Buzzword Bingo
Kaiser Wilhelm II.
In Münster hat man sich jetzt vom Protagonisten des Wilhelminismus im Namen der Universität verabschiedet. Jetzt erst?!, staunen die einen. Linksideologischer Tugendterror, zetern die anderen. Eine Kolumne über Namen – und die Niederungen der Geschichte.
Von Eva Berendsen Dienstag, 18.04.2023, 13:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 18.04.2023, 6:34 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Wer sich schon einmal Gedanken machen musste, wie das eigene Kind oder Auto heißen soll, weiß: Namen sind keine Nichtigkeiten. Und sie sind immer Spiegelbild ihrer Zeit. Beispiel Münster: Da führte der Weg zu Wilhelm II. direkt über Hindenburg. Jedenfalls während meiner Jugend, in den Neunzigern und frühen Nullerjahren.
Mitten in der Stadt: der „Hindenburgplatz“ – eine vor dem fürstbischöflichen Schloss gelegene Fläche, die vor allem als Riesenparkplatz genutzt wird, wenn nicht gerade Kirmes ist. Auf dem Hindenburgplatz habe ich meine erste Tour im Hamsterrad durchlitten, jeden Morgen fuhr ich im Schulbus daran vorbei. Nach Ende des Nationalsozialismus konnte man in Münster – wie vielerorts in Deutschland – noch bruchlos an jenem Antisemiten und Steigbügelhalter des Faschismus festhalten, der Hindenburg eindeutig war. Dabei hatte unter anderem das NRW-Innenministerium 1947 auf Umbenennung gedrängt. Wohl nicht nachdrücklich genug für die robusten Westfalen.
Aber ich will ehrlich sein: Dass fünfzig Jahre später meine Mitschüler:innen oder ich uns über die, sagen wir: schrille Namensgebung gewundert hätten, daran kann ich mich nicht erinnern. Selbst, als im Geschichtsunterricht der Nationalsozialismus dran war und wir erfuhren, dass dieser Paul von Hindenburg immerhin Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, folgte kein Aufschrei, keine Petition oder nächtlicher Sabotageakt. Vermutlich waren wir damals, am Ende der Geschichte, alle zu sehr mit „Bravo“-Lesen beschäftigt.
„Waren wir Deutschen nicht ohnehin längst Erinnerungsweltmeister, hatten wir unsere NS-Vergangenheit nicht schon erfolgreich auf- und be- und verarbeitet?“
Doch was gab es hier überhaupt noch zu tun? Waren wir Deutschen nicht ohnehin längst Erinnerungsweltmeister, hatten wir unsere NS-Vergangenheit nicht schon erfolgreich auf- und be- und verarbeitet, in Weckgläsern eingekocht und ins Regal mit den Sachen gestellt, die mit der Zeit sogar immer besser werden? Im analogen Fernsehen lief zu der Zeit permanent Guido Knopp mit seinen emotional-reißerischen Nazistories. Und gefühlt alle zwei Wochen inhalierten wir eine Hitler-Geschichte im „Spiegel“. Sicherlich war es gerade auch diese Fixierung auf Hitler, die den Blick auf den Nationalsozialismus als Massenbewegung verstellte. Sie ließ auch die Beschäftigung mit seinen Vorläufern – Hindenburg! – zu einem aus heutiger Sicht erstaunlich trägen Prozess verkommen. Aus der Erwachsenenwelt hörte man übrigens auch keine kritischen Töne: nicht von Eltern und Lehrer:innen, nicht im öffentlichen Diskurs, nicht in der Stadtpolitik. Oder sie drangen nicht zu uns Jugendlichen durch. Denn Initiativen, die sich für eine Umbenennung einsetzten, hat es im Laufe der Nachkriegszeit in Münster immer wieder gegeben, lese ich jetzt u.a. bei der „taz“ nach. Sie hatten allerdings nie die Mehrheit auf ihrer Seite – und wohl auch nicht die Sympathie der Lokalmedien.
Erst viel später, 2012, konnte sich der Stadtrat endlich dazu durchringen, sich von seinem Hindenburg zu verabschieden. Ohne Widerstand vollzog sich das aber auch nicht: Konservative Christdemokraten zettelten im Schulterschluss mit rechtsextremen Akteuren einen Bürgerentscheid für die Rückbenennung an; dafür hatten sie tatsächlich genug Stimmen aus der Stadtbevölkerung
zusammenbekommen. Immerhin ging das Votum dann aber gegen Hindenburg aus. Heute parkt man sein Auto auf dem schnörkellosen „Schloßplatz“ und kann dann direkt zur Universität gehen.
„Dann passierte, was bei diesen Themen passiert: Es wurde ein paar weitere Jahre gestritten, eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Historiker:innen gebildet und ein Bericht erarbeitet.“
Womit wir dann auch bei Kaiser Wilhelm wären. Diese historisch kaum weniger belastete Figur konnte in Münster sogar noch länger überwintern als Hindenburg, nämlich im Namen der Westfälischen Wilhelmsuniversität. Aber auch damit ist jetzt Schluss. Über die Jahre hatten mehrere Generationen von Studierenden versucht, auf Umbenennung ihrer Uni hinzuwirken; seit 2018 wurde die Kritik schließlich ernst genommen. Dann passierte, was bei diesen Themen passiert: Es wurde ein paar weitere Jahre gestritten, eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Historiker:innen gebildet und ein Bericht erarbeitet. Der hält fest, was man eigentlich als Grundkurswissen Geschichte vorauszusetzen geglaubt hatte, aber nun als „neueste Forschungsergebnisse“ verkauft wird: dass Wilhelm II. als „überaus militaristisch und nationalistisch, antislawisch und geradezu obsessiv antisemitisch, darin teils seine Zeitgenossen übertreffend“ angesehen wird. Man könnte noch auf der Mängelliste ergänzen, dass Wilhelm einer der „Ermöglicher des ersten Genozids des 20. Jahrhunderts, verübt an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika“ gewesen war, wie etwa der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer im WDR-Interview betont.
