworte sind der Schlussatz: „Ich bin Samuel Njankouo Meffire und ich bin Deutscher.“
Meffire, der kürzlich seine Autobiografie „Ich, ein Sachse“ veröffentlichte, war bei den Dreharbeiten dabei. „Aber es ist kein Dokumentarfilm, es ist eine fiktionale Serie und Figur“, sagt Mitproduzent und Emmy-Gewinner Jörg Winger („Deutschland 83/86/89“). „Wir haben viel verdichtet, Personen und Ereignisse verändert.“ Auch weil Sams Leben für mehr als eine Person reiche. Das sei „ein großer epischer und dramatischer Stoff“, der eine neue Perspektive zeige, sagt Winger, der die Geschichte schon seit 2006 kennt.
„Ein spürbares Umdenken“
Sein jetziger Koproduzent Tyron Ricketts, der im Film den Rotlichtkönig Alex spielt, hatte sie ihm erzählt, als er den Schauspieler gemeinsam mit dem ZDF für „Soko Leipzig“ als ersten Schwarzen TV-Kommissar in Ostdeutschland besetzte. Das TV-Publikum aber sei damals noch nicht so weit gewesen für einen Film über einen „traumatisierten Menschen mit guten Absichten“, vaterlos aufgewachsen in einem Land, „das es ihm nicht leicht macht“. Jörg Winger hat zusammen mit Christoph Silber („Good by, Lenin!“) auch das Drehbuch geschrieben.
Inzwischen haben sich nicht nur Zeitgeist und Plattformen geändert, das Thema ist angesichts von Nationalismus und Rassismus, Ausländerhass und Neonazis hochaktuell. Aber: „Spätestens mit der Black-Lives-Matter-Bewegung gibt es ein spürbares Umdenken bei vielen“, meinen Winger und auch Schauspieler Martin Brambach. Brambach ist Eggert, Sachsens damaligen Innenminister, der für den echten Sam ein Beschützer und eine Vaterfigur war. Der Film erlaube es, in die Haut eines Schwarzen Deutschen zu schlüpfen und „die Welt mit dessen Augen zu sehen“, sagt Winger. Er hoffe, dass das Menschen emotionalisiert, sie sich mit ihm identifizieren und „sich so immer ein bisschen auch an Gefühl und Bewusstsein verändert“.
Sieben Episoden zwischen Liebesfilm und Thriller
Die Regisseurinnen Soleen Yusef und Sarah Blaßkiewitz haben Diskriminierung, Verachtung, Demütigung, aber auch Beistand, Liebe und Hilfe für Sam in beklemmende und schöne Szenen gebettet, zeigen auf der anderen Seite Gewalt und Vernichtung brutal, wie Sams Ausbrüche und Wandlung zum Verbrecher, ebenso wie Verzweiflung, Angst – und schonungslos die bittere Bilanz. Die sieben Episoden changieren zwischen Liebesfilm und Thriller, durchzogen mit Aufnahmen hässlicher Orte und bezauberndster Landschaft und Musik von Ballade bis Hip-Hop.
Die Hauptfigur ist mit Newcomer Malick Bauer ideal besetzt, sein Spiel kommt authentisch rüber. „Er ist so pur, der riskiert in jeder Situation sein Leben“, schwärmt auch Brambach. Man erlebe Rassismus hautnah, „sozusagen mit ihm; jede Beleidigung, jeder Schlag, den er ins Gesicht kriegt, der tut einem selbst weh“. (dpa/mig) Aktuell Feuilleton
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