Großbritannien, England, Fahne, Flagge
Großbritannien - Regierung plant Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Einwanderer © Rian (Ree) Saunders @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

„Staatlicher Rassismus“?

London nimmt pakistanische Männer ins Visier

Missbrauchsskandale haben die britische Gesellschaft erschüttert. Einige Täter waren pakistanischer Herkunft - nun nimmt die konservative Regierung explizit Männer mit diesem Hintergrund ins Visier. Kritiker sind entsetzt. Sie ziehen Vergleiche mit den 1930ern.

Von Dienstag, 04.04.2023, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 04.04.2023, 8:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Mädchen und Frauen konzentriert sich die konservative britische Regierung künftig stärker auf den ethnischen Hintergrund der Verdächtigen. „Zu lange hat uns die politische Korrektheit davon abgehalten, abscheuliche Kriminelle auszusortieren, die Kinder und junge Frauen ausbeuten“, sagte Premierminister Rishi Sunak. Innenministerin Suella Braverman nahm ausdrücklich aus Pakistan stammende Männer als Täter ins Visier. Das stieß auf Kritik: „Der Fokus der Regierung auf britisch-pakistanische Männer ist nichts anderes als staatlicher Rassismus“, sagte der Soziologe Ali Meghji von der Universität Cambridge.

Die Frage nach dem ethnischen Hintergrund ist in Großbritannien an sich nicht außergewöhnlich – und wird in Umfragen, aber auch auf Internetseiten von Behörden routinemäßig gestellt. Nun sollen von der Polizei erhobene Daten auch von einer neuen Taskforce genutzt werden, die den Kampf gegen die „grooming gangs“, wie organisierte Missbrauchstäter genannt werden, aufnehmen soll. „Wir werden vor nichts zurückschrecken, um diese gefährlichen Banden auszurotten“, sagte der Premier, der indische Wurzeln hat.

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Demonstrativ besuchten Sunak und Braverman am Montag die Stadt Rochdale. Der Ort bei Manchester ist in Großbritannien – wie das nordenglische Rotherham – ein Synonym für organisierten Missbrauch. Zwischen 2008 und 2010 hatten mehrere aus Pakistan stammende Männer dort Dutzende meist weiße Mädchen missbraucht und zur Prostitution gezwungen. Dass die Täter lange unbehelligt blieben, liegt nach Ansicht von Konservativen an der Angst vor Diskriminierungsvorwürfen. Der Grund, dass Hinweise von Sozialarbeitern, Kommunalpolitikern oder sogar der Polizei ignoriert wurden, „war kulturelle Empfindlichkeit und politische Korrektheit“, sagte nun auch Sunak.

Lineker: Rhetorik wie in den 1930ern

Vor allem Braverman, deren Vorfahren aus Indien und Mauritius stammen, nahm kein Blatt vor den Mund. Es gebe ein „Übergewicht bestimmter ethnischer Gruppen – und ich sage: britisch-pakistanische Männer -, deren kulturelle Werte völlig im Widerspruch zu britischen Werten stehen“, hatte die konservative Hardlinerin am Sonntag gesagt. Diese Männer würden Frauen „auf eine erniedrigende und illegitime Weise“ sehen. Vor allem in Regionen, in denen die sozialdemokratische Oppositionspartei Labour regiert, werde die Bedeutung des ethnischen Hintergrunds ignoriert, behauptete die Ministerin. 2024 wird in Großbritannien gewählt, in den Umfragen liegen ihre Tories hinten.

Kritiker warfen Braverman vor, ihre Wortwahl stachele zu Hass gegen Minderheiten an. Es ist nicht das erste Mal, dass die Innenministerin für ihre Sprache angegangen wird. Erst vor wenigen Wochen twitterte Ex-Fußballstar Gary Lineker, die Rhetorik der Regierung sei der im Deutschland der 1930er Jahre „nicht unähnlich“. Das richtete sich kaum verhüllt gegen Braverman, die die steigende Zahl irregulärer Migranten als „Invasion“ bezeichnet hatte.

Nutzen des Mythos von braunen Sexualstraftätern

Auch jetzt ist die Kritik erheblich. Soziologe Meghji verwies auf die Pläne der Regierung, unerwünscht eingereiste Menschen ohne Berücksichtigung ihrer Umstände so schnell wie möglich abzuschieben. „Sie werden den Mythos von braunen Sexualstraftätern nutzen, um Unterstützung für ihre Anti-Migrations- und Anti-Flüchtlingspolitik zu gewinnen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die Kinderschutzorganisation National Society for the Prevention of Cruelty to Children (NSPCC) warnte zudem, aufgrund der Fokussierung auf einen bestimmten Tätertypus gebe es ein erhöhtes Risiko „blinder Flecken“. Es sei wichtig zu bedenken, dass Sexualstraftäter „nicht nur einen Hintergrund“ haben, sagte NSPCC-Chef Peter Wanless.

Grooming gangs hauptsächlich von weißen Männern angeführt

Oppositionsführer und Labour-Chef Keir Starmer sagte zwar, der ethnische Hintergrund von Verdächtigen dürfe kein Hindernis für Ermittlungen sein. Allerdings betonte er, dies spiele bei der „überwältigenden Mehrheit“ der Fälle von sexuellem Missbrauch keine Rolle. Auch Meghji sagte: „Regierungsdaten zeigen, dass sogenannte grooming gangs hauptsächlich von weißen Männern angeführt werden.“

In den vom Innenministerium in Auftrag gegebenen Studien steht zudem, dass es sich bei den meisten Sexualstraftätern, die wegen organisierten Kindesmissbrauchs verurteilt werden, um weiße Männer handelt. Es gebe keine Beweise, dass „grooming gangs“ eher aus Asiaten oder Schwarzen bestehen. Ein Regierungssprecher sagte am Montag dazu, bisher habe es einfach nicht ausreichend Daten gegeben, um klare Schlüsse zu ziehen. (dpa/mig) Aktuell Ausland

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