Die Beweislast: erdrückend. Aber eine Umbenennung? Natürlich „linksideologisch“, so fauchten jedenfalls Teile der Münsteraner Konservativen. Nach fünf Jahren Streit stimmte der Senat der Universität dann doch mit deutlicher Mehrheit für die Umbenennung der Hochschule. Ab Oktober heißt sie: Universität Münster.
Während man in meiner Heimatstadt noch dabei ist, die fast schon protestantisch anmutende Schlichtheit des neuen Titels zu veratmen, werden Alternativen ins Rennen geschickt: Edith Stein, schlägt etwa der CDU-nahe RCDS vor, eine vom Judentum zum Katholizismus konvertierte Philosophin, die in Münster tätig war, bevor die Nazis sie in Auschwitz ermordeten. Ideen wie diese werden wohl an den Effizienzansprüchen der Hochschuladministration zerschellen, denn: „so ein Prozess muss auch mal zum Ende kommen“, stöhnt Senatsvorsitzender Hinnerk Wißmann laut FAS.
„Nur einige wenige Beispiele für die unzähligen Straßenschilder, Denkmäler, Reiterstatuen, die Protagonisten der deutschen Kolonial- und NS-Geschichte immer noch die Ehre erweisen und im öffentlichen Raum in allen Städten und Gemeinden herumstehen – und mal Anlass zur öffentlichen Diskussion bieten, oft genug aber auch nicht.“
Bevor sich das alles wahlweise zu sehr nach Nestbeschmutzung oder Lokalposse liest, schauen wir uns namensmäßig schnell noch einmal um: In Tübingen hält man an Graf Eberhard (Antisemit) und Herzog Karl Eugen (regierte als absolutistischer Herrscher) im Namen der Eberhard-Karl-Universität fest, alle Umbenennungsbestrebungen scheiterten bislang. In Hamburg wird die Silhouette der Stadt seit Jahrzehnten von einem gigantischen Bismarck-Denkmal mitbestimmt, und in Erfurt stemmt sich der Stadtrat gegen die Umbenennung des Nettelbeckufers, einer Straße, die nach einem Koloniallobbyisten und Offizier von Sklavenschiffen benannt ist, wie eine Umbenennungsinitiative von Decolonize Erfurt und der lokalen ISD (Initiative für Schwarze Menschen in Deutschland) problematisiert hatte. Nur einige wenige Beispiele für die unzähligen Straßenschilder, Denkmäler, Reiterstatuen, die Protagonisten der deutschen Kolonial- und NS-Geschichte immer noch die Ehre erweisen und im öffentlichen Raum in allen Städten und Gemeinden herumstehen – und mal Anlass zur öffentlichen Diskussion bieten, oft genug aber auch nicht.
Ich bin kein Fan von Bestrebungen, pauschal alle belastete Geschichte aus dem öffentlichen Raum zu tilgen. Je nachdem kann eine kritische Intervention, Irritation oder Störung – sei es durch Kontextualisierung oder Kunst – im Sinne des aktiven Gedenkens viel mehr bewirken, als die Spuren vollständig zu verwischen. Die Helden von damals können uns heute viel über vergangene gesellschaftliche Zustände und Diskurse erzählen, wenn man das einigermaßen gut begleitet und kuratiert. Wobei mir eine Sprengung des Bismarck-Denkmals auch nicht ganz ohne Reiz erscheint, umso länger ich darüber nachdenke – wenn die Aktion dann für immer im Zeitraffer bei YouTube abzurufen ist und wir das dann digitale Erinnerungskultur nennen. Nur so als Gedankenexperiment!
„So ein Name ist nichts Beliebiges, er betont eine bestimmte Tradition, eine mit dem Namen der Person verbundene Geisteshaltung.“
Ob sich ein Ansatz der kritischen Irritation aber auf die Namensgebung gewichtiger Institutionen übertragen lässt, ist doch eher fraglich. So ein Name ist nichts Beliebiges, er betont eine bestimmte Tradition, eine mit dem Namen der Person verbundene Geisteshaltung. Seine (oder in eher seltenen Fällen: ihre) Taten und Untaten werden unweigerlich gewürdigt – schwierig, diese Dynamik irgendwie kritisch zu irritieren. Auch wenn Jens-Hinrich Binder, Juraprofessor an der Eberhard-Karls-Universität, das sicherlich anders sehen wird. Als Senator hatte der Mann erfolgreich gegen die Umbenennung der Tübinger Uni gekämpft. Im Zusammenhang mit der Münsteraner Wilhelm-Affäre ließ er sich nun von der FAS mit diesem sybillinischen Merksatz zitieren: „Ein kritischer Blick heute ist keine Begründung für die Aufgabe eines Namens, sondern gerade dagegen.“ Wie eine kritisch distanzierte Haltung zum Namen der Galionsfigur des Wilhelminismus auf Briefköpfen, Zeugnissen, Urkunden, Tassen und Pullovern der Universität konkret aussehen soll, dafür fehlt mir bislang noch die Fantasie. Vielleicht über den Zusatz „Westfälische und kaiserkritische Wilhelms-Universität“?
Mir scheint, die Geschichte von den Hindenburgs und Wilhelms aus Münster wird nicht die letzte ihrer Art sein. Ich habe vielmehr das Gefühl, es geht jetzt überall erst so richtig los. Meinung
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