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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe © Brigitte Mackscheidt @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Unangemessener Eingriff

Verfassungsgericht fordert Nachbesserungen beim Kinderehen-Verbot

Seit 2017 sind im Ausland geschlossene Ehen automatisch unwirksam, wenn einer der Partner noch unter 16 war. Das Gesetz wurde trotz Kritik und mit großem TamTam beschlossen. Karlsruhe hat damit kein grundsätzliches Problem, pocht aber auf mehr Rechte für Betroffene.

Mittwoch, 29.03.2023, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.03.2023, 15:01 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das pauschale Verbot von Kinderehen muss auf Geheiß des Bundesverfassungsgerichts nachgebessert werden. Im Ausland geschlossene Ehen mit Unter-16-Jährigen dürften zwar ohne Prüfung des Einzelfalls für nichtig erklärt werden, teilten die Karlsruher Richterinnen und Richter am Mittwoch mit. Derzeit fehle aber eine Möglichkeit, die Ehe auch nach deutschem Recht wirksam weiterführen zu können, sobald beide volljährig sind. Außerdem müssen künftig Unterhaltsansprüche wie nach einer Scheidung vorgesehen werden.

Kritiker hatten diese Mängel im Vorfeld des Gesetzes moniert, blieben aber unerhört. Jetzt hat der Gesetzgeber für die Überarbeitung bis höchstens Mitte 2024 Zeit. Die Unterhaltsregelungen gelten ab sofort. (Az. 1 BvL 7/18)

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Gesetz nach hohen Flüchtlingszahlen

Die beanstandete Vorschrift sieht vor, dass eine ausländische Ehe automatisch unwirksam ist, wenn einer der Partner noch keine 16 Jahre alt war. Sie war Teil des „Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen“, das die schwarz-rote Bundesregierung 2017 vor dem Hintergrund gestiegener Geflüchtetenzahlen auf den Weg gebracht hatte. Zu der Zeit waren vermehrt junge Verheiratete nach Deutschland gekommen. Der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte daher Handlungsbedarf gesehen: „Kinder heiraten nicht, Kinder werden verheiratet“, sagte er.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hätte die neue Vorschrift 2018 im Fall eines syrischen Paares anwenden müssen, hielt sie aber für verfassungsrechtlich problematisch. In einer solchen Situation sind Gerichte verpflichtet, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Unangemessener Eingriff

Nun liegt der 80-seitige Beschluss vor. Anders als die BGH-Kollegen haben die Verfassungsrichter keine grundsätzlichen Bedenken wegen der pauschalen Nichtigerklärung der Ehen. Der Schutz von Minderjährigen und die Ächtung von Kinderehen seien legitime Ziele. Und nur die automatische Unwirksamkeit schütze Betroffene unmittelbar vor den Rechtswirkungen, die eine Ehe normalerweise entfalten würde.

Die Richter halten es aber für einen unangemessenen Eingriff in die Eheschließungsfreiheit, dass Betroffene derzeit noch einmal neu heiraten müssen, wenn sie die Ehe als Erwachsene weiterführen wollen. Sie geben außerdem zu bedenken, dass der minderjährige Partner oft vom älteren wirtschaftlich abhängig ist. Der Verzicht auf jegliche Unterhaltsansprüche stelle daher eine besondere Belastung dar.

Ex-Politiker entscheidet über sein Gesetz

In dem BGH-Fall ging es um ein Mädchen, das 2015 in Syrien mit 14 Jahren einen sieben Jahre älteren Mann geheiratet hatte. Wenig später flüchteten beide nach Deutschland. Hier wurde die Jugendliche von ihrem Mann getrennt und in einer Einrichtung für weibliche minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Zum Vormund wurde das Jugendamt bestellt. Dieses wollte vor Gericht durchsetzen, dass die Jugendliche ihren – einstigen – Ehemann nur noch einmal die Woche für drei Stunden unter Aufsicht treffen darf.

Das Karlsruher Verfahren zu den Kinderehen hatte einst für Diskussionen gesorgt, weil Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth 2017 noch Fraktionsvize der Union im Bundestag war. Harbarth, der Vorsitzender des zuständigen Ersten Senats ist, hatte selbst angegeben, „intensiv in die Vorbereitung und Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen eingebunden“ gewesen zu sein. Seine Senatskolleginnen und -kollegen sahen trotzdem keinen Anlass, an seiner Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Sie hatten 2019 entschieden, dass er das Verfahren mit bearbeiten kann. (dpa/mig) Aktuell Recht

